Wir allerdings meinen, daß Fachmänner und Fachfrauen auch die sind, die sich beispielsweise diese neue, vollständige und für heute mit allen Änderungen edierte Übersetzung von Georgio Vasari erstehen, die unter der Federführung von Alessandro Nova im Verlag Klaus Wagenbach vierteljährlich komplettiert werden. Eine wunderbare Edition und natürlich wünscht man sich auch für Karel van Manders 1604 erschienen Schilder-Boeck, der für Nordeuropa das schrieb, was Vasari 1559/68 für italienische Künstler vorlegte, eine solche Neuübertragung. 1675 legte Joachim von Sandrart mit der „Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste“ in Nürnberg nach, aber begonnen hatte die Beschreibung und Wissenschaft von Kunstwerken und Künstlern schon in der Antike.
Nun wollen wir nicht bei Adam und Eva anfangen und das auch noch kontrollieren, aber abgesehen davon, daß bei der Übersicht der insgesamt 166 Artikeln die drei oberen Herren alle vertreten sind, sieht man an den Autoren schon, daß es besser ist, tot zu sein, denn nur wenige Lebende sind unter den Autoren. Jemanden wie Horst Bredekamp hätten wir dringend aufgenommen, während der deutsche Kolleg Hans Belting oder der englische Kollege Baxandall ihre Meinung hier sagen dürfen.
Aber ob John Ruskin, Dehio oder Panofsky, Viollet-le-Duc oder Winckelmann, Ghiberti oder Max Sedlmayr, die verstorbenen Größen sind da. Aber leider nicht der durch das Dritte Reich um seine hiesigen Meriten gebrachte Frederick Antal, der in England marxistische Kunstgeschichte lehrte und dabei so Wichtiges zum Manierismus beizusteuern hat. Aber, wir sagten schon, ein Beckmesser wollen wir nicht sein und deshalb soll ausdrücklich festgestellt werden, daß der kleine kompakte Band überaus nützlich ist, für jeden, den nicht nur die Kunst, sondern auch die Theorie dazu interessiert.
Das paßt gut, daß auch das im Wagenbach Verlag herausgegebene Bändchen „Sandro Botticelli. Primavera“ von Horst Bredekamp hier vorliegt. Das war die 6. Neuauflage seit 2002 anläßlich der herrlichen Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel. Ein kunstgeschichtlicher Krimi ist das nicht, enthält aber all die Elemente von Rätseln, von Tätern, von Opfern und die ewige Frage, wer dargestellt ist und was das zu bedeuten habe. Zeigt uns der Frühling in Form der Schönen nur die Göttin der Liebe an oder was geht auf diesem Bild sonst noch vor.
Das ist eine der Fragen, die Horst Bredekamp entschlüsselt und dabei aus dem Vollen schöpft, sowohl der italienischen Vergleichsbeispiele wegen wie auch seiner Bezogenheit auf die damals aktuelle politische Situation von Florenz. Es gehe nicht so sehr um die nackte Venus, sondern welche Botschaft für individuelle Freiheit sich daraus ableiten lassen. Wir wünschen uns, daß ein ähnliches Buch erscheinen möge über das im Band aufgeführte Botticelliwerk „Mystische Geburt“, das in London hängt und auf dem der Engelsreigen Motive der Primavera wiederaufnimmt.
Ein viel zu wenig beachtetes Kleinod ist das Lindau-Museum in Altenburg, das die umfangreichste Sammlung früher italienischer Malerei nördlich der Alpen bietet. Altenburg, als Stadt der Spielkarten auch bekannt und in DDR-Zeiten einfach weit weg, ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Und wer das noch nicht weiß oder nicht glaubt, wird eines Besseren belehrt, wenn er diesen Kunstband aus dem Belser Verlag „Frühe italienische Malerei. Von Siena bis Florenz. Meisterwerke aus dem Lindenau-Museum in Altenburg“ aufschlägt. Erst einmal ist es das Gold, da einem beim Durchblättern entgegenstrahlt, denn wir befinden uns zwischen 13. Und 15. Jahrhundert und da gibt es noch nicht den blauen Himmel und die Perspektive ins Bild hinein, sondern den Goldgrund, der für ewig festhält, was göttliche Weisheit dem Künstler in die Pinselführung legte.
