„Enge Fahrspuren, ungewohnte, teils schwer erkennbare Verkehrsführung, aber auch Ablenkung und Fahrfehler führen an Autobahnbaustellen besonders häufig zu Unfällen“, stellen die Experten von Dekra fest.
60.000 Fahrzeuge brausen täglich über die Autobahnen allein in Nordrhein-Westfalen. Im vergangenen Jahr verunglückten bei 1.118 Baustellenunfällen 1.812 Menschen, 18 kamen ums Leben. Während die Zahl der Baustellenunfälle ebenso rückläufig ist wie die der Verletzten, stagniert die Zahl der Getöteten nahezu gleich. Und: Baustellen sind an Autobahnen risikoreicher als andernorts. 2010 ereigneten sich die Personenunfälle auf Autobahnen zu 6,6 Prozent an Baustellen. Zum Vergleich: Inner- und außerorts liegt der Baustellenanteil an den Crashs drastisch niedriger, bei unter einem Prozent. Bei den Baustellenabschnitten auf der Autobahn gibt es also Verbesserungspotential.
Nach Angaben des ACE wird derzeit an etwa 2.000 der insgesamt rund 12.800 Autobahnkilometern gearbeitet. Die Länge der Baustellen hat um 400 Kilometer zugenommen, von 6,3 Prozent im Juni 2011 auf jetzt 8,1 Prozent.
An den Baustellenabschnitten verdichten sich die generellen Probleme der Verkehrssicherheit wie Unaufmerksamkeit, Rasen, Drängeln und mangelnde Rücksicht. „Die enge Autobahnbaustelle verzeiht dem Fahrer keine Ablenkung“, warnt Bettina Zahnd, Leiterin der Unfallforschung bei der Axa-Versicherung. Autofahrer sollten nicht vergessen, „daß ein Fahrer bei 80 km/h in jeder Sekunde Unaufmerksamkeit 22 Meter im Blindflug zurücklegt.“ Daher fordert die Sicherheitsexpertin den Einsatz sogenannter Rüttelstreifen, welche die Autofahrer beim Abkommen von der Fahrspur wachrütteln.
Bereits die – frühzeitige – Ankündigung einer Baustelle sollte zur Temporeduzierung genutzt werden. Trotzdem kommt es oft vor, daß Fahrer, überrascht von einer Fahrbahnverengung, mit Karacho in eine Signalwand am Baustellenbeginn sausen – was auch für die Bauarbeiten ungemein gefährlich ist. Jörg Ahlgrimm, Leiter von Dekras Unfallanalyse, weiß, daß Anpralldämpfer hierbei die Wucht des Zusammenstoßes mindern können, und schlägt ihren verstärkten Einsatz vor. Besonders heikel sind Fahrspuränderungen, Überleitungen auf die Gegenfahrbahn und provisorische Einfahrten. Sicherheitsexperten empfehlen den Autofahrern, bei leichtem Verkehr sich frühzeitig vor einer Baustelle einzufädeln, aber bei dichtem Verkehr nach dem Reißverschlußprinzip zu verfahren.
Ahlgrimm weist darauf hin, daß die Baufirmen die Fahrbahnmarkierungen regelmäßig überprüfen sollten, denn bei mangelhafter Fahrstreifen verlieren die Autofahrer schnell die Orientierung, besonders nachts oder bei Regen. Autofahrer sollten sich an Baustellen übrigens nicht auf den Spurhalteassistenten verlassen und ihn besser ausschalten – der kann nämlich nicht immer zwischen der regulären weißen und der gelben Ersatzmarkierung unterscheiden. Im Gespräch mit dem kraftfahrt-berichter verriet der Unfallforscher, daß die Autoindustrie an einem Assistenzsystem speziell für den Baustellenbereich arbeite.
Am sichersten ist es, auf Überholen und Spurwechsel zu verzichten und bei gleichem Tempo („im Strom schwimmen“) versetzt zu fahren. Bei einem Modellversuch in Rheinland-Pfalz gingen die Unfallzahlen auf diese Weise um ein Drittel zurück. Besonders Lkw sollte man nicht überholen, da sie zu schwanken drohen.
Am Ende einer Baustelle sollte man nicht zu früh überholen, da der tote Winkel oft unterschätzt wird. Ahlgrimm begrüßte es, wenn der durchgezogene Fahrstreifen noch 300 Meter über die Baustelle hinaus fortgeführt würde.
Ein mulmiges Gefühl kann man als Autofahrer bekommen, wenn man an einer Baustellenfahrspur weder links noch rechts einen Ausweg sieht, falls der Wagen liegenbleiben sollte. Ahlgrimm empfiehlt dann, früh den Warnblinker zu betätigen, das Auto so weit wie möglich nach rechts zu steuern und das Auto schnell und auf der verkehrabgewandten Seite verlassen. Dabei sollte man unbedingt eine Warnweste tragen und sich mit den anderen Insassen zügig hinter die Leitplanke begeben. Erst dann wird das Warndreieck (in 100 Meter Entfernung) aufgestellt.
Wissen sollte man auch, daß Autos, die breiter als zwei Meter sind, die linke Fahrspur im Bereich von Baustellen meiden müssen. Schon ein Golf IV ist zu breit. Doch viele Autofahrer orientieren sich an den Angaben in den Fahrzeugpapieren, wo die Breite ohne Außenspiegel angegeben ist – für die linke Fahrspur gilt aber die reale Fahrzeugbreite, also mit Spiegel.
Für Staus auf Autobahnen sind Baustellen nur zu 15 Prozent verantwortlich. Der Eindruck, daß gerade in der Ferienzeit viel auf Autobahnen gebaut wird, trügt nicht, im Gegenteil, die Bauarbeiten werden teils gezielt in dieser Zeit verrichtet, da dann weniger Verkehr unterwegs ist. Immer wieder ziehen sich die Bauarbeiter den Unmut der Autofahrer zu. Die Autoclubzeitschrift „ACE Lenkrad“ berichtet sogar davon, daß Straßenwärter von Autofahrern beschimpft und sogar bespuckt werden, weil es so langsam vorangeht. Als ob das die Verantwortlichen wären – und selbst wenn. Dabei ist die Arbeit an den Autobahnen so schon extrem gefährlich. Auch hier gilt: Fair geht vor.
kb