Ein Hort des Entzückens – Ein deutscher Kolumnist schreibt den Fußball in die hohe Literatur

© Verlag Die Werkstatt

Das Vorwort schon stimmt hoch ein. Und Vorwort-Autor Markus Hesselmann behält auch Recht. Die ersten Seiten bereits machen klar, warum diese Texte so hammermäßig gelobt werden. „Die Fußballkunst wird vom interessierten Volk in allen möglichen Formen goutiert“,  bekennt der  Autor, wem er bei seinen Reportagen aufs Maul schaut, in Kolumne 11 – der die Überschrift auch entnommen ist.

„Fliegen kann jeder“ – aber wer schreibt, nimmt „den harten Weg“ (S.9). Ein guter Autor nimmt dabei, was er verwerten kann. Eine Kunst, die von Frank Willmann perfekt beherrscht wird. Dieser Autor fängt so gut wohl wie alles ein, was den Leuten durch den Kopf geht – und was sie mit der Zeit wieder vergessen hätten, weil immerdar abgelenkt und beherrscht davon, „bestimmte Rituale einzuhalten“ (S. 61).

Frank Willmann schreibt klug und phantasievoll, er geißelt, er motzt, er lacht, er sieht die Zusammenhänge und gießt sie in staunen machende, hochpoetische Bilder.  Er nimmt auch kein Blatt vor den Mund. Tüchtig teilt vor allem namentlich nach oben aus, etwa wenn Beckenbauer oder Hoeneß verbal unsinnig werden oder wenn  eine „Person wie Katrin Müller-Hohenstein … sich gern mal vor lauter Verzückung einen inneren Reichsparteitag gönnt“ (S. 156). Er legt den Finger auf die Wunde.

Dabei ist der Autor Frank Willmann dem Feminismus keineswegs abhold, im Gegenteil, er schreibt klar und deutlich, dass das brachiale Gehabe mancher Fanschaften es nur beim Männerfußball gibt; auch die hier und da eingeschobenen Familienbilder mit der hochklugen Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn klingen inspiriert an.

Frank Willmann legt den Finger auf die Wunde, aber bohrt in der Wunder nicht herum, sondern macht es eher wie „der Geist von Berni“ (S.88f), er „hört hin und gleichsam weg“. Was bleibt ist Quintessenz. Die Schwächen des Einzelnen sind die Schwächen aller.

Schärfer geht er um mit den Abgründen des blasser zwar gewordenen – doch immer noch zupackenden braunen Himmels über Deutschland: sie lassen Frank Willmann (wie auch den Rezensenten) erschauern.  An diesem Punk lässt der Kolumnist, zu Recht, Null-Komma-Nichts durchgehen, auch kein „klitzekleines ‚Heil’“ im Hallraum des „angestimmten Kurzgesangs ‚Sieg’“ (S.154). Und Frank Willmann drückt sich so aus, dass es sitzt. Derartige „Szenerien“ verderben die Weltmeistertitel-Freuden fürwahr.

Der dicke Rest des Buches folgt dem Hauptmotiv indessen: „Lachen ist gesund“. Keine Barrieren. Nirgendwo. Ein Zaun ist „kein Hindernis“, noch wie Zyankali ätzende Fangesänge (S.120). Ob „sympathischer Club“ (S.121) oder „nimmersattes Monstrum“ (S. 151). Frank Willmann ist überall zu Hause und erweist sich als rasender Fußballreporter nicht nur in Deutschland – dass er ironisch verkürzt auf Schland – sondern „in jeder Himmelsrichtung“. Ost- und Westeuropa, Südamerika: neben philosophischen Fußballbetrachtungen hat er ebenfalls erstrangige Städtebeschreibungen drauf.

Den Anker dabei tief im Bitumen der unteren Ränge, mitten im Menschenmeer der verschmähten breiten Massen, in der aber eben auch noch Ehrlichkeit, Lebensfreude und Unschärfe als Regulativ zu Hause sind.

Hier lebt man eben noch die Kunst, über menschliche Schwächen hinwegzusehen. Und so mischt auch der Autor Willmann von den gern übersehenen eigentlich nur die großen verzapften Übel in seine Fußballnachrichten mit ein und zeigt so nebenbei, wie wahres Engagement den Spaß nicht einfach so mal auf der Strecke lässt.     
Empfiehlt sich hier das Bild von Diogenes? Der Rezensent hat keine Ahnung, er tauchte einfach auf. Wie weiland mit seiner Laterne durch die breiten Masse Athen, hält er dir den Spiegel vor Augen und ruft: „Menschen suche ich! Menschen!“ Und warum nicht? Zieht doch auch unser Kolumnist von Stadion zu Stadion, stets auf der Suche nach dem Menschlichen im wahren, echten, alle glücklich machenden Fußball.

Der Rezensent bekennt im vollen Umfang seine Begeisterung. Frank Willmann schreibt in seiner Fußballkolumne (in: Der Tagesspiegel) Sätze wie bunte Schüsse, mit denen er den Fußball in die hohe Literatur „schießt“. Wo er bisher kaum war. Was gefehlt hatte bisher. Das ist Frank Willmanns Verdienst. Diese Kolumnen sind so schön wie irre unterhaltsame Filme. „Ein inneres Blumenpflücken“, nennt ein Facebook – Kommentator das Lesen dieser Texte.  Eine Stimme aus der breiten Masse. Von den unteren Rängen. Gegönnt sei ihr das letzte Wort hier.

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Frank Willmann, Kassiber aus der Gummizelle, Geschichten vom Fußball, Verlag Die Werkstatt, Göttingen. 1. Auflage, 2015, 160 Seiten, Englische Broschur, ISBN: 978-3-7307-0169-0, Preis: 9,90 Euro (D).

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