Sonntag Morgen im ICE auf der Strecke von Köln nach Berlin. Sie sind um 06.30 Uhr aufgestanden. Ist das nicht ein wenig früh für einen Musiker?
Maurenbrecher: Oh ja, aber wenn ich das vorher weiß, ist es eigentlich auch wieder schön, denn freiwillig mache ich es ja nie.
In den letzten zwei Tagen haben Sie auf zwei sehr unterschiedlichen, aber für Inhalt bekannte Festivals gespielt. Es waren sehr viele junge Leute in Mainz auf dem Open Ohr Festival und viel mehr ältere Leute auf der Burg Waldeck – die Konzerte waren unterschiedlich, die Reaktionen waren unterschiedlich. Wo fühlt sich der Liedermacher und Song-Poet Manfred Maurenbrecher auf der Bühne eigentlich am meisten Zuhause?
Maurenbrecher: Na so wie gestern Abend auf der Waldeck das war ein wunderschönes Erlebnis für mich. Weil ich da das Gefühl hatte, dass das Publikum so ziemlich bei allem, was ich da oben auf der Bühne anstelle mitgeht und nichts verloren geht, von dem was ich ausprobiere. Es gibt ja immer so Passagen wo ich ins Blaue rein erzähle. Und dann gibt es Sachen, wo es plötzlich sehr ernst wird und wo es wieder sehr ausgelassen wird und die gehen bei allem mit. Das ist dann schon so was wie ein Zuhause, weil ich da auch das Gefühl habe da sind Menschen die vielleicht so einen gleichen Lebensraum haben und vieles an Sehnsüchten und Grunderfahrungen teilen. Dieses Gefühl hatte ich vorgestern nicht, ist ja auch kein Wunder, weil das waren Leute die zwischen 18 und 30 waren und ich war dreimal so alt wir die, wie soll sich da ein gleicher Lebens- und Erfahrungsraum herstellen
Wie ist denn eigentlich Ihre Berufsbezeichnung Liedermacher,Songpoet, Musiker oder Geschichtenerzähler.
Maurenbrecher: Ja das ist schwierig, ich sage eigentlich gerne Liedermacher. Das ist zwar ein altertümlicher Begriff, aber man sagt ja auch Filmemacher oder Theatermacher, das sind alles Worte, die aus dem Handwerklichen kommen, und das Handwerkliche vielleicht etwas überbetonen, gegenüber dem Genialen und ich sage eigentlich gerne ich bin Geschichtenerzähler am Klavier. Ich habe mal irgendwo geschrieben, ich mag das modische an der Pop-Musik nicht, aber ich mag den Schwung davon. Ich mag das erhabene und gespreizte an dem Literarischen nicht, aber die Tiefe davon und so ist es ein bisschen.
Im Herbst erscheint mit Hoffnung für Alle ihr 14tes Album. Hoffnung für Alle wurde ebenso wie Ihr erstes Album 1982 mit dem Titel Maurenbrecher mit einer Band eingespielt. Vor 27 Jahren waren die Spliff-Leute um Herweg Mittereger und Ulla Meinecke dabei. Heute haben Sie Ihr Album mit Jule Schwarz, Marco Ponce, Andreas Albrecht und anderen eingespielt. Kann man eine solche Entwicklung beschreiben?
Maurenbrecher: Nein eigentlich nicht. Es gab vor der Erfahrung von mir mit den Spliffern; noch so eine spontan zusammengestellte Politband die sich Trotz und Träume nannte, wir waren eigentlich vier Laien, die sich die Musik im Spiel erobert haben. Was dann durch diese hoch qualifizierten Rock-Musiker von Spliff auf mich zukam, das habe ich damals schlecht verkraftet und musste mir große Mühe geben, das zu verkraften. Der Umgang, den die Spliff-Leute mit der Musik hatten, war mir damals total fremd. Die Band, mit der ich dann jetzt spiele, ist ja schon die fünfe oder sechste. Die Beziehung, die ich zu Andreas Albrecht, dem Schlagzeuger und auch meinen Produzenten habe, ist sehr lange gemeinsame Erfahrung. Wir arbeiten seit 12 Jahren zusammen und auch mit Marco Ponce Kärgel, dem Gitarristen, wir haben uns dann zu dritt einen bestimmten Stil angeeignet, den man dann den Maurenbrecher-Band-Stil nennen kann. So spielt die Band mit anderen nicht und so spielen die auch nicht ohne mich und ich spiele die Lieder alleine auch ganz anders. Das ist ein sehr eigentümlicher Stil und dafür braucht man eine ganze Menge Zeit.
