Fünf-Prozent-Hürde stoppt Euro-Kritiker – Null Komma drei Prozent fehlten, um Deutschlands politische Tektonik zu verändern

© AfD

Kein Kraut gewachsen

Der Wahlsiegerin Angelika Merkel, die „immer noch" Bundeskanzlerin mit dem bewusst vertrauenserweckenden Strahlelächeln auf den Wahlplakaten, gelang es mit einer auf sie zugeschnittenen präsidialen CDU-Wahlkampagne vier parlamentarische Wettbewerber SPD, Grüne, Linke  und FDP eindeutig zu deklassieren. Es war von seiten der Regierungsparteien CDU/CSU und FDP der unpolitischste Bundestagswahlkampf seit Jahrzehnten. Da war kein Kraut dagegen gewachsen, nicht mal das "Grüne" und deren Vorschläge zur Steuerpolitik.

Geordnete Auflösung

Einzig allein der argumentativen Stoßkraft der stark gewordenen Jungpartei AfD war es zu verdanken, dass der Wahlabend den eigentlichen imaginären Riss in der Tektonik der deutschen Parteienlandschaft offenbarte – zwischen realem Bürgerwille und abgehobener Parteienoligarchie. Den Eurokritikern gelang es in nur sechs Monaten nach Gründung in Berlin ihr Thema den Menschen auf der Straße nahe zu bringen. Kernforderung der Euro-kritischen Partei AfD war die „geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“ und die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde, etwa Nord-Euro und Süd-Euro.
 
Schuldenschnitt

„Eine Wiedereinführung der Deutschen Mark solle kein Tabu sein. Die europäischen Verträge seien so zu ändern, dass jedem Staat ein Ausscheiden aus dem Euro erlaubt sei.“ Um dieses Austrittsrecht zu erzwingen, sollten künftige Hilfskredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) über den Deutschen Bundestag per Veto blockiert werden. „Hoffnungslos überschuldete“ Staaten sollen durch einen Schuldenschnitt entschuldet werden, wobei Banken, Hedgefonds und private Großanleger die daraus resultierenden finanziellen Verluste selbst tragen sollen.

In die Wüste geschickt

Opfer der tektonischen Verschiebung im deutschen Parteienspektrum war zum Leidwesen mancher Berliner und Brüsseler Industrie- und Bankenlobbyisten die Freie Demokratische Partei (FDP), die sich nach immerhin 64 Jahren Anwesenheit im Bundestag und nach 45 Jahren langer einflussreicher Regierungsverantwortung aus einer laut Bundeskanzlerin Merkel erfolgreichen Regierungskoalition verabschiedete  und vom Souverän des Wählers  in die "Wüste" geschickt wurde. Die regierungstreue FDP-Parteispitze hatte während der kurzen Ägide von Christian Lindner als Generalsekretär, früher Unternehmer der New Economy, auf Initiative ihres Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler ein innerparteiliches Quorum zur Haltung der FDP Regierungspartei zum geplanten Euro-Rettungsschirm ESM zu überstehen. Der FDP-interne Streit um den richtigen Euro-Kurs drohte zu eskalieren. Der ehemalige FDP-Generalsekretär Christian Lindner attackierte Euro-Skeptiker Frank Schäffler damals scharf.

Mitgliederentscheid

Frank Schäffler wolle die FDP europapolitisch isolieren, sagte FDP-General Lindner. Am 9. September 2011 informierte der Partei-Rebell den Generalsekretär der FDP über die Initiierung eines parteiinternen Mitgliederentscheids über die Positionierung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Unterstützt wurde er dabei von dem ehemaligen Vize-Präsident des Deutschen Bundestages und FDP-Bürgerrechtler Burkhard Hirsch und dem Brüssel-Skeptiker und sächsischen FDP- Europaparlamentarier Holger Krahmer. Am 4. Oktober 2011 teilte Schäffler mit, ausreichend Unterschriften für einen FDP-Mitgliederentscheid zum Thema Euro-Rettungsschirm gesammelt zu haben, der jedoch im Dezember 2011 scheiterte.

