Ein Muster-Frankfurter und ein Muster-Demokrat – „Frankfurts demokratische Moderne und Leopold Sonnemann. Jude, Verleger, Politiker, Mäzen“ im Historischen Museum Frankfurt am Main

Ausstellungsplakat „Frankfurts demokratische Moderne und Leopold Sonnemann“

Und daß er das ganz sicher nicht täte, hat nicht damit zu tun, daß wir heute in einer Demokratie leben und Meinungsäußerungen laut Grundgesetz frei sind. Denn auch heute gibt es das, was man ’veröffentlichte Meinung` nennt, so ein unausgesprochenes Einverständnis, was öffentlich gesagt und worüber lieber dezent geschwiegen wird. Derzeit sind es in Hessen die Fälle der zwangspensionierten Steuerfahnder und auch der kaum glaubhafte Wolski-Skandal, wo erneut die Steuerbehörden in Hessen mehr als im Zwielicht stehen, die einen Normalbürger an die Ungerechtigkeit der Welt, hier vertreten durch die Staatsgewalt in Hessen, glauben lassen und die Sehnsucht nach einem wie Leopold Sonnemann evozieren. Wenigstens die Frankfurter Rundschau ist derzeit ein würdiger Nachfolger des bedeutsamen Zeitungsmannes. Die FAZ nicht.

Die wenigsten Frankfurter können mit dem Namen „Sonnemann“ etwas anfangen. Sie kennen die Sonnemannstraße im Ostend, wo – als Reminiszenz nicht schlecht – heute die Volkshochschule residiert und wo – noch wichtiger – aus der alten Großmarkthalle die neue Europäische Zentralbank entsteht, aber, welche Bedeutung der Mitbürger Leopold Sonnemann, der erst als Erwachsener nach Frankfurt kam, für diese Stadt und darüber hinaus für die demokratische Entwicklung in Deutschland besaß, das kann erst diese Ausstellung deutlich machen, die ähnlich wie die kürzlichen über den Struwwelpeter-Autor, Psychiater und Frankfurter Urgestein Heinrich Hoffmann uns eben auch zeigt, daß das 20. Jahrhundert schändlich umgegangen ist mit dem kulturellen Gedächtnis des 19. Jahrhunderts, das uns eher als Plüsch und Müll des Historismus bekannt wurde, denn als Aufbruch und Vorbereitung, auf ein Deutschland, in dem sich die Bewohner ernsthaft mit der politischen und gesellschaftlichen Ausrichtung des Landes befassen. Das ändert nun also das 21. Jahrhundert und bringt nach den verdienstvollen Ausstellungen um den Frankfurter Heinrich Hoffmann nun sein so anders geartetes Pendant.

Leopold Sonnemann wurde 1831 bei Würzburg geboren und starb in der Stätte seines Wirkens, in Frankfurt am Main 1909. Seine Eltern waren strenggläubige Juden und mußten Franken wegen antisemitischer Ausschreitungen verlassen. Sie zogen 1840 nach Offenbach, hatten eine Tuchhandlung, wo der junge Sonnemann als Kaufmann mitarbeitete. Aber die Ereignisse um die Frankfurter Paulskirche 1848/49 hatten Leopold politisiert und als er 1853 als Erbe die väterliche Firma übernahm, wandelte er sie zu einem Bankunternehmen um, einem international so erfolgreichen, das ihm fürderhin erlaubte, als Privatier Politik machen zu können und gesellschaftliche Projekte zu finanzieren. Bei Sonnemann war das kein Gegensatz: Geld und Politik, sondern letztlich wurde ihm jedes seiner Unternehmungen, die ideelle Zielsetzungen hatten, auch wirtschaftlich ein Erfolg. Als er die „Frankfurter Zeitung“ gegründet hatte, die erst einmal Frankfurter Handelszeitung hieß, mußte er der Preußen wegen, die seit 1866 die einst freie Reichsstadt Frankfurt besetzt hielten, nach Baden-Württemberg ausweichen, konnte bald zurück und als alleiniger Besitzer dieser Zeitung ihr das radikaldemokratisches Gesicht geben, das für die Paulskirchenbewegung stand, und das Sonnemann bis zum Ausscheiden aus der Verlagsleitung 1902 beibehielt.

Die Ausstellung im Historischen Museum in Frankfurt am Main kann diesen Einfluß einer einzigen Person auf sein gesellschaftliches Umfeld sehr gut aufzeigen, zumal zwar die Person Sonnemanns im Vordergrund steht, aber die gesamte demokratische Bewegung dieser Zeit mitgemeint ist, die man heute als ’Demokratische Moderne` im 19. Jahrhundert kennzeichnet und in der bei all unserer Begeisterung für den Struwwelpeter-Heinrich Hoffmann doch deutlich gesagt werden muß, daß dieser zwar moderne Erziehungsmethoden favorisierte und Licht und Luft für psychisch Kranke durchsetzte, aber politisch doch eher konservativ war und das hieß auch kaisertreu und preußenkompatibel. Gleichzeitig wird die Person Sonnemanns nicht nur auf seine eminent wichtige politische Funktion reduziert. In der Rotunde der Ausstellung werden die verschiedenen Rollen, hier als Jude, als Verleger, als Politiker und als Mäzen thematisiert und strahlen in die anschließenden Räume zur Vertiefung aus. Da sieht man dann, daß auch Sonnemann als Freigeist seiner Zeit Mitglied einer Loge war. Allerdings waren das schon die Zeiten, wo in den allgemeinen deutschen Logen Juden nicht mehr aufgenommen wurden – weshalb Heinrich Hoffmann seine Loge verließ – und so Sonnemann seit 1855 Mitglied der Loge „Zur aufgehenden Morgenröte“ wurde, einer rein jüdischen Loge, was eigentlich gegen das Prinzip der Freimaurerei ist, aber hier Notwehr bedeutete.

