Fil und Atak präsentieren „Superpeter-Struwwelpeter Superheld“ im caricatura museum frankfurt -Serie zum Zweihundertsten Geburtstag: der Heinrich Hoffmann Sommer 2009 in Frankfurt am Main (Teil 9/10)

Zuerst einmal stutzt man beim Titelbild. Was tut sich da? Würmer, Maden, Schlangen haben sich eingenistet im verfilzten Haar des Struwwelpeter, in dem sich auch ein Kakadu, ein Hase, eine Ente und ein rauchendes Teufelchen mit Clownsnase sichtlich wohl fühlen. Letzterer ist es dann, der einem grundsätzlich den Weg weist. Es soll nämlich die Katze Miez sein, wie sie aus Paulinchens Geschichte als Minz bekannt ist, hier aber nicht nur auch durch andere Geschichten geistert, sondern an eine ganz gewisse Comicfigur – Kater Paul/Strizz – erinnert. Die beiden Künstler haben also ihren Struwwelpeter mit heute geläufigen Comicfiguren kombiniert. Das stellen wir fest, machen uns aber nicht auf die Suche nach Korrespondenzen, lassen uns jetzt nur auf den direkten Vergleich mit ihrem Vorbild ein.

Dazu sagen Fil und Atak: „ Dies ist keine Parodie, kein antiautoritärer Hippie-Struwwelschnak, sondern eine in Wort und Bild vom Geist des Originals durchdrungene Coverversion“. Damit übernehmen die Autoren eine aus der Musiksprache geläufige Bezeichnung, die wir hier gleich wieder vergessen und uns in die Bildgeschichten vertiefen, die im Buch in der gleichen Reihenfolge erscheinen wie bei Hoffmann, mit einer Ergänzung des neumodischen Justin, der auch ein Weihnachtsgeschenk erhält: Es ist die „Xbox – geil!“ Damit haben beide Comicschreiber sicher unbewußt das fortgeführt, was Hoffmann ja anlegt, daß der Struwwelpeter die Untaten der Jungen beschreibt, denen mit Paulinchen das einzige Mädchen beigesellt ist. Dieser Aspekt, der ja nur in der gegenwärtigen Kinderbuchliteratur, die derzeit in der Deutschen Nationalbibliothek ausgestellt ist, durch freche mutige Mädchen eine andere Konnotation erhält, scheint uns diesen Heinrich Hoffmann Sommer hindurch in der öffentlichen Resonanz auf die Ausstellungen völlig unterbelichtet zu sein. Oder ist das so selbstverständlich, Herren Fil und Atak, daß es ein Junge ist, der sich zu Weihnachten über ein Computerspiel freut? Ja und nein.

Da steht sie die Villa, in der man sich Miez, unser Teufelchen,  und Maunz, wie eine russische Matrioschka aussehend, die in sich die weiteren Puppen, sprich Katzen, trägt,  gut als Bewohner vorstellen kann, wie überhaupt alle vorkommenden Kinder hier zu Hause sind. Und wenn die Autoren hinzuschreiben „lustige Geschichten und drollige Bilder nach Wilhelm Bus.., Dr. Heinrich Hoffmann“, dann gefällt uns das gut, denn auch wir hatten diese Hoffmann-Folge mit den Taten des Max und Moritz  – dieses war der erste Streich und der zweite folgt sogleich –
eingeleitet, weil Busch, wenn auch späteren Datums, einfach in den Kontext der frechen Buben hinzugehört.

„Pfui nochmal, hier steht er,
dieser Struwwelpeter,
durch die Haar die Maden tollen:
irgendwas scheint er zu wollen.
„Schaut mich“,
sagt sein Blick voll Leid,
„ich bin so, weil ihr so seid.“

Denn das Gutsein, Bravsein, Ordentlichsein, das sind ja nur dualistische Eigenschaften auf dem Hintergrund des Andersseins. Von daher sind auch die im Original aufgezeichneten Kindereigenschaften, die zu fatalen Folgen führen, nicht alle durchweg schlechte, aber eben übertriebene. Und diese Eigenschaften setzen die beiden Autoren nach Belieben fort. Das gefällt uns bei der Geschichte vom Friederich, wo die zeichnerische Lust der Verfasser am zerstörerischen Werk des bösen Buben deutlich wird durch die auf den Seiten als horror vacui erscheinenden überbordenden Übeltaten. Auch in der Fortsetzung. Denn hier werden die alles verzeihenden, alles deutenden Mütter auf die Schippe genommen, „Fritze ist halt kein Ödipus“. Wie wahr. Oder „Er, mein wilder Bär, wird sicher mal ein Vet’rinär“. Wie unwahr.

Paulinchen dagegen mutiert beim „Superpeter“ zur Pupertierenden. Das Feuer, das sie entfacht, wird hier umgedeutet zu den ersten sexuellen Regungen, die einem Mann, dem „feschen Franzl“ gelten. Das finden wir typisch. Daß das einzige Mädchen in den Geschichten nicht der Neugierde von Kindern und dem Zündeln verhaftet bleibt, sondern gleich der Geschlechterfrage zum Opfer fällt. Nein, das gefällt uns eindeutig nicht, daß Paulinchen, kaum hat sie an Franzl Feuer gefangen, an diesem Feuer verbrennt!!! Das sehen wir schon sehr symbolisch. Da wollen wir diesen grausamen Tod – leider – dem kleinen Mädchen belassen, das neugierig und das Verbot der Eltern negierend, an seinem Zündeln verbrennt.