Und wie würden Sie diesen Stiel beschreiben?
Maurenbrecher: Das ist ein Groove mit manchmal aufblitzenden Melodiefragmenten, das kommt dem, dass ich so rhytmisch erzähle, sehr nahe. Ich muss nur auf dem Klavier sehr viel weniger machen, als wenn ich alleine spiele.
Sie sagten gestern bei Ihrem gefeierten Konzert auf Burg Waldeck: „Die Titel meiner Alben werden immer optimistischer, ich selbst bleibe mehr wie ich bin.“ Was bedeutet also „Hoffnung für Alle“ als Titel und als Inhalt?
Maurenbrecher: Es gab ja das Mittwochsfazit mit Horst Evers und Bov Bjerg. Und Hoffnung für Alle war ein Titel, den sich Horst Evers mal aus einer Verlegenheit heraus ausgedacht hat. Ich habe dann gleich gesagt, lass uns das doch so nennen: Hoffnungs für Alle, außer für fast alle und so endet dann ja auch das Stück was ich dazu geschrieben habe.
Ihr Stück „Hafencafe“ über einen Winter auf Kreta hat nun 30-jähriges Bühnenjubiläum. Das Lied wurde von Ulla Meinecke bekannt gemacht und ist heute eine Art Klassiker der Songpoesie in deutscher Sprache. Können oder wollen Sie emotional und inhaltlich auf dem neuen Album daran anknüpfen?
Maurenbrecher: Ich glaube, man kann so was ja nicht steuern, ich wusste nicht, als ich Hafencafe geschrieben habe, dass mich das Stück in 30 Jahren noch selber interessiert und es so viele Leute gibt, die das Stück dann gehört haben und immer noch hören wollen. Natürlich gibt es auch auf dem neuen Album Stücke, die so eine Mischung sind aus Geschichte und Privat erlebtem sind.
Ich habe Sie neulich auf einem Konzert in Berlin Köpenick gesehen, da ging es als eine Art roter Faden durch das Programm um Reisen und Reisende. Ein scheinbar wichtiges Thema für Sie?
Maurenbrecher: Ja auf jeden Fall, gibt es viele Lieder die mit Reisen zu tun haben. Ich selber bin ein Mensch der sich auf Reisen vom Leben erholt. Ich werde immer munter wenn ich reise, auch wenn es durch Hamm und solche Nester geht. Abgesehen davon ist es auch immer wichtig in einem Konzert einen roten Faden zu bieten.
Es gab auch einen Song der hieß „Reisende“ mit der Zeile : Wir schauen uns das nur an. Ist diese Haltung immer noch vorhanden bei Ihnen? Schauen Sie sich das immer nur noch an?
Maurenbrecher: Nein, das ist ein Song, da war ich 20 – 30 Jahre jünger, ich möchte den mit der Band mal wieder spielen. Aber das ist für mich keine ernst zu nehmende Haltung mehr. Dafür fühle ich mich jetzt zu engagiert und manchmal zu wütend auf Vieles, um sagen zu können, ich bin so gelassen, ich schau mir das nur an.
Wie ist Aufbau des Albums „Hoffnung für Alle.“ Überraschenderweise ist aus dem Plan ein kurzes Album zumachen, eine CD mit 16 Stücken geworden.
Maurenbrecher: Wir haben die Band-Stücke sehr schnell aufgenommen, dann habe ich an einem Tag acht Solo-Stücke aufgenommen und hatte nicht im Traum , die alle auf die Platte zu bringen. Dann haben immer wieder Leute gesagt, dieses oder jenes Stück muss aber auf die Platte und so kam das dann zustande. Wir haben dann zwei CD’s daraus gemacht, damit die Hörer die Chance haben, mit einer großen Pause darin. 42 Minuten Band, dann eine Pause und dann der zweite Teil.