Da gibt es beim Weitergehen so interessantes dokumentarisches Material zu sichten, wie auch die Fotos der damaligen Zeit – meist sehr sehr würdige Herren, wie die Vorstandsmitglieder der Elektrotechnischen –Ausstellung von 1891 – eine Geschichtsstunde für sich sind. Aber am allermeisten hat uns die Funktion Sonnemanns als Bankier überrascht, die wir in seinen Funktionsbeschreibungen extra aufgenommen hätten. Diese historischen Taten machen nämlich klar, welche gesellschaftsaufbauende Funktion Aktiengesellschaften einst zukam. Da wurde nämlich von den Aktienerwerbern nicht gefragt, wie bekomme ich schnellstmöglich eine hohe Dividende, sondern diese Aktiengesellschaften wurden gegründet und mit Einlagen bestückt, damit erst einmal das Geld für die Initierung und Durchführung bestimmter Projekte zur Verfügung stand. Daß diese wirtschaftlich erfolgreich sein würden, bezweifelte man nicht. In Frankfurt waren das der Palmengarten, die Brücke Eiserner Steg, das Hotel Frankfurter Hof, aber später unterstützte Sonnemann auch den Bau des Hauptbahnhofes und der Alten Oper. Er hielt also durch seine offenen Worte in der Frankfurter Zeitung nicht nur den Rücken für demokratische Meinungen hin, sondern er gestaltete auch modernes zeitgemäßes Leben in einer Großstadt.

Sehr gut zeigt die Ausstellung auch die Scharnierfunktion, die der Technik bei einer Modernisierung der Gesellschaft zukam. Strom war für alle da, das Badewasser konnte für alle Stadtbewohner warm geliefert werden, und wer kein eigenes Bad besaß – und das waren die meisten – der konnte in die Stadtbäder gehen, die eingerichtet wurden als „Freibadstiftung“ , auch kostenlose Wannenbäder. Aber Wasser ist nicht alles, die Volkserziehung, die Volksbildung und die Teilhabe an künstlerischen Werken für das Volk machte sich Sonnemann genauso zum Programm. Er gründete den Städelschen Museumsverein, bis heute der mitgliederstärkste Museumsverein in Deutschland und sorgte dafür, daß das Städelmuseum kein auf die Vergangenheit gerichtetes Kunstinstitut blieb, sondern ein durch die Mitglieder und Besucher favorisiertes Museum, in dem die Kunst der Gegenwart, die künstlerische Moderne einzog.

„Der hielt sich an keine Regeln. Er paßte nicht in das Bild von Gesellschaft, das damals in den Köpfen der Menschen existierte. Für ihn waren Kultur und Technik keine Widersprüche oder sich als Journalist kritisch zur Politik zu äußern und gleichzeitig Politiker zu sein. Er glaubte an die klassenlose Bürgergesellschaft, er war für Menschenrechte, für den Rechts- und Sozialstaat und für Europa. Das sind alles hoch aktuelle Themen“, sagt Jürgen Steen, leitender Kurator der Ausstellung. Auf den 700 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigen nun rund 600 Exponate dieses Leben eines Mannes, das den vielen gewidmet war. Schön, daß auch der Privatmann Sonnemann zumindest in seinem Kunstgeschmack präsentiert wird: Wie in einer Kunstkammer sind Gemälde, ägyptische Kunst und Judaika zu sehen. Ach, wünscht man sich nach der Besichtigung: Gäbe es doch solche Sonnemanns auch heute. Wir kennen keinen. Auch und erst recht nicht in Frankfurt am Main.

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Ausstellung: bis 28. Februar 2010 in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt am Main

Katalog: Frankfurts demokratische Moderne und Leopold Sonnemann. Jude, Verleger, Politiker, Mäzen, hrsg. von Anna Schnädelbach, Michael Lenarz und Jürgen Stehen, Societäts-Verlag 2009, Schriften des historischen museums frankfurt, hrsg. von Jan Gerchow, Band 29

Leopold Sonnemann hatte auch die Societätsdruckerei gegründet, noch heute die Druckerei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in der nach der Vernichtung der Sonnemannschen Unterlagen durch die Nazis vieles zur Erinnerung aufbewahrt wurde, was jetzt in der Ausstellung zu sehen ist.

Internet: www.historisches-museum.frankfurt.de

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