Aushebelung der Hoheitsrechte

Weder wurde das Quorum von einem Drittel der FDP-Mitglieder erreicht, noch erhielt Schäfflers Position mit 44,2 % der gültigen Stimmen eine Mehrheit. 54,5 % stimmten für den konkurrierenden Antrag des Bundesvorstandes. Das war nicht gerade eine klare Entscheidung für die Vorstellungen der FDP-Parteispitze, die sich nicht traute, eine Regierungskrise zu riskieren. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die FDP über einen Stimmenanteil von 14, 6 Prozent und war drittstärkste Fraktion im Reichtstagsgebäude. Partei-Rebell Schäffler rief die anderen Bundestagsparteien in der Folge dazu auf, ihre Mitglieder ebenfalls zur Euro-Rettung zu befragen, da das Vertrauen in eine Währung nicht nur Sache des Parlamentes oder von Parteitagen sei. Schäffler stimmte am 29. Juni 2012 im Bundestag gegen den ESM. Gründe sieht er in der „Aushebelung der Hoheit über den Haushalt als Königsrecht“ des Bundestages.

Machtlos

Ein Parlament „ohne eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmittel“ sei machtlos, also seiner „eigentlichen Aufgabe beraubt“und nur noch eine „leere Hülle“. Die Verlagerung „dieses Stücks Souveränität an den ESM“ sei also eine „Verletzung des Demokratieprinzips“ des Grundgesetzes. Da könne „der Bundestag innerstaatlich noch so sehr gestärkt werden“, der ESM-Vertrag binde „uns völkerrechtlich und ermöglicht Entscheidungen über deutsches Geld auch gegen den ausdrücklichen Willen des deutschen Gesetzgebers“. Der so „laut beschworene Parlamentsvorbehalt“ stehe nur noch „auf dem Papier“.  Der FDP-Bundestagsabgeordnete Schäffler scheiterte, aber der Konflikt schwelte weiter. Nach der gestrigen Wahlnacht wurde klar, dass der Absturz der FDP – ihr "Herausgejagtsein aus dem Parlament" – mehrere Ursachen hatte.

Niedergeschmettert

Eine Ursache davon war die Enttäuschung der Wähler über die versprochene und nicht gelieferte Steuerreform während der letzten Legistraturperiode. Ein anderer Grund war sicherlich das Thema "Euro-kritische Politik". Das weitere Überleben der staatspolitisch verdienten Altpartei FDP in der außerparlamentarischen Opposition wird in Zukunft davon abhängen, inwieweit die Partei neue Wählerschichten ansprechen kann, denn mit der AfD ist ein neuer Mitwettbewerber um liberal-konservative Stimmen entstanden. Jedenfalls sind viele Stimmen der FDP zur CDU gewandert und eine beträchtliche Stimmenanzahl in die Hände der erfolgreichen Jungpartei AfD. Der nun aus dem Parlament verbannte FDP Bezirksvorsitzender von Ostwestfalen-Lippe Frank Schäffler äußerte sich relativ zeitnah auf seiner Homepage:

„Das Ergebnis der gestrigen Bundestagswahl ist niederschmetternd, auch für mich persönlich. Die Verantwortung trägt die Parteiführung der FDP, die von Anbeginn an liberale Positionen aufgegeben hat. Die Leihstimmenkampagne der letzten Woche war der Tiefpunkt des Versagens.

Ich bedanke mich dennoch bei jedem, der mir mit seiner Stimme Vertrauen geschenkt hat. Und ich bedanke mich bei allen, die mich in meinem Wahlkampf für konsequent liberale Themen und eine bessere Europolitik unterstützt haben – finanziell oder direkt vor Ort. Unser Einsatz war nicht vergebens. Nährboden für klassisch liberale Themen wird es in naher Zukunft reichlich geben. Dann wird es auf uns ankommen. Dabei gilt: Wer eine Niederlage als Niederlage anerkennt, schafft das Fundament eines neuen Erfolgs. Nur eine klassisch liberale Partei hat eine Chance für die Zukunft. Liberalala oder den Ruf nach mitfühlendem Liberalismus braucht niemand. Das hat das gestrige Wahlergebnis gezeigt. Diese Richtungsentscheidung steht jetzt an und ich werde die Auseinandersetzung dazu jetzt mit Konsequenz suchen."