Über Songs zu reden, die andere nicht kennen, ist immer ein wenig schwer. Aber versuchen wir es trotzdem, ich habe die CD’s vorab häufig gehört und auch einige Stücke bereits live erlebt. Was auffällt, da gibt es erstmal brandaktuelle Songs wie die „Badbank“ oder der Titelsong „Hoffnung für Alle“ und auch „Offroader“ – mischt sich da der Liedermacher Manfred Maurenbrecher ins politische Alltagsgeschäft ein?
Maurenbrecher: Das habe ich ja schon immer so gemacht, klar ich hoffe,dass ich damit ein paar Leute an einem Punkt erreiche, der ausdrückt was Leute machen. Die Bad-Bank finde ich wirklich ein absurdes Instrument in der Finanzpolitik und die Absurdität habe ich versucht, in dem Stück mal auszudrücken.
Glauben Sie, die Chance ist groß mit einem Song wie Bad-Bank auch mal wieder häufiger im Radio gespielt zu werden?
Maurenbrecher: Da bin ich ein wenig skeptisch, ich denke das immer ein Radiomensch kommt und sagt, der Song belastet nur, weil wir haben ja das Thema bereits in den Nachrichten, aber es wäre natürlich toll, wenn der Song häufig im Radio gespielt würde. Ich setze da aber immer ein wenig mehr auf Internetradios, die mehr Mut haben, solche Songs zu spielen.
Ihre Stärken sind sicher vielschichtige und selbstironische Songs wie “Der gute alte Sonntag“ der an Ihr älteres Stück „Blasmusik“ erinnert.
Maurenbrecher: Blasmusik ist genau zwanzig Jahre alt jetzt. Damals war es so, dass ich einen Menschen beschrieben habe, der sich an die alte Zeit klammert, aber jemanden, der die Welt nicht mehr versteht. Jetzt ist es jemand, der gezwungen ist Sonntags zu arbeiten und auch den kirchlichen Sonntag zurück haben will. Es macht mir immer sehr viel Spaß, in solche Rollen zu schlüpfen. Ich habe aber selber nichts dagegen, dass die Geschäfte lange auf haben, denn ich bin auch kein Kirchgänger und wollte da einfach mal ein kleines Spiel damit treiben.
Im Eröffnungssong „Manchmal“ heißt es „Manchmal ist ein Kreis eine Richtung“ – und im Song „Alles wirkt auf alles“ kommt auch wieder das Songpoetische durch und eine Textform, die ich bei Ihnen schon immer beobachtet habe, ein Wissen um innere und äußere Lebenszusammenhänge. Etwas was vielen Menschen in die Seele schaut und aus der Seele spricht.
Maurenbrecher: Gott sei dank passiert so was intuitiv und ich fühle das mehr und weiß bei manchen Liedern, das hat so was und das ist dann auch gut und möchte auch gar nicht so sehr darüber nachdenken.
Also keine Botschaft und keine Lebensphilosophie?
Maurenbrecher: Wenn dann ist die ja in den Liedern drin, aber ich möchte solche Dinge nicht mir selbst gegenüber aussprechen, denn dann verliert es sofort die Kraft.
Einen Song von Nick Lowe holen Sie von Indian Queens nach Dithmarschen und auch Bob Dylans Eternal Circle ist zu hören, ebenso ein Stück, was auf einen Text von Christy Moore „North and South of the River” zurückgeht. Da befinden Sie sich in guter Nachbarschaft, was die Songwriter angeht.
Maurenbrecher: Ich mag Nick Lowe total gerne, den habe ich jetzt auch erst in den letzen Jahren für mich entdeckt. Ich finde das Nick Lowe wunderbare Songs schreibt, eine Mischung aus Übermut und Melancholie, was mir auch sehr nahe kommt. Bob Dylans Eternal Circle mochte ich schon mit 25 sehr gerne, es beschreibt so schön, warum man immer auf die Bühne geht.
Insgesamt hat dieses Doppelalbum damit natürlich ein weites Feld bereitet- sind dort alle Aspekte von Manfred Maurenbrecher als Musiker ausgedrückt?