So geht es Geschichte für Geschichte weiter und zu jeder hätten wir etwas zu sagen. zu den ca. 60 x 50 cm großen Originalzeichnungen, aber auch zu den herrlichen Worterfindungen und zu mancher gelungenen Fortsetzung wie der Schulmappe des Konrad, die davonschwimmt und zu den Wilden gelangt, die nun Cäsar in Gallien und Physik lernen und angefüllt mit westlichem Wissen militärisch in Deutschland einfallen. Warum diese Wilden, die wir uns dann eher in Afrika vorgestellt hätten, Indianer sind, bleibt rätselhaft. Aber warum nicht, ist hier politisch aus der Schußlinie. Und die durch Wortkaskaden aufgebauschte Geschichte vom Zappelphilipp werden wir auswendig lernen: „Gaukelt, zappelt, rippelt, rappelt, quribelt, quarbelt, schwirbelt, schwarbelt“. Oder: „Dieses Wickeln, Wackeln, Wuckeln, Zickeln, Zackeln, Zockeln, Zuckeln, Rippeln Ruppeln, Rumseln, Brumseln, Flimmseln, Flammseln, Flommseln, Flummseln“ – das gefällt uns gar zu gut.

Im Galeriegeschoß lernt man dann die Autoren Fil und Atak an ihren Originalen kennen und kann sich gut herleiten, woher sie Bildideen und auch Textfortschreibungen für diese Ausstellung des Superpeter und dieses Buch „Der Struwwelpeter“ herhaben, vom Original abgesehen, das auch in dieser Ausstellung erneut Bewunderung evoziert. Wie jemand kurz und knapp das Wesentliche zu Bild und Papier bringt, wie es Heinrich Hoffmann 1844 gelang,  und was wir doch für eine verschwatzte Gesellschaft sind, die daraus das Fünffache machen muß und das dann in der Regel „Kommunizieren“ nennt. Vergessen Sie auch nicht, die Originalzeichnungen von F.K.Waechters Antistruwwelpeter im Obergeschoß anzuschauen und auch nicht, die Tage vom 28. bis 30. August dort beim „Festival der Komik“ zu verbringen. Im Rahmen des Museumsuferfestes wird ein durchgehendes und eigenständiges Programm durchgeführt, das Sie bitte der Webseite entnehmen.

P.S. Eine wohl unbeabsichtigte, aber herrliche Bildwirkung erzielt die Darstellung des  anthropomorphen Baums in der Ausstellung – im Buch auf der Rückseite. Hat man den Baum im Blick, sieht man links im Kabinett den dunkelbraunen, aus einem Sandsteinsockel  hervorbrechenden mächtigen Holzpfeiler wie einen Baumstamm mit seinen dick verzweigenden Ästen, die das eingebaute Galeriegeschoß halten. Toll.

An die Autoren: Wir finden es gemein, dem Schulkind Hans anbeizugeben: „macht’s Sinn“. Nichts „macht Sinn“. Das ist nur ein unsinniges Undeutsch. Noch nicht mal ein  dämmlicher Anglizismus. Nur falsch und autoritär übersetzt. Also bei einer Neuauflage bitte „gibt’s Sinn“ oder „ergibt’s Sinn“ schreiben.

www. caricatura-museum.de

Hauptausstellung im Historischen Museum: bis 20. September 2009

Katalog/Begleitbuch: Heinrich Hoffmann – Peter Struwwel.“ Ein Frankfurter Leben 1009-1894., hrsg. von Wolfgang P. Cilleßen und Jan Willem Huntebrinker , Michael Imhof Verlag 2009

Ausstellung im museum caricatura frankfurt: bis 20. September 2009

Katalog: Ja, es gibt ein Buch, das zur Ausstellung gehört. Nein, das läuft umgekehrt. Das von Fil und Atak beim Verlag Kein & Aber herausgebrachte Buch „Der Struwwelpeter“ ist die Grundlage, denn hier im Museum hängen dessen Originalzeichnungen von Paulinchen und den anderen Unhelden, mache richtig schön groß, und wenn man sich in die hineingeschaut hat, dann nimmt man auch gerne das Buch als Erinnerung, oder zum Weiterlesen, oder als Geschenk mit.

www.hoffmann-sommer.de
www.struwwelpeter-museum.de
www.frankfurterbuergerstiftung.de
www.historisches-museum.frankfurt.de

Gängige Struwwelpeterausgaben: Der Struwwelpeter. Mit einem Nachwort von Peter von Matt, Reclam, Stuttgart 2009
Der Struwwelpeter, Schreiber, Esslingen 1992
Neue Bücher über Heinrich Hoffmann
Heinrich Hoffmann „Dukatenbilder“, hrsg. von Marion Herzog-Hoinkis und Rainer Hessenberg, Inselverlag 2009, Insel-Bücherei Nr. 1314
Heinrich Hoffmann „Allerlei Weisheit und Torheit“, hrsg. von Marion Herzog-Hoinkis und Helmut Siefert, Mabuse Verlag 2009

Hinweis: Bis zu seinem Todestag am 20. September werden in Frankfurt viele Ausstellungen diesen Heinrich Hoffmann Sommer begleiten, über die wir berichten.

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