Ein Sprint-Leichtgewicht mit dualen Qualitäten – Olympiastarter Lucas Jakubczyk

Lucas Jakubczyk © WELTEXPRESS

Zu den Ausnahmen des gängigen Erscheinungsbildes erfolgreicher Kurzstreckler zählt ein 27-Jähriger, der als eine der größten positiven Überraschungen der deutschen Leichtathletik in diesem Sommer gilt: Lucas Jakubczyk, Deutscher Meister über 100 m in 10,16 s (zuviel Rückenwind/ reguläre Bestzeit 10,20 s), EM-Zweiter mit der Staffel in Helsinki.

Selbst Freunde der olympischen Kernsportart dürften seinen Namen bis dato kaum gekannt haben. Denn der Mann vom SC Charlottenburg in Berlin hatte bis dato lediglich einen fünften Rang im Weitsprung als beste Einzelplatzierung bei nationalen Titelkämpfen zuwege gebracht. Dass er bei Junioren-Weltmeisterschaften 2004 mit mäßigem Erfolg – 18. im Weitsprung, 4. mit der 4×100-m-Staffel – am Start war, dürfte selbst bei Insidern nicht erinnernswert geblieben sein…

Der Student der Sportwissenschaften an der Humboldt-Uni ging mit Bestmarken von 7,85 m im Freien bzw. 7,88 m in der Halle und 10,49 s in die aktuelle Saison. Keine Ausgangswerte, bei denen man ernsthaft Olympia im Blick haben konnte. Weil seine Weitsprung-Karriere immer wieder von meist Fuß- und Beinverletzungen beeinträchtigt wurde, sich im Herbst erneut Beschwerden einstellten, machte ihm Trainer Rainer Pottel, einst ein 8000-Punkteathlet im Zehnkampf, im Februar den Vorschlag: "Wir lassen mal dieses Jahr das Springen sein und beschäftigen uns nur mit dem Sprint."

Diesem Strategiewechsel folgte ein Hausrekord über 60 m in der Halle (6,70) und im Freien die erwähnten Steigerungen (200 m nun 20,77 s). Sowie die Erfolgsmomente bei nationalen und europäischen Meisterschaften. Und die Nominierung für die Sprintstaffel beim olympischen Welttreffen. Beim Vorbereitungs-Lehrgang und Sommerfest in Kienbaum wurde er dem für den Sport zuständigen Innenminister Hans-Peter Friedrich als "schnellster Mann Deutschlands" vorgestellt. Jakubczyk: "Ich habe nie gedacht, in solche Dimensionen vorstoßen zu können." Sportlich nicht und vom Status her!

Als er nach dem Abi aus dem Vogtland (aufgewachsen in Syrau) vor acht Jahren nach Berlin kam, war allerdings die Zielrichtung Leistungssport klar fixiert. Der junge Mann war von den Trainingsmöglichkeiten in der Hauptstadt angetan und arrangierte sich mit dem erfahrenen Pottel. Der u.a. Martin Buß zum Hochsprung-WM-Titel und Andre Niklaus zum Hallen-WM im Mehrkampf geführt hatte.

Dass ihm aber erst jetzt der Durchbruch gelang, hängt damit zusammen, "dass ich keine Verletzungen hatte, privat, beruflich und sportlich derzeit alles passt. Außerdem ist mein Start dank des Spezialtrainings deutlich besser geworden."

Wie viele Topathleten zeichnet ihn eine unverkennbare Hartnäckigkeit aus. Vor zwei Jahren verzichtete auf die finanzielle Sicherheit der Bundespolizei-Ausbildung, "weil das einfach nicht mein Ding war". Obwohl er bis heute als Nichtkader-Athlet keine Sporthilfe-Förderung bekommt: "Ich hatte etwas vom Bundespolizei-Gehalt gespart. Dazu habe ich beim Studium Bafög 670 Euro monatlich. Sowie Unterstützung vom Verein und meinem älteren Bruder, der als DJ ganz gut im Geschäft ist." Als Gegenleistung für die Vereins-Unterstützung ist er als Nachwuchs-Übungsleiter für den SCC aktiv.

