Stralsund, Altefähr, Deutschland (Weltexpress). Schmuck sieht er aus, der braungebrannte Mann mit den vier goldenen Streifen auf den Achseln seines blütenweißen Hemdes. Breitbeinig nach Seemannsart steht er da, der Kapitän des Motorschiffes „Altefähr“. Um ihn herum ein kleine Traube von sommerlich gekleideten Menschen. Sie wollen nur eins: an Bord und sich eine Stunde lang den Hafenwind um die Nase wehen lassen. „Für zehn Euro sind Sie dabei!“, ruft Rober Sauer über ihre Köpfe hinweg und druckt unablässig Tickets aus. Am Ende sind es rund 50, die alle an Oberdeck Platz finden. Das Wetter ist zu schön, um während dieser Mini-Kreuzfahrt im Salon zu sitzen.
„Stralsund traffic, wir wollen uns abmelden“, signalisiert er dem für Stralsund zuständigen Kollegen von der Verkehrsleitstelle in Rostock, der wiederum „einen schönen Tag und gute Fahrt wünscht!“ Sauers rechte Hand, Bootsmann Ralf Möschwitzer, und die Azubine Theresa Wendt stehen vorn und achtern bereit, um die Leinen zu lösen. 10.15 Uhr: Auf das Kapitäns-Kommando „Geht los!“ holen sie die Festmacher ein und verschließen die Türen. Dreimal drückt Sauer kurz den Typhonknopf zum Zeichen, dass die Maschine rückwärts läuft und Vorsicht für alle Fahrzeuge hinter dem Schiff geboten ist. Spätestens nach diesem Schallsignal weiß man es in der Altstadt: MS „Altefähr“ legt mal wieder ab. Für Langschläfer das Zeichen, vielleicht doch mal aufzustehen.
„So, meine Damen und Herren“, begrüßt Kapitän Sauer seine Gäste, „ich darf Sie herzlich willkommen heißen zu einer kleinen Rundreise durch den Stralsunder Hafen. Um 11.10 Uhr sind wir wieder da!“
Corona-Arrest und Sechs Sterne
Nach dem Rückwärtsmanöver weg vom Ippenkai und einer eleganten Drehung schwenkt das schlanke Fahrgastschiff der Weißen Flotte Stralsund in das Hafenbecken ein und nimmt langsam Fahrt auf. „An Steuerbord haben wir die ´Gorch Fock`“, beginnt er seinen Live-Vortrag, denn eine Konserve vom Band ist bei ihm verpönt. „Dafür brauch´ ich nichts während der Fahrten rüber nach Altefähr zu sagen, das ist dann recht entspannend“. Der stets gutgelaunte Seemann liebt seinen Job und den Kontakt zu den Leuten bei einem kleinen Schnack: „Das ist sehr abwechslungsreich“. Daneben ist für ihn wichtig, „abends wieder bei der Familie sein zu können“, was den meisten Seeleuten bei oft monatelangen Fahrtzeiten nicht vergönnt sei. „Ich bin sozusagen ein Heimschläfer“, lächelt er und konzentriert sich wieder auf seine Ansage. Hafeninsel, Speicher, Nordhafen gleiten vorbei, in dem das Flusskreuzfahrtschiff „Swiss Diamond“ liegt, die nach langem Corona-Arrest bald ihren Reisen nach Stettin und Swinemünde aufnehmen soll. Es folgt das rote Fischereiaufsichtsschiff „Strelasund“, das am Oberrhein gebaut wurde, und der fast 100 Jahre alte Hiddensee-Versorger „Aken“.
Die Schatten der Rügen- und Ziegelgrabenbrücken streichen lautlos über die „Altefähr“ hinweg. Mit anschließendem Hinweis auf das Nautineum samt Unterwasserlabor „Helgoland“ und den Dänholm als Wiege der Deutschen Marinen. An Steuerbord der Frachter „Amadeus Gold“ im Südhafen, schräg voraus die „Crystal Endeavor“ am Ausrüstungskai der MV-Werften. „Das sechs-Sterne-Schiff“, erläutert Sauer das edle Wassergefährt, „soll uns am 9. Juli endgültig verlassen. Und wir hoffen alle hier am Sund, dass auch das zweite und zukünftig wieder mehr Schiffe gebaut werden!“
Querab Drigge passiert man die Versenkungsposition der „Gorch Fock“ (I). Die Hintergründe dieser Selbstversenkung am 30. April/1. Mai 1945 werden sachkundig erwähnt.
Von der Pike auf zum Kapitän
Sauer (44) macht Pause und ist bereit, ein paar persönliche Fragen zu beantworten. Geboren auf Rügen als Sohn eines Kapitäns wuchs er auf in Neuendorf. „Die Insel Hiddensee ist meine gefühlte Heimat“, meint er, der nach dem Schulabschluss 2000 bei der Weißen Flotte anfing, Matrose wurde und schließlich 2005 sein Patent „Binnenschiffer A“ ablegte. Es folgte ein Gastspiel auf der Nord-Ostsee-Kanal-Fähre in Brunsbüttel. Vor 12 Jahren übernahm er das Kommando über das „Cabrioschiff“ „Hanseblick“, das vor kurzem per Frachter nach Portugal transportiert wurde. Im Gegenzug konnte er die „Altefähr“ übernehmen. Sie entstand 1996 auf der Yachtwerft Berlin-Köpenick und wurde 2003 auf der Volkswerft modernisiert sowie um vier Meter verlängert. Seither misst sie 27,35 Meter Länge, 5,50 Meter Breite und taucht nur 1,20 Meter ein. Ein 400 PS-IVECO-Motor reicht für die Maximal-Geschwindigkeit von 12 Knoten oder 22 km/h.
Nach dem Unterqueren der Rügenbrücke kommt man an Steuerbord dem in neuem Glanz erstrahlenden Seebad Altefähr näher. An Backbord präsentiert sich jetzt Stralsunds „Schokoladenseite“, deren Silhouette Kapitän Sauer ausführlich würdigt.
Da meldet sich an der offenen Tür zum Steuerhaus ein Junge, ob er denn mal auf die Brücke dürfe. „Kein Problem!“ Denn der Kapitän freut sich über das jugendliche Interesse. Calvin Schulz (12) ist Stralsunder und macht mit seiner Feriengruppe aus dem Kreisdiakonischen Werk einen Ausflug. Die Hafenrundfahrt mach´ ich zum ersten Mal“, gesteht er, auch dass ihn der Kapitänsberuf interessiere. Sein syrischer Kumpel Mohammed (11) staunt nur mit großen Augen über die nautische Technik. „Binnenschiffer ist ein gefragter Beruf“, gibt ihnen Sauer mit auf den Weg, „vielleicht wär´ das ja später mal was für Euch!“
„Auf Wiedersehen bis zum nächste Mal!“, verabschiedet sich Kapitän Rober Sauer auf Höhe der „Gorch Fock“ (I). Pünktlich um 11.10 Uhr macht die „Altefähr wieder fest, um anschließend als Fähre Kurs auf Altefähr zu nehmen.