Das umgebaute Hotel ist heute ein Seniorenheim. Abgesehen von den Bewohnern des Heims scheint sich selten ein Mensch in die abgelegene Gegend nahe der Küste zu verirren. Fast besitzt der Ort eine symbolische Qualität, die Aura einer allegorischen Stätte, dem letzten Heim. Ein Tag gleicht hier dem anderen. Kleine Freuden, kleine Unfälle und immer wieder das Verstreben eines Heimbewohners. Der Tod ist ein beständiger Gast in des einstigen Hotels. Seinem Besuch sehen die Bewohner gelassen entgegen. Caissy wohnt als unsichtbarer, doch respektvoller Gast ihrem Alltag bei. Ist „La belle Visité“ beendet, meint man, die Menschen zu kennen, welche hier in Würde ihren Lebensabend verbringen. Still, fast stumm sind die Szenen, welche die Kamera einfängt. „La belle Visité“ kommt ohne einen Hintergrundkommentar aus, ohne Interviews und musikalische Untermalung. Die Kargheit der Handlung verleiht der Dokumentation fast experimentellen Charakter. „La belle Visité“ ist ein unscheinbares, aber feines filmisches Paradoxon. Jean-Francois Caissys Werk verhält sich bewusst distanziert gegenüber seinen Protagonisten und erzeugt gerade aus jener Distanz die größtmögliche Nähe. Gleichzeitig mehr und weniger als Dokumentarfilm, beobachtet „La belle Visité“ fast jeden Schritt der Bewohner des Altersheims und verrät dennoch fast nichts über sie. Es zeugt von der Sensibilität und dem filmischen Gespür des Regisseurs, jene zärtliche Vertrautheit zu erzeugen, welche sein Werk so sehenswert macht.
Keine individuelle Biografie steht im Zentrum der Reportage, keiner der alten Menschen erzählt seine Geschichte. Man erfährt nichts über die Vergangenheit der Personen oder ihre gegenwärtigen Lebensumstände jenseits des Heimalltags. Für die Dauer des Films existiert nur der Mikrokosmos innerhalb des Altenheims. Es ist, als höre jenseits von dessen Wänden die Welt auf zu existieren. Es ist ein filmisches Wagnis von Caissy, seine gesamte Handlung auf das Beobachten der Menschen zu beschränken. Ruhig, fast ereignislos verstreicht die Zeit in dem kleinen Ort. Manchmal scheint sie still zu stehen. Diese Reduzierung ist die besondere Stärke des Films. Ihr verdankt „La belle Visité“ seine Fokussierung, welche den Zuschauer Teil dieser stillen, kleinen Welt werden lässt. Gleichzeitig macht sie die Dokumentation fordern und langwierig. Müde klingt die Stimme einer Heimbetreuerin, als sie nach einem Gesellschaftsspiel dem Gewinner mit einem ‚Bravo‘ gratuliert. Ebenso müde fühlt man sich nach der gemächlichen Dokumentation. Und dennoch stimmt man ein in das Lob: ob der bewegenden Kraft, welche Caissy aus der Ruhe schöpft, welche für viele der Heimbewohner bald die des Todes sein wird. Bravo.
Originaltitel: La belle Visité
Englischer Titel: Journey ´s End
Berlinale Forum
Land/Jahr: Kanada 2009
Genre: Dokumentarfilm
Regie und Buch: Jean-Francois Caissy
Laufzeit: 80 Minuten
Internet: www.labellevisite.com
Bewertung: ***