European Championships: Spitze mit dem Speer – Christin Hussong und Thomas Röhler sind Europas Beste

Mann mit Speer.
Mann mit Speer als Bronze. Quelle: Pixabay

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Der Abend sei sehr gemischt gewesen, sagte Robert Harting am Mittwoch bei der Leichtathletik-EM im Berliner Olympiastadion. Ja, und er sei sehr nervös gewesen und voller Emotionen.

Ungewöhnliche Töne für einen 33-Jährigen der als Diskuswerfer alles gewonnen hat, was es aus dem Wurfkäfig heraus zu gewinnen gibt: Olympiasieger 2012, 3x Weltmeister, 2x Europameister.

Eine Bilanz, die ihn zum erfolgreichsten deutschen Leichtathleten im letzten Jahrzehnt machte. Parallel dazu profilierte er sich mit provokanten oder kritischen, aber auch konstruktiven Stellungnahmen zu nötigen Reformen der olympischen Kernsportart. Er war bis heute Stimme und Gesicht der Leichtathletik im Lande.

Sein lange vorher angekündigter Abschied von der Wettkampfbühne wurde medial wie nie zuvor bei einem anderen Sportler in Szene gesetzt. So begleitete ein ARD-Filmteam fast ein Jahr seine Karriere, woraus die Dokumentation „Sechsviertel“ (Bezug auf die Drehung vor dem Diskus-Abwurf) entstand. Mit Entenschnabel und unverkennbarer Harting-Kontur erwiesen ihm die Produzenten der Comic-Serie Donald Duck ihren Respekt. Und den Marketing-Verantwortlichen des DLV (Deutscher Leichtathletik-Verband) gelang der Coup, die Seite eines Hochhauses am Bahnhof Zoo mit einem Harting-Banner in Höhe von 70,66 m zu schmücken. Das entspricht exakt seiner Bestweite mit der 2-kg-Scheibe!

Doch bei seinem letzten internationalen Meisterschaftsauftritt zählten die Meriten der Vergangenheit und all die Zeichen der Anerkennung nicht. Da galt es im Kampf Mann gegen Mann zu bestehen und ein Resultat für einen würdigen Abschied hinzubekommen.

Trotz zahlreicher Verletzungen in zurückliegenden Monaten und zuletzt einer angerissenen Sehne im Knie. Der Wettkampf war für auch deshalb so emotional bedeutsam, weil sich hier in seinem „Wohnzimmer“ ein Kreis schloss. Vor neun Jahren gelang dem Debütanten bei den Weltmeisterschaften an gleicher Stelle mit dem Sieg und 69,43 m der triumphale Beginn einer Ausnahme-Karriere. Am Mittwoch aber musste er trotz allen Bemühens mit 64, 33 m und Platz sechs zufrieden sein. War damit aber nicht zufrieden und daher „hin und her gerissen“ in seinem Sportlerherz.

Zwei Ziele hatte er erreicht mit der Finalteilnahme und dem Abschneiden als bester Deutscher. Doch die insgeheim angestrebte Bronzemedaille schnappte sich der Österreicher Lukas Weißhaidinger mit einer Weite – 65,31 m -, die Harting zuvor in dieser Saison bereits geworfen hat. Doch der erhoffte Schub um ein bis zwei Meter weiter durch die die Kulisse mit 37 000 Zuschauern kam nicht zustande. Trotz der Anfeuerung, als Harting zunächst auf Platz zwei und dann drei rangierte. Trotz der Banner und Spruchbänder mit „Was für eine geile Zeit, danke“ oder „Harting. Legende der Leichtathletik“ und ähnlichen Formulierungen.

Als die anderen (und Jüngeren) im Diskusring seine Vorlage konterten, konnte Harting, bekannt für seine mentale Stärke in den letzten Versuchen, diesmal nicht mehr gegenhalten. Und die beiden Hauptfavoriten, Weltmeister Andrius Gudzius aus Litauen (68,46 m), und Daniel Stahl aus Schweden (68,23 m), hatten sich deutlich vom Rest des Feldes abgesetzt.

Olympiasieger Christoph Harting feuert den Diskus drei Mal ins Netz

Dass der gebürtige Cottbuser seine Wettkampfauftritte mehr als respektvoll abgeschlossen hat, zeigt sich auch darin, dass renommierte Mitbewerber kläglich scheiterten. Der Leverkusener Daniel Jasinski, immerhin 2016 Olympiadritter, verpasste ebenso die Qualifikation wie der frühere Stammgast auf den Siegerpodesten Piotr Malachowski aus Polen, Weltmeister 2015, Europameister 2010/ 2016. Der 35-Jährige fabrizierte drei Fehlversuche in der Qualifikation!

Dreimal ins Netz schleuderte dabei der aktuelle Olympiasieger das Wurfgerät – ein Desaster. Zugleich sorgte Christoph Harting so für die größte Pleite aus deutscher Sicht der ersten beiden Tage. Nach eigener Aussage hatte der 28-jährige Berliner keine Erklärung. Fühlte sich körperlich topfit und übertraf zuvor im Training in Kienbaum regelmäßig die 67-m-Marke.

