Das ist für mich nicht wirklich ein Aussetzen gewesen. Sie wissen vielleicht, wie schwer es ist extravagante Projekte finanziert zu kriegen. Außerdem wieso Aussetzten? Ich mache ja dauernd Theater. Wenn Sie bedenken, anteilig sind es mittlerweile etwa 75 Theaterinszenierungen und „nur“ 35 Filme!
Das heißt, Sie haben unmittelbar nach „Deux“, Ihrem letzen Spielfilm mit Isabelle Huppert aus dem Jahr 2002, das nächste Projekt schon im Kopf gehabt?
Ja, absolut. Ursprünglich war das die Verfilmung eines Romans von James Baldwin. Sein erster Roman, den er in Paris geschrieben hat, „Giovannis Room“, eine wunderbare Geschichte. Daran hat man sehr lange rumgemurkst zusammen mit Produzent Paulo Branco, der auch „Diese Nacht“ produziert hat und mit Frieder Schlaich auf deutscher Seite. Dann kam meine Krankheit dazwischen, und wenn man im Krankenhaus liegt, kann man keine Filme machen. Na und dann stellte sich heraus, dass „Giovannis Room“ zu teuer werden würde. Hauptdrehort wäre Paris gewesen, da ist alles doppelt so teuer, als sonst wo. Außerdem wäre der Film im 50er-Jahre-Dekor angelegt gewesen, man hätte also alles entsprechend ausstatten müssen. Das war einfach zu kostspielig. Und als ich dann aus dem Krankenhaus herauskrauchte, kam Paulo Branco auf mich zu und sagte: „Werner, komm wir machen wieder einen Film!“ – Und so kamen wir dann auf den Onetti und „Para esta noche“.
Gab es bei Ihrem Projekt produktionsbedingte Zwänge, welche Sie hinsichtlich Ihrer künstlerischen Arbeit zu Kompromissen gezwungen haben?
Nie. Und schon gar nicht bei Paolo Branco. Der kam nicht mal zu den Dreharbeiten. Der hat zu mir völliges Vertrauen. Überhaupt, mir hat noch nie jemand in meine Arbeit reingeredet, in vierzig Jahren nicht. Ich hab noch nie einen Kompromiss gemacht.
Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden und spiegelt der Film das wieder, was Sie selbst vorhatten darzustellen?
Absolut. Hundert Prozent.
Sie erzählen in Ihrem Film eine Stadt, die in ihrer Auflösung begriffen ist. Einige Kritiker interpretierten dies symbolisch als eine Art Abgesang auf die Menschheit im Allgemeinen. Liegen diese Leute richtig und ist Ihrer Ansicht nach die Welt schlechter geworden?
Dieses Santa Maria, was Onetti erfunden hat, ist eine Fantasie-Stadt, eine Imagination und ganz sicher allegorisch und metaphernhaft angelegt, ganz klar. Es zeigt den möglichen Zustand in einer unmöglichen Welt. Dennoch ist damit nicht gemeint, dass die Welt grundsätzlich schlechter geworden ist. Der Roman ist vielmehr eine sensible Beschreibung von Selbstsabotage des Menschen, gefolgt von der Sabotage am anderen. Ein Übereinandergreifen, in dem alle Kräfte negativ werden, die sonst positiv sein könnten. Aus Demokratie wird Gewalt, aus Liebe wird Besessenheit. Der Film und das Buch sind also eher Hinweise auf die Hinfälligkeit und die Anfälligkeit des Zusammenlebens.
Begreifen Sie sich in diesem Schauspiel eher als außen stehender Beobachter?
Ich meine, wir sitzen doch alle im gleichen Boot. Deshalb ist diese Metapher im Film ja auch schön, wo die Leute im Hafen um Billets kämpfen, um diesem Desaster zu entkommen. Am Schluss legt das Schiff ohne sie ab. Niemand ist an Bord und die Menschen sterben. Kein Mensch ist nur Betrachter der Welt, jeder ist beteiligt daran, also ich auch.
In einer Anmerkung zum Film schreiben Sie, dass das Kino neue Wege finden muss, um so elementare Kräfte, wie die Liebe oder den Tod darzustellen. Ist Ihr Film als Teil dieses neuen Weges zu begreifen?
Ich glaube, ich war immer ziemlich eigen, gehörte nie wirklich zu irgendwelchen Gruppen. Meine Arbeit war oft von der Suche nach neuen Formen bestimmt, natürlich vom Inhalt ausgehend. Inhalt ist für mich immer auch der Sinn und das Sinnliche. Ich finde, neue Formen zu finden, ist extrem wichtig. Und ich sehe, dass dieser Aspekt, also die Suche nach einer formalen Bewältigung von Inhalten gerade bei uns in Deutschland zu sehr in den Hintergrund getreten ist. Das finde ich schade.
Wie oft sind Sie im letzten Jahr im Kino gewesen?
Selten. Na doch, als ich im Krankenhaus lag. Ich mein, ich bin ein Nachtmensch und nachts gibt’s kein Kino. Also musste ich oft zu DVDs greifen.
Wussten Sie, dass man in einer gut sortierten Videothek, mangels Veröffentlichungen auf dem deutschen DVD-Markt, keine Schroeter-Filme ausleihen kann?
Das ist komisch. Eigentlich gibt es einige, die in Deutschland raus gekommen sind, „Palermo oder Wolfsburg“, „Abfallprodukte der Liebe“, „Malina“. Aber die Filme sind zum Teil so alt, dass viele davon restauriert werden müssen. Das ist gerade, dank des Engagements von Frieder Schlaich auf den Weg gebracht worden. Demnächst werden etwa 22 Filme, also mein so genantes Gesamtwerk, als Kollektion erscheinen.
Fühlen Sie sich in Deutschland heimisch?
Wenn ich hier bin, fühle ich mich schon recht heimisch. Aber ich fühl mich genauso heimisch, wenn ich in Frankreich bin oder in Italien oder in Mexiko. Also in den Ländern, wo mein Herz ist. Aber ich bin dennoch immer irgendwie auf der Durchreise. Mein Leben besteht so aus Stationen, zwei Monate plus Vorbereitungszeit für eine Theaterinszenierung. Mal ist es Paris, mal ist es Kassel, dann ist es Düsseldorf. Ich bin immer so zweieinhalb Monate an einem Ort und so mache ich das schon seit Ewigkeiten.
Ihr Filmheld hastet gleich einem Getriebenen durch eine Stadt im Nirgendwo. Ist der Tod, der am Ende im Hafen auf ihn wartet für ihn eine Chance endlich zur Ruhe zu kommen?
Nein, dieser Tod ist der Sieg des Opportunismus über die Hoffnung. Dieser Assistent von dem Oberschurken erschießt ja auch das kleine Mädchen. Damit ist jede Hoffung hin, auch von dem, der immer noch sucht zu helfen und zu retten. Es triumphiert der Opportunismus. Das Schwein im Galopp siegt. Dafür steht die letzte Szene.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Dass es mir gelungen wäre, wirklich lieben zu lernen. Das wäre ein Wunsch von mir. Und Sie, was würden Sie sich wünschen?
* * *
Filmtitel: Diese Nacht
Land/Jahr: Frankreich, Deutschland, Portugal 2008
Regie: Werner Schroeter
Länge: 118 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 02.04.2009