Berlin, Deutschland (Weltexpress). Selbst nach vier Monaten unzähliger Kriegsverbrechen dringt die Wirklichkeit nur tröpfchenweise in die deutschen Medien, und in noch geringerer Dosis in die deutsche Politik. Im Gegenteil ‒ man sorgt dafür, dass selbst Verhungernde noch wie Schurken wirken.
Das Elend in und um Gaza geht in jeder Hinsicht weiter. Inzwischen ist es bestätigt, dass Kinder verhungern, vor allem im Norden des Gazastreifens. Insbesondere die Haltung der Vereinigten Staaten bleibt aber so erbarmungslos proisraelisch wie gehabt, inzwischen aber mit einem kleinen humanitären Trostpflästerchen versehen.
Die deutsche Berichterstattung pflegt auch weiterhin ihren Zynismus. Als wieder einmal – wie fast ständig – ein Hilfskonvoi des Welternährungsprogramms, der für Nordgaza bestimmt war, von der israelischen Armee erst an der Grenze festgehalten wurde, nach drei Stunden aber endlich durchgelassen wurde, standen schon hunderte Verzweifelte bereit, die sich Lebensmittel aus den Lkw holten. Die Tagesschau berichtete darüber, versah ihre Meldung aber mit der Überschrift „Hilfskonvoi im Gazastreifen geplündert“. Ähnlich auch die Welt: „Menschenmenge plündert“.
Man konnte wohl der Gelegenheit nicht widerstehen, wenn man schon irgendwie über die humanitäre Katastrophe berichten muss, die die israelische Armee im Gazastreifen anrichtet, das auf eine Weise zu tun, die die Opfer möglichst schlecht dastehen lässt. Plünderung ist schließlich etwas Schlechtes. Auf diese Weise kann man die Menschen, deren Not man ungerührt wachsen lässt, wenigstens als unbeherrschte, gierige Monster darstellen.
Gleichzeitig berichtet man gerne und ausführlich über US-„Hilfsflüge“ nach Gaza. Die besonders zynisch sind, weil gleichzeitig nach wie vor andere US-amerikanische Flugzeuge landen, die dafür sorgen, dass dem israelischen Militär die Bomben und Granaten nicht ausgehen, die es braucht, um die palästinensische Bevölkerung in ihrem Freiluftgefängnis zu halten.
Auch die Tagesschau betont: „Nach US-Angaben wurden dabei mehr als 36.000 Mahlzeiten über verschiedenen Orten des Gazastreifens abgeworfen.“ 36.000 Mahlzeiten für mehr als zwei Millionen Menschen – das entspricht einer Mahlzeit alle 55 Tage. Man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um zu erkennen, dass das so nichts an der Lage ändert. Was selbst die Tagesschau erwähnt: „Die Vereinten Nationen drängen allerdings darauf, auch die Hilfslieferungen per Lastwagen auszuweiten.“
Dem steht allerdings nicht nur die israelische Armee im Weg, sondern zusätzlich auch noch Israelis, die die Straßen blockieren, weil sie die Palästinenser aushungern wollen. Was die israelischen Behörden geschehen lassen. Da kommt einem noch einmal besonders die Konvention zur Verhütung von Völkermord in den Sinn.
Interessant ist allerdings, dass selbst die UN den effizientesten Weg nicht erwähnt. Das wäre nämlich eine Anlandung per Schiff. Gaza ist ein Küstenstreifen, da gibt es Häfen; der Grund, warum diese Häfen nicht genutzt werden, ist, dass auch hier Israel die Zufahrt nicht gestatten würde, obwohl weder diese Häfen noch das davor liegende Meer Teil seines Staatsgebiets sind.