Selbstbewusstsein

Es ist davon auszugehen, dass der mutige Euro-Initiator Frank Schäffler, der seine Partei FDP auf eine Ablehnung des dauerhaften Euro-Rettungsmechanismus‘ ESM festlegen wollte, jetzt mehr Gehör finden wird bei seinen Parteifreunden. Des einen Leid, war des anderen Freud. Auf der offiziellen AfD-Wahlparty im Berliner Maritim pro Arte Hotel trafen sich Parteimitglieder sowie Spitzenpolitiker der AfD zur Bekanntgabe  der Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 sowie der Landtagswahl in Hessen.  Auch wenn die  AfD am Ende doch knapp am Einzug in den Bundestag scheiterte: Ihr gutes Abschneiden am Rand der Fünfprozenthürde war eine der Überraschungen des Wahlabends. Der Jubel bei den Eurokritikern war so groß wie ihr gezeigtes Selbstbewusstsein.

Nicht im Traume

Das nationalliberale und wertkonservative Element der Partei haben  beim Erfolg der AfD sicher eine Rolle gespielt. Viele Wähler, darunter typische Wechselwähler, haben vermutlich aus Protest die AfD gewählt, da  die politische Überzeugungsarbeit der Altparteien in der jüngsten Vergangenheit in Sachen Euro-Rettung zu wünschen übrig liess. In dieses  politische Vakuum stiess offensichtlich die AfD, deren Wahlparolen um so mehr auffielen, da die Wahlsiegerin Kanzlerin Angelika  Merkel  nicht im Traum daran dachte, sich aus der „argumentativen Deckung" herauszulösen und dem öffentlichen Disput  zu stellen.  Die AfD hatte  Zuspruch aus nahezu allen Richtungen bekommen.

Erben der FDP

Schon die ersten Daten der Wahlforscher belegten, was sich vor der Wahl angedeutet hat: Die AfD bekam Stimmen aus fast allen politischen Lagern, aus der Linkspartei, von den Nichtwählern, von der Union. Die meisten Stimmen kamen allerdings vom Verlierer des Abends – von den Freien Demokraten. Die traditionsbewußten Liberalen dürften sicherlich mit schmerzverzerrtem Gesicht zugehört haben, als der ehemalige CDU-ler Alexander Gauland, Gründungsmitglied der AfD und Spitzenkandidat in Brandenburg, am Abend die Gründe für den Erfolg seiner Partei analysierte.  „Wir sind die Erben  der FDP, “ verkündete er nicht ohne Pathos unter starkem Beifall seiner Anhänger. Es sei angemerkt,  dass es für die junge Partei AfD eine schwierige Aufgabe sein wird, eine so heterogene Wählergruppe zu einer zufriedenen Stammwählerschaft zu transformieren.

Mienenspiel

Interne Ränkespiele an der Parteibasis könnten diese zukünftige Mammutaufgabe stark behindern. Zukünftige Wähler werden durch glaubwürdige ehrenamtliche Mitglieder betreut werden müssen. Deshalb war dem Mienenspiel des AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke, wohl anzumerken, dass es ihm leichter gefallen wäre, so zielbewusst mit einer verstärkten medialen Aufmerksamkeit weiter zu machen, die eine neu geschaffene Bundestagsfraktion gebracht hätte. Um aus der buntgemischten Wählergruppe eine stabile Partei zu formen bedarf nun wieder viel Zeit und Kraft. In der heutigen abschließenden Pressekonferenz der AfD  im Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz  ließ er es deshalb offen, ob er sich in Zukunft hauptberuflich für die erfolgreiche Partei engagieren wird oder es bei einer ehrenamtlichen Arbeit mit viel Zeiteinsatz zu belassen. Nichts ist verpflichtender als der Erfolg.
 
Inhaltsleer

Die Parteipräsidium der FDP dagegen trat komplett zurück. Der "inhaltsleere" Wahlkampf sei verantwortlich fürt den Absturz. Wer Merkel will, muss FDP wählen. Dieser Slogan zog nicht. Nach dem Rücktritt der Parteispitze ergriff Christian Lindner, der Ex-Generalsekretär, das Wort. Der NRW-FDP-Chef kündigte an, er wolle neuer Parteichef und Rösler-Nachfolger werden. Jetzt in der tiefsten Krise soll Lindner das FDP-Comeback schaffen. "Er trete an, um die liberale Partei zu erneuern." Spätestens bei der Kandidatenaufstellung zur kommenden Europawahl wird sich Lindner erneut den Euro-kritischen Thesen seines Widersachers Frank Schäffler stellen müssen. Schäffler wird große Teile der FDP Basis hinter sich wissen. Nach der Wahl ist vor der Wahl. So was nennt man gelebte Demokratie.

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