Wie unerwartet und plötzlich der Aufstieg des Wahlberliners gekommen ist, lässt sich auch an der Verbands-Homepage ablesen, wo sein Name unter der Rubrik Nationalmannschaft weder beim Sprint/Weitsprung noch bei der 4×100-m-Staffel auftaucht…

Im Gegensatz zu den Fußball-Nationalspieler Lukas Podolski oder Miroslav Klose ist Jakubczyk nicht in Polen zur Welt gekommen, sondern waschechter Sachse. "Meine Großeltern sind mal aus Schlesien ins Vogtland gezogen, wo ich in Plauen geboren wurde."

Bei 1,85 m Körperhöhe, wiegt Jakubczyk lediglich 76 kg. Vergleichbar mit dem derzeit schnellsten Europäer (9,92 s) Christophe Lemaitre aus Frankreich. Und erinnert im Habitus und den dualen Qualitäten Weitsprung/Sprint an deutsche Vorbilder wie Manfred Steinbach oder Siegfried Schenke. Beide sehr schlank und schnellkräftig. Steinbach, erst DDR, dann Bundesrepublik, war u.a. DDR-Meister über 100/200 m, Weitsprung, dann Mitläufer in der deutschen 4×100-m-Weltrekordstaffel (mit Lauer, Fütterer, Germar), Olympiavierter 1960 im Weitsprung. Der Thüringer Schenke stieg vom Weitsprung (etwas über 8 m) zum Sprint um, war EM-Vierter 1971 über 100/200 m und bei den Spielen 1972 in München 6. über 200 m sowie 5. mit dem DDR-Quartett.

Wie jene oder aber der Jahrhundert-Athlet Carl Lewis aus den USA (8x Weltmeister und 9x Olympiasieger im Sprint/Weitsprung) von 83 bis 96, profitiert Jakubczyk vom geringen Körpergewicht und einem extrem guten Abdruck aus den Fußgelenken: "Ich habe nicht die super Schrittfrequenz, aber mit jedem Schritt einen guten Raumgewinn."

Auf das olympische Treffen freut er sich riesig (Facebook: "Einfach geil – ich bin dabei. Freu mich auf die Wettkämpfe im vollen Stadion und die Begegnungen mit den Weltstars anderer Sportarten"), obwohl eine bürokratische Haltung des Verbandes dem 100-m-Halbfinalisten der EM den Auftritt im Einzelwettbewerb verwehrt.

Jakubczyk hat zwar die internationale B-Norm (10,24), doch nicht die DLV-Qualifikationsnorm für die 100 m erfüllt (10,16). Er könnte dennoch bei den Vorläufen/Zwischenläufen am Samstag (4. August) antreten und versuchen, das Halbfinale am folgenden Tag zu erreichen. Dabei Bahn, Stadion, Callroom, Erwärmungsarea, den Starter usw. kennenlernen. Wertvolle Kenntnisse für den Staffelstart (Freitag/Samstag 10./11. August). "Ich wäre sehr gern, im 100 m Einzel angetreten", bekräftigt Jakubczyk. Doch die Formalisten – DVL und DOSB – ließen das nicht zu. Und so ist denn unter den etwa 80 Teilnehmern des olympischen 100-m-Rennens kein Deutscher dabei!

Weil die Sprintwelt von Muskelmännern aus Jamaika und den USA dominiert wird, bleibt auch die Zielstellung für das 4×100-m-Quartett bescheiden: "In den Endlauf möchten wir wie 2008 auf jeden Fall einziehen." Dass möglicherweise mehr möglich ist, zeigten die 38,02 s des DLV-Quartetts jetzt in Weinheim: Deutscher Rekord, 0,27 s schneller als ein DDR-Vierer vor 30 Jahren, Rang drei in der aktuellen Weltbestenliste hinter den USA und Jamaika. In Weinheim  schnappte Teamkollege Julian Reus mit 10,09 s dem Berliner auch die nationale Jahrestmarke weg.

Was nach Olympia kommt? – Voraussichtlich eine Kadereinstufung und Sporthilfe-Unterstützung. Und Weitsprung?- "Der ist nicht weg aus meinem Kopf. Da bin ich nach wie vor sehr interessiert." Acht Meter und ein bisschen weiter sollten möglich sein.

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