Maurenbrecher: Zwei Sachen sind da nicht ausgedrückt. Einmal habe ich einen Faible für elektronische Musik und das zweite ist, was ich auf der Bühne immer mehr mache, wild drauf losspielen, wenn der Text zu ende ist, was auf der Platte auch gar nicht drauf ist. Da habe ich mich zugunsten der Band und des Gesamteindrucks dessen ganz enthalten.
Im September gehen Sie mit dem neuen Album und mit Band auf Tour. Man sieht Sie unter anderem in Flensburg, Kiel, Hamburg, Wien, Nürnberg und Berlin. Was erwarten Sie von dieser Tour und meiden Sie den Westen der Republik?
Maurenbrecher: Das mit dem Westen ist Zufall. Als Solist bin ich oft im Westen. Ich erwarte schöne, runde und kompakte Abende mit vielen Menschen, es wird viel erzählt werden und viele treibende Musik gemacht werden.
Natürlich möchte ich nicht vergessen, zu erwähnen, dass „Offene Grenze“ ein Stück ist, was Sie im Herbst 1989 geschrieben haben und was auch ausgezeichnet wurde. Was bedeutet Ihnen dieses Stück heute und wie sehen Sie Deutschland 20 Jahre später.
Maurenbrecher: Also das Stück ist für mich wie eine Momentaufnahme, ein Foto in Schwarzweiß. Das Lied schildert ja ziemlich genau, was an so einem Grenzübergang im Moment seiner Auflösung passiert. 20 Jahre später ist davon, von diesen Aufbruchsgefühl, ganz wenig übriggeblieben. Ich denke, für Leute die heute zwanzig sind, ist dieses Lied wie aus einer anderen Welt. So wie für mich ein Lied über die Flucht meiner Mutter aus Breslau wäre, wenn es so was gegeben hätte. Ich denke dieses Ost-West-Verhältnis das ist eigentlich fast eingeebnet, nur noch Menschen über fünfzig unterhalten sich darüber so richtig leidenschaftlich. Alle jüngeren Menschen wissen, dass es so was wie Hartz 4 und die sozialen Verwerfungen unseres vormals so sicheren Sozialstaates gibt, was in Wanne Eickel genauso ist wie in Görlitz. Die Unterschiede sind eigentlich minimal geworden. Es gibt zwar ein paar verschiedene Lohngruppen, aber wer bekommt denn noch einen festen Lohn. In sofern sind es andere Themen, die heute auf den Nägeln brennen.
Das Motto des Interview war 60 Jahre BRD und 30 Jahre Maurenbrecher auf der Bühne – Sie selbst werden nächstes Jahr 60 Jahre alt – was ja eigentlich ein gutes Alter für einen Songwriter ist. Wagen Sie ein kleines Fazit?
Maurenbrecher: Na ja, ich hätte nicht gedacht, dass ich 30 Jahre mit meiner Musik überleben kann und zwar so, dass ich auch jetzt noch das Gefühl habe, die Zeit die ich noch habe, werde ich das Gleiche tun. Vielleicht werde ich noch ein paar Dinge ausprobieren, aber ich werde nicht mehr in so eine große Umbruchstimmung kommen. Das finde ich manchmal wunderschön und manchmal denke ich auch, was könnte jetzt noch passieren?
Vorletzte Frage (letzte?)– was haben Lieder eigentlich für eine Funktion in Ihren Augen? Hat sich da was verändert in den letzten 30 Jahren – oder haben Sie das immer ähnlich gesehen?
Maurenbrecher: Ich glaube, dass Lieder eine wunderschöne Kunstform sind, die Verstand und Gefühl auf eine unverwechselbare Art zusammenbringt. Ein Lied ist ja von einem gemeinsam gesungenen Gegröle bis hin zu einer völlig ausdifferenzierten verrückten Geschichte mit einer kleinen klugen Begleitung, das ist so vielfältig, was Lied bedeutet. Das ist eigentlich für mich die schönste Kunstform, mehr als ein Buch, mehr als Theater, mehr als ein geschriebenes Gedicht, was dann oft auch schlecht vorgelesen wird. Das Wichtige an einem Lied ist eben auch, dass man es praktizieren muss, man muss es singen. Ein Lied nur gedruckt, ist wie ein Schatten.