Finneco-Liner liegen voll auf Kurs im Öko-Trend – Drei Technik- und Ladungsathleten haben eine neue Schiffsgeneration generiert

MS "Finneco II" in den Schären vor Kotka, © Finnlines

Stralsund, Berlin, Deutschland (Weltexpress). Was sind schon 5,8 Kilometer? Für heutige Entfernungsverhältnisse nicht erwähnenswert. Im Gespräch mit Kapitän Julius Jännäri jedoch bekommt die Zahl eine ganz andere Dimension, wenn er von Lademetern spricht. So lang nämlich sind die Parkspuren auf den sechs Decks seines werftneuen Ro-Ro-Frachters FINNECO II. Man stelle sich vor: Das entspräche 400 hintereinander aufgestellten Dreiachs-Sattelzug-Aufliegern. Die vorherige Generation der FINNBREEZE-Klasse bringt es „nur“ auf 4200 Meter.

Gerade wurde in der Schweiz der Welt- und Guinness-Buch-Rekord für den längsten Eisenbahnzug aufgestellt: rund zwei Kilometer. Den könnte das 238 Meter lange und 34 Meter breite FINNECO-Superschiff dreimal komplett schlucken. Da vergisst man vor lauter Staunen den Mund zu schließen: Wow!

Die riesige Heckklappe mit den drei Rampen, © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: 4.11.2022

23 Schiffe, 77 Kilometer Ladungslänge

Als vor 35 Jahren die damalige deutsch-finnische Reederei Finncarriers-Poseidon mit der FINNSAILOR seinen ersten Ro-Ro-Frachter einer neuen Generation vorstellte, waren es gerade mal 2000 Meter. Gegenüber damals ist das heute geradezu ein Quantensprung. Bedingt durch gestiegene Im- und Exportraten sowie Umweltaspekte. Immer mehr rollende Ladung sollte über den schon seit der Hansezeit befahrenen Seeweg gehen. Auch spielt der eklatante Fahrermangel eine Rolle. Inzwischen werden mit 23 Schiffen bei 77 Kilometern Ladelänge bei wöchentlich 170 Abfahrten eine Million „Gummieinheiten“ pro Jahr auf den Routen zwischen Schweden, Finnland, Deutschland und Estland transportiert. Finnlines hat mittlerweile ein Drittel dieses gewaltigen Kuchens erobert. Zumal der Seetransport für das nordische Land existenziell ist. Ebenso die Vorhaltung einer leistungsfähigen und modernen Eisbrecherflotte, aller Klimaerwärmung zum Trotz. Zwei von ihnen, FENNICA und NORDICA, liegen in Sichtweite, bereit für den kommenden Winter im Bottnischen und Finnischen Meerbusen.

600 qm Solarpaneele auf dem Sonnendeck. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 4.11.2022

Der blonde Finne Jännäri, 1981 in den USA geboren, lehnt sich genüsslich auf der Brücken-Couch zurück, schlürft seinen Kaffee und genießt den Moment. Auch den Anblick der letzten Schären von Kotka, die er erst in drei Wochen wiedersehen wird. So lange dauert eine Rundreise via Zeebrügge, Antwerpen bis ins nordspanische Bilbao.

Kapitän Jännäri und Steuermann auf der Brücke. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 5.11.2022

Nicht nur höchste Eisklasse

Der zweite Chief Officer Harold Escano von den Philippinen hat Wache und stellt jetzt das Ruder auf Automatik-Kurs um. Die Displays mit ihren Kontroll- und Warnanzeigen lässt er fortan nicht mehr aus den Augen. Vier Stunden volle Konzentration auf das Hier und Jetzt. Während Jännäri den Blick in die Vergangenheit richtet. Schon als kleiner Junge konnte er sich für Boote begeistern, lernte schnell Segeln, leistete seinen Wehrdienst natürlich bei der finnischen Marine ab, ging zur Seefahrtsschule und fuhr auf Frachtern und sogar einem Kreuzfahrtschiff um die Welt. 2008 stieg er als Zweiter Steuermann bei Finnlines ein, wurde 2015 Kapitän der FINNHAWK und 2022 auf dem zweiten der drei in China gebauten RoRo-Hybrid-Schiffe. Insgesamt, berichtet er, fahren zwölf dieses neuen Typs, neun davon im Mittelmeer. Der Unterschied zu den Nord-Ostsee-Frachtern? Die haben die höchste finnisch-schwedische Eisklasse 1 A Super und ein Deck weniger, um schwere Papierrollen und gewichtige Spezialfahrzeuge wie Bagger und Landmaschinen bis zu sieben Meter Höhe zu transportieren.

