Welch ein Bild, das Julia Schoch auf Seite 44 ihres jüngsten Romans entwirft! Allein dafür lohnt die Lektüre dieser Abhandlung einer Abwesenheit, die durch und durch gelungen ist. In wenigen Stunden ist das Buch verschlungen, die Sätze klingen lange nach. Bereits mit dem stimmigen Cover greift der Verlag dem Text vor; wie eine Erinnerung an ihren letzten Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ bildet eine Plattenbausiedlung auf herbstgoldenem Gras den Hintergrund für das Paar. Eine Frau hält sich eine Kamera vor das Gesicht, die uns sucht. Oder den am linken Bildrand angeschnittenen und aus dem Bild fliehenden Mann. Verwischt, irreal.
Die Nacherzählung einer Liebesgeschichte ist an eine Spielleidenschaft gekoppelt. Ein Paar spielt gemeinsam in deutschen Spielsalons Roulette, gelegentlich schlafen sie miteinander und kommen sich dennoch nicht wirklich näher. Der Rahmen bleibt beliebig, Zeit, Berufe und Interessen werden angedeutet, nur sein Name – Bonaparte – steht auf beinahe jeder Seite. Und obwohl dieser Name ein Verständnis für Geschichte impliziert, weigert sich Bonaparte in der Erinnerung der Erzählerin, Geschichte als Stufen einer Treppe, auf der die Menschheit voranschreite, anzuerkennen. „Geschichte ist nichts als mangelnder Respekt vor dem Tod“, wird ein Spruch, der vielleicht auf den Indianerhäuptling Sitting Bull zurückzuführen ist, zitiert. Es gibt viele „vielleichts“ in diesem Bändchen, viele Leerstellen und immer wieder Wagnis. Das Wagnis der Liebe, des Spiels. Von Gehen und Kommen. „Nichts, was wir sagen oder tun, lässt und je wieder los.“
Woher nimmt eine noch nicht vierzigjährige Autorin die Kraft und die Weisheit, die in diesen scheinbar leichten Sätzen schlummern? Fließenden Gedichten gleich strömt eine starke Stimme in immer weitere Gewässer, wir folgen frohlockend!
Julia Schoch, Selbstporträt mit Bonaparte, Roman, 142 S., Piper Verlag München, Zürich, 2012, 16,99 €