Es gab einmal, vor mittlerweile 14 Jahren, bei einem anderen israelischen Angriff, einen Versuch, Gaza vom Meer aus zu versorgen. Das war der Vorfall mit der Mavi Marmara, als sich eine ganze Flotte von Schiffen von der Türkei aus auf den Weg nach Gaza machte, um dorthin medizinische Güter und Nahrungsmittel zu liefern. Die Schiffe wurden noch auf dem Weg von der israelischen Marine gestoppt, und mehrere Teilnehmer dieser Fahrt wurden von israelischen Soldaten erschossen. Es handelte sich um acht Türken und einen US-Bürger.
Seitdem gab es nie wieder einen Versuch einer Versorgung auf diesem Weg. Dabei wäre das vergleichsweise einfach, würden die Versorgungsschiffe von militärischen Schiffen begleitet. Die zwei deutschen Fregatten, die derzeit im Roten Meer oder auf dem Weg dorthin Unfug treiben, könnten eigentlich genügen. Und niemand käme dabei auch nur in die Nähe israelischer Hoheitsgewässer…
Das nur als Gedankenspiel, ausgelöst von einer aktuellen Forderung der Restlinken. Die Presse Augsburg zitiert die Abgeordnete Cornelia Möhring: „Deutschland muss sich mit Geld und Material an Abwürfen von humanitärer Hilfe aus der Luft beteiligen. Bis es zu einer Feuerpause kommt, ist es für das Überleben der Menschen im Gazastreifen alternativlos, dass sofort und in großem Umfang Lebensmittel aus der Luft abgeworfen werden.“
Besonders hübsch wird eine derartige Forderung, wenn sie weder von der nach sofortiger Einstellung aller Waffenlieferungen nach Israel begleitet wird, noch von jener, Deutschland möge seine Stellungnahme für Israel vor dem Internationalen Gerichtshof zurückziehen oder die Mittel für das UNRWA freigeben. An der Klage Nicaraguas dürften auch abgeworfene Hilfspakete nichts ändern; nicht nur Waffenlieferungen, auch die Streichung der Mittel für das UN-Hilfswerk UNRWA ist Teil der am 1. März eingereichten Klage: „Deutschland ist sich genau der tödlichen Konsequenzen bewusst, die die Sperrung der Zahlungen an das UNRWA für die Palästinenser haben wird, insbesondere jene in Gaza. Die Einstellung oder die massive Verringerung der Arbeit des UNRWA wird das Begehen wie die Vertuschung schwerwiegender Verstöße gegen das Völkerrecht erleichtern. Das ist nicht nur selbst schon ein Bruch der Verpflichtung, Völkermord zu verhindern und die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts durch andere sicherzustellen, es deutet auch auf eine tiefere Verwicklung in die Ermöglichung dieser widerrechtlichen Aktivitäten.“
Inzwischen, vier Monate nach Beginn des israelischen Krieges gegen Gaza, ist es unmöglich, den genozidalen Charakter dieses Vorgehens zu leugnen. Und es ist typisch, dass die deutschen Medien zwar bereitwillig über Hilfslieferungen nach Gaza berichten, wenn man die Hungernden zu „Plünderern“ erklären kann, aber ein erst vor wenigen Tagen geschehenes israelisches Kriegsverbrechen, das ebenfalls im Zusammenhang mit Hilfslieferungen steht und mittlerweile als „Mehl-Massaker“ bekannt ist, verschweigen.
Am 29. Februar waren mehrere Lastwagen mit Hilfsgütern in Gaza eingefahren und standen auf der Harun-al-Rashid-Straße in Rafah. Als sich die Menschen um die Lkw sammelten, um Nahrungsmittel zu erhalten, eröffnete die israelische Armee das Feuer. Mindestens 112 Palästinenser starben im Feuer israelischer Scharfschützen, und 750 wurden verwundet. So meldete das Al Jazeera. Es gibt Drohnenaufnahmen, die zeigen, wie die Menschen rund um die Lkw in Panik fliehen.