Die Schönheit der frühen Darstellungen ist das eine, der Band hilft aber auch bei der Einordnung dessen, was wir alle nicht so auf Lager haben, nämlich der Differenzierung der Schule von Siena auf sienagelbem Grund und der von Florenz auf Rot. Aber dann im Inneren wird jedem der großen Künstler Raum gegeben und von ihm vorhandene Werke eingeordnet. Als wir uns freuten, endlich diesen Band vorliegen zu haben, sind wir erst durchs Studieren darauf gekommen, daß sich dieses Buch einer gleichnamigen Ausstellung in Paris verdankt, wo im Musée Jaquemart-André – auch ein Kleinod! – diese Bilder aus Altenburg gezeigt wurden.
Das ist nicht alles. Es gibt eine Einführung, die erklärt, weshalb erst im 19. Jahrhundert das Interesse für die frühe italienische Malerei aufflammte; außerdem werden die Werke sammlungsgeschichtlich gedeutet, denn es war ein Mann, der dieses gewaltige Konvolut zusammentrug und der Sammlung den Namen gab: Bernhard August von Lindenau, der von 1779 bis 1854 als thüringisch-sächsischer Gelehrte und Kunstsammler lebte. Zu DDR-Zeiten war das Museum Lindenau ein Geheimtip, aber heutzutage kann man diese Kostbarkeiten einfach ansehen, man muß nur hinfahren! Und wir meinen, daß man dies nach Sicht dieses schönen Kunstbandes unverzüglich tun wird.
Warum wir unbedingt noch auf Domenico Laurenza und seinen ebenfalls im Belser Verlag erschienenen Band „Leonardo. Anatomie“ zu sprechen kommen müssen, hat auch mit dem sensationellen Preis von Euro 24,95 zu tun. Der ehedem selbständige Verlag Belser war einer der großen renommierten Kunstverlage der Bundesrepublik. Er gibt heutzutage in Kooperation mit ausländischen Verlagen recht oft sehr günstige Kunstbände heraus, wobei dieser Band nicht jahrelang der italienischen Veröffentlichung hinterherhinkt, sondern gleichzeitig 2009 herauskam.
Von daher weiß man, wenn man das erste Kapitel anschaut: „Leonardos Anatomisches Werk im Lichte neuer Untersuchungen“, daß diese nicht aus dem vorherigen Jahrhundert stammen. Das wäre ja auch nicht schlimm, denn was sollte zu Leonardo da Vinci nach so viel Literatur über ihn noch gesagt werden? Gerade in diesem Bereich, dem der Anatomie geht es aber nicht um kunstgeschichtliche Deutungen, sondern um das Aufzeigen der Bezüge der zeitgebundenen Wissenschaft vom Menschen und damit auch um die damaligen Anatomen und Mediziner.
Es ist also eigentlich so, daß deren Wissenschaftsgeschichte in den letzten Jahrzehnten stärker erforscht wurde und von daher neue Korrespondenzen zwischen ihnen und Leonardo erkannt werden, die nicht nur die Inhalte seiner Zeichenkunst tangieren, sondern auch Datierungsfragen verändern und zuspitzen. Wer sich für das Dreigestirn Raffael, Michelangelo und Leonardo interessiert – nicht mal Picasso konnte es im 20. Jahrhundert bei ’Pablo` belassen -, der wird diesen Band verschlingen, aber er eignet sich auch vorzüglich für diejenigen, die mit der italienischen Kunst der Renaissance erst anfangen. Ja, völlig richtig, unsere Überschrift ist ein bißchen euphemistisch. Die richtige ’frühe` italienische Malerei zählt bis ins 15. Jahrhundert, aber wir haben Botticelli noch halbwegs mit Recht und Leonardo dann großzügig dazugezählt.
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Hauptwerke der Kunstgeschichte, hrsg. von Paul von Naredi-Rainer, Kröner Verlag 2010
Horst Bredekamp, Sandro Botticelli Primavera, Verlag Wagenbach, 6. Auflage 2009
Frühe italienische Malerei. Von Siena bis Florenz. Meisterwerke aus dem Lindenau-Museum Altenburg, Belser Verlag 2009
Domenico Laurenza, Leonardo. Anatomie, Belser Verlag 2009