Die Würfe in der Qualifikation sollten eigentlich als Training für das folgende Finale herhalten.

Bei der Suche nach Gründen für sein Versagen dürften jedoch die Videoanalysen kaum zielführend sein. Vor der EM hatte sich der Bundespolizist in einem Interview verbal wieder einmal verworfen. Er liebe das Diskuswerfen keineswegs, empfinde dafür keine Leidenschaft, sondern Diskuswerfen sei eher sein Beruf. Europameisterschaften seien zudem eher bedeutungslos, für ihn zählen vor allem Olympische Spiele!

Vielleicht ganz gut, dass der 2,07-m-Recke in den sozialen Netzwerken nicht zugange ist. Dort wird er dafür teilweise heftig kritisiert. Und mit dem jüngsten Interview dürfte der eigenwillige Berufssportler nach seiner Hampelei während der Nationalhymne bei der olympischen Siegerehrung die Schar derer vergrößert haben, die ihn als Unsympathisanten ablehnen.

Abel mit 32 ältester Zehnkampf-König

So gehören denn das emotional geprägte Servus der Lichtgestalt des einen (Robert) ebenso zur Harting-Saga wie das peinliche Scheitern des anderen (Christoph) bereits in der Qualifikation.

Die von Robert Harting empfundenen gemischten Gefühle an diesem Abend lassen sich auf das deutsche Abschneiden insgesamt projizieren. Da war der großartige Zehnkampf-Erfolg von Arthur Abele. Er nutzte die Gunst der Stunde, den Ausfall des haushohen Favoriten Kevin Mayer (Frankreich) nach drei Fehlversuchen im Weitsprung. Und erkämpfte die Krone des Europameisters, obwohl er noch nie zuvor eine Medaillen bei internationalen Großereignissen holen konnte. Und fünf Jahre wegen Verletzungen keinen Zehnkampf zu Ende brachte. Sein Resultat von 8461 Punkten liegt knapp 200 Zähler unter seiner Bestmarke (2016) und mit 32 ist er der älteste europäische Mehrkampf-König.

Die Gunst der Stunde nutzte auch der Weitspringer Fabian Heinle mit 8,13 m und der Silbermedaille. Allerdings: Die Weltklasse-Konkurrenz aus Südafrika springt zwischen 8, 40 m und 8,60 m.

Die Silbermedaille der zweifachen Europameisterin Christina Schwanitz aus Chemnitz hat dagegen einen Touch von Enttäuschung, weil sie in den Vorschauen als „sicherste“ Goldprognose des DLV galt. Doch einen Konter der Polin Paula Duba im letzten Durchgang auf 19,33 m konnte die 32-jährige Mutter von Zwillingen nicht mehr erfolgreich erwidern.
Mit den Entscheidungen am Freitag rückten die Gastgeber dann mit 13 Medaillen – dabei 3x Gold – an die Spitze des Nationenrankings vor. Die überragende Christin Hussong brachte die 50 000 Zuschauer mit ihrem Speerwurf-Triumph und 67,90 m in Feierlaune. Kristin Gierisch sprang – wie Hussong mit dem ersten Versuch – im Dreisprung und persönlicher Bestleistung (14,45 m) zu Silber. Bronze holten Siebenkämpferin Carolin Schäfer (6602 Punkte) sowie Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch (1,96 m).

Schon tags zuvor hatten die Besucher gutgelaunt die Arena verlassen. Dafür sorgten vor allem die Speerwerfer mit ihrem Doppelsieg duch Olympiasieger Thomas Röhler (89,47 m) und Andreas Hofmann (87,60 m). Ähnlich bejubelt wurde auch der Silber-Bronze-Einlauf der 100-m-Hürdensprinterinnen Pamela Dutkiewicz (12,72 s ) und Titelverteidigerin Cindy Roleder (12,77 s).

Weitspringerin Malaika Mihambo, 3000-m-Hindernis-Titelverteidigerin Gesa-Felicitas Krause und die 4×100 –m-Staffel der Frauen sollten die Medaillenbilanz für den DLV noch weiter steigern. Vor zwei Jahren in Amsterdam lag die Ausbeute bei 16 Medaillenrängen, darunter 5x Gold.

In der Gesamtwertung der European Championships reichten auch die Erfolge der Leichtathleten – positiv schnitten auch Bahnradsportler sowie Schwimmer/Wasserspringer ab – aktuell noch nicht mehr als zu Rang sechs (43 Medaillen/ 10 x Gold) aus. Bemerkenswert, dass die russische Mannschaft trotz des Teilausschlusses von Sportlern wegen der Dopingaffäre bei den Winterspielen in Sotschi mit 54 Podiumsplätzen in Glasgow und Berlin die Spitzenposition behauptet. Die Briten haben eine Medaille mehr, doch mit 19 deutlich weniger Goldmedaillen als Russland (26).

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