Am 5. März gab es eine Presseerklärung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte zum „Mehl-Massaker“. Dabei kommen Experten der UN zur Sprache ‒darunter beispielsweise die Sonderberichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, aber auch eine ganze Reihe weiterer Sonderberichterstatter, wie Michael Fakhri, Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.
„‚Dieser Angriff kam, nachdem Israel über einen Monat lang humanitäre Hilfe nach Gaza Stadt und Nordgaza verweigert hat‘, sagten die Experten.
Sie merkten an, dass das Massaker vom 29. Februar einem Muster israelischer Angriffe auf palästinensische Zivilisten folgt, die Hilfe suchen, mit mehr als vierzehn verzeichneten Vorfällen von Beschuss aus Kleinwaffen und Artillerie und dem Zielen auf Gruppen, die sich gebildet haben, um dringend nötige Lieferungen von Lastwagen oder aus Abwürfen aus der Luft zu erhalten, zwischen Mitte Januar und Ende Februar 2024.“
Dabei hat sich die Lage seit der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs nicht verbessert, im Gegenteil. „Im Januar, vor der Entscheidung des Gerichts, kamen im Schnitt täglich 147 Lastwagen nach Gaza. Seit der Entscheidung konnten zwischen 9. und 21. Februar nur 57 Lastwagen nach Gaza einfahren.“
„Die jüngst erfolgten Abwürfe aus der Luft werden wenig erreichen. Der einzige Weg, diese Hungersnot zu verhindern oder zu beenden, ist ein sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand.“
Das klingt etwas anders als die Anmerkung, die die Tagesschau zitiert. Mehr noch, es wird aus dieser Erklärung deutlich, dass Hilfslieferungen, gleich auf welchem Weg, bei diesem Vorgehen der israelischen Armee zu einer tödlichen Falle für die Empfänger werden können, die eigentlich beim Empfang der Hilfe Schutz bräuchten. Hilfe aus der Luft ist da nicht nur quantitativ unzulänglich; sie schafft auch mehr Punkte, an denen Vorfälle wie das Mehl-Massaker möglich sind.
In einem der unzähligen Texte und Kommentare im Netz, die sich mit den US-amerikanischen Abwürfen befassten, fand sich folgender Kommentar, der den Zynismus dieser Abwürfe sehr scharf zusammenfasste: „Das ist, als würde Mussolini Pakete mit Pasta über einem Nazi-Todeslager abwerfen.“
Das Angebot der historischen Bilder, die sich aufdrängen, wird immer geringer, denn die Zahl der Opfer ist, bezogen auf die Einwohnerzahl des Gazastreifens, jetzt schon unfassbar. Einer der Tricks der israelischen Propaganda in den Vereinigten Staaten ist, die Zahl der Opfer des 7. Oktober (die noch dazu zu großen Teilen auf das Konto der israelischen Armee selbst gingen) auf die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten hochzurechnen. Das kann man auch mit den Opfern in Gaza tun. Auf die Einwohnerzahl Deutschlands umgerechnet, entsprächen die über 30.000 Toten in Gaza 1,1 Millionen. Das wäre, als würde Köln von der Landkarte getilgt. Wie viele Deutsche wären dann noch übrig, die niemanden aus Familie oder Bekanntschaft verloren hätten?
Die Bilder der verhungernden Kinder werden nicht gezeigt. Aber Bilder, auf denen Menschen am Strand zu Hilfslieferungen rennen, die an Fallschirmen ins Meer sinken. Und „Plünderungen“ werden berichtet. Die deutsche Haltung bleibt so menschenfeindlich wie erbärmlich. Und die Berichterstattung gibt sich nach wie vor große Mühe, dass später, wenn die Bilder dieser verhungernden Kinder in den Geschichtsbüchern zu finden sind, neben den anderen, an die sie so sehr erinnern, der brave Deutsche die Augen rollen und mit dem altbekannten Satz erwidern kann: „Davon habe ich nichts gewusst.“
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 6.3.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
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