Kleiner PKW vor riesigem X-bow-Steven. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 7.11.2022

Gewöhnungsbedürftige Nase

Ein steifer Nordwest-Wind mit 28 Knoten hat dem Finnischen Meerbusen Schaumköpfe aufgesetzt und eine Drei-Meter-See aufgebaut. FINNECO pflügt locker hindurch, wird aber nach Backbord gedrückt wegen seiner großen Windangriffsfläche. „Unser nach vorn gewölbter Bug, ein sogenannter X-bow, sorgt aber für einen geringeren Wellenwiderstand und damit Energie-Optimierung“, erklärt Jännäri, „auch wenn die Form gewöhnungsbedürftig erscheint“. Unter Wasser schließt sich der Wulstbug an. Bei Seegang von der Seite habe das Schiff in der Biskaya schon mal einen Rollwinkel von 28 Grad gehabt, „weil wir, anders als Passagierfähren, keine Stabilisatoren haben“. Inzwischen ist Chief-Ingenieur Erkki Saar auf die Brücke gekommen, um mit dem Kapitän Dienstliches zu besprechen. Anschließend freut sich der Este, mir sein „Kellerreich“, den Maschinenraum, zu zeigen. Per Fahrstuhl geht´s in die Tiefe. Als sich die Tür öffnet, wieder nur Staunen: über den weitläufigen, hellen, fast stillen Maschinen-Kontrollraum, sogar ausstaffiert mit gemütlicher Wohnzimmerecke und Flachbildfernseher. Erster Ingenieur Jovane Salgado übernimmt das Korreferat vor den Anzeigetafeln.

Chief (hinten) und Erster Ingenieur im Maschinenkontrollraum. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 5.11.2022

Zero emission in port

Bevor wir unsere Ohren zustöpseln und in den eigentlichen Maschinenraum gehen, fasst der fröhliche Philippino die wichtigsten Aspekte des ökologischen Hybridsystems zusammen: „Umweltaspekte und Nachhaltigkeit haben bei uns einen hohen Stellenwert. Diese Schiffe sind so konzipiert, dass sie teilweise mit Batteriestrom betrieben werden können. Die Hybridlösung reduziert den Kraftstoffverbrauch und ermöglicht null Emissionen am Liegeplatz. ´ZERO EMISSION IN PORT` steht auch draußen am grünen Schiffsrumpf. Der Lärm während des Aufenthalts im Hafen nimmt ebenfalls ab. Die Batteriebänke von fünf MWh ermöglichen die Nutzung von gespeichertem Strom im Hafen. Darüber hinaus verfügen die Ro-Ro-Schiffe über 600 Quadratmeter Sonnenkollektoren für sauberen Strom zur Nutzung an Bord. In Höhe der Wasserlinie ist ein innovatives Luftschmiersystem zur Erzeugung von Blasenschichten installiert, das die Reibung und den hydrodynamischen Widerstand sowie die Emissionen weiter reduziert. Dazu zählen auch die Lithium-Ionen-Batteriesysteme für emissionsfreien Betrieb und Lärmreduzierung im Hafen. Ein Scrubber sorgt für die Abgasreinigung. Auch die Abwärme wird genutzt und das Ballastwasser aufbereitet. So reduziert sich der ökologische Fußabdruck jedes beförderten Lkw und Aufliegers gegenüber dem aktuellen Niveau erheblich, bei CO2 um 50 Prozent“.

Eine der beiden gewaltigen Hauptmaschinen. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 5.11.2022

Schwitzen nach eigenem Rezept

Die beiden 12.780 kW-Hauptmaschinen dröhnen um die Wette, aber es ist nicht heiß wie früher. Überall umströmt einen kühle, frische Luft. Die beiden Maschinisten klettern vorweg über Leitungen, Ventile und Pumpen. Ein wahres Gewirr, aber die beiden winken nur ab: alles im Kopf, meinen sie lächelnd. Dort wo die Wellen zu den 5,60 Meter messenden Propellern austritt, dreht sich auch noch ein Wellengenerator und sorgt für zusätzlichen Bordstrom.

Diese riesigen Batterien ersetzen teuren Landstrom. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 5.11.2022

In der anschließenden Sauna geht es um das „richtige“ Schwitzen. Jeder Finne hat da so sein Rezept: ob es um Temperatur, Aufgüsse, Tauchbad und Sitzdauer geht. Und man erfährt in „aufgetautem“ Zustand viel Privates: über ihre Herkunft, Familien, Hobbys. Auch der Seefahrtsschüler Suvara Tongkrajai stößt nach Feierabend dazu. Der freundliche, muskelbepackte Mann aus Kamerun will Ingenieur werden, was er, wie er sagt, in seinem afrikanischen Heimatland nicht konnte. Seine Frau arbeite als Krankenschwester. „Wir fallen niemandem zur Last, im Gegenteil“, lächelt er bescheiden, „denn dann würden wir uns schämen“.

Blick ins Innere im Heckbereich des Schiffes. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 7.11.2022

Alle freuen sich an diesem Samstag auf das Abendessen: Steak, Pommes, Shrimps, Lachs, Rotwein, Salate, Suppe, Eiskrem, alles reichlich. Hyvä ruokahalu, good appetite! Heißt es dann. Alle Gerichte liebevoll zusammengestellt von der Chef-Köchin „Jo“ Josephine Sumawang. Man hört sie schon auf dem Gang fröhlich trällern. Auch Maria, ihre philippinische Stewardess-Kollegin, steht dem in nichts nach. Ein engagiertes Team, das zur guten Bordstimmung der 24-köpfigen Crew beiträgt.

Drei Tonne schwere Papierrollen werden in eine Lagerhalle geschleppt. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 7.11.2022

Nach rund 670 Seemeilen blitzt voraus der Travemünder Leuchtturm über den vormitternächtlichen Horizont. Das erste Etappenziel ist erreicht. Beim Drehmanöver auf der Trave bleibt nicht viel Luft vorn und achtern. „Bei Wind ein Problem“, meint der Kapitän und legt seinen Hybrid-Riesen sanft an den Skandinavienkai. Wir wünschen uns noch „Hyvää yötä!“ gute Nacht! und tauchen ab in unsere Kojen.

Die riesigen Brückenhaus-Aufbauten mit Zufahrtsrampe zum Wetterdeck. © Foto/BU: Dr. Peer Schmidt-Walther, Aufnahme: MS „Finneco II“, 7.11.2022

Infos:

MS FINNECO II (wie die Schwesterschiffe: FINNECO I, III größte der Finnlines-Flotte und der Ostsee); Werft: China Merchants Jinling Shipyard (Jiangsu), Yizheng, China; Bau-Nr.: JLZ8180408; Schiffstyp: Ro-Ro; Eisklasse:1 A Super; Länge: 238.0m; Breite: 34,0 m (zwischen den Nocken: 40,1 m); Höhe (Kiel-Mast): 52,49 m; Decks: 6; Bruttoraumzahl (BRZ): 60.515; Tragfähigkeit:17.377 t; Spurmeter: 5.800 m;  LKW-Fahrer: 12 Kabinen; Hauptmaschinen: 2 Hyundai-MAN B&W je 12.780 kW; Propeller: 2 (5,80 m Durchm.); Geschwindigkeit (max.): 20,7 kn; Generatoren: 3 Hyundai-Himsen je 1540 kW; Bugstrahlruder: 2 Wärtsilä je 1800 kW; Wellengenerator: 2 x 2000 kW; Ruder: Kongsberg; Flagge: Finnland; Heimathafen: Helsinki; IMO-Nr.: 9856842

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