Wenn nun das Belvedere in Wien eine neue Ausstellungsreihe, die sich „Meisterwerke im Fokus“ nennen und zweimal jährlich aus der eigenen Sammlung Kostbarkeiten zeigen wird, mit Lovis Corinth beginnen lassen, setzt das Museum zu Recht die gegenwärtige Diskussion und Aufwertung des Malers fort. Zuerst einmal nimmt man staunend zur Kenntnis, daß die von Stephan Koja kuratierte Schau immerhin zwölf Gemälde und zwei Grafiken, davon 10 Bilder und eine Radierung aus eigenem Besitz präsentieren kann. Auch wenn es weniger gewesen wären, die Idee, aus der eigenen Sammlung überhaupt unter einer speziellen Fragestellung oder einem Malernamen einige eigene Werke zusammenzustellen, hat etwas Bestechendes, denn es ist das notwendige Korrelat zu den großen Superschauen der Museen, die wir alle lieben und in die wir alle rennen, wo die Kunstwerke durch die Welt wandern und wir mit ihnen.
Hier aber kann man auch zur Mittagspause oder gegen Abend vorbeischauen und sich einerseits an Farben satt sehen und daraus auch noch etwas lernen. Und da die Kabinettausstellung auch einen eigenen Katalog erhalten hat, in dem nicht nur die ausgestellten Werke auf vierzig Seiten gewürdigt werden, sondern sein Werkprozeß durch Schrift und Text begleitet wird, ist so ein richtiges Lovis Corinth Buch zustandegekommen, das auch die im Touristengepäck befördern können, denen die üblich gewordenen Ziegelsteine zu schwer sind (wobei wir außer zum Gewicht nichts gegen diese tollen Superkataloge sagen wollen). Der Corinth- Bestand wurde von Museumsdirektor Haberditzl – den Egon Schiele so wunderbar porträtierte, ein Gemälde, das sich das Belvedere zum Hundersten selber schenkte -, mutig als zeitgenössische Kunst bis 1938 erworben, während sein Nachfolger in der Nazizeit bis 1945 zusätzlich frühe Werke des von den Nazis ungeliebten Künstlers erwerben konnte, so daß das Belvedere jetzt bei seiner Ausstellung eine Retrospektive im Kleinen wagen kann.
Das Selbstporträt von 1921 in Bleistift, das uns begrüßt, kommt aus der Albertina und die Radierung von 1920/21 zeigt ihn mit verhuschten Zügen, womit er seine Schiefköpfigkeit nach dem Schlaganfall von 1911 thematisiert, die ihm sogar teilweise durch Lähmungen den Stift aus der Hand nahm, wogegen er sozusagen anmalte. Heute weiß man, daß er eine linksseitige Störung der Wahrnehmung hatte, was bei der Bleistiftzeichnung zum Beispiel dazu führt, daß die linke Gesichtshälfte nicht vollständig ausgeführt ist, während die Radierung die Nase doppelt.
Wir folgen der Ausstellung chronologisch. Es war Zeitgeschmack, demnach geschlachtete Tierleiber auf Leinwände kamen. Andererseits hat dies auch Rembrandt interessiert und Corinth hat als Sohn eines Gerbermeisters auf dem Dorf das Schlachten miterlebt. „Geschlachtete Kälber“ von 1896 zeigt die Anatomie des Tieres deutlich in der Verteilung und malerischen Herausarbeitung von Fett, Haut und Muskeln im Licht. Die beiden weiblichen Porträts dagegen, „Frau Marie Moll“ und „Die Sängerin Frieda Halbe“, beide von 1905, zeigen nicht nur zwei unterschiedliche Frauen in unterschiedlichen Lebensaltern, sondern zwei unterschiedliche Formen der Darstellung. Ist es die Ältere, die ob ihrer Lebensbilanz zufrieden im Lehnstuhl ruht und durch die Raumausstattung geadelt wird, so zeigt die Sängerin eine junge unternehmungslustige Frau, die keinen Hintergrund als ein Farbengemisch braucht, weil ihr expressives Wesen druckvoll durch die Robe und Haltung zum Ausdruck kommt.
Das vielleicht ungewöhnlichste und modernste Bildnis ist „Liegender weiblicher Akt! von 1907. Hieran kann man auch erkennen, welch guter Maler Corinth wirklich war, denn er hat die Frau in einer Haltung uns präsentiert, die mehr an Nacktheit zeigt, als sonst ein Bild füllen kann. Weder voyeuristisch noch beschönigend, auch nicht erotisch, eher kreatürlich zeigt er Haut und Fleisch in einer Direktheit und Farbgebung, daß man unwillkürlich an zwei andere Malerkollegen denken muß: an Courbet, den Meister der weiblichen Schönheit und ihres Schoßes und an Lucian Freud. Und das muß jemand dem vorausschauenden Corinth erst einmal nachmachen, daß man diese zwei Maler gleichzeitig assoziieren muß.
Wir können von diesem Bild kaum Abschied nehmen und kehren immer wieder zurück, da wir es für das Glanzlicht der Ausstellung halten. „Die Waffen des Mars“ nimmt 1910 ein mythologisches Thema auf, wie es der Historismus und der Jugendstil geprägt hatten und der Idealismus es hochhielt. Corinth ist längst der anerkannte Berliner Maler geworden, nachdem er in München schwer zu kämpfen hatte. Das Bild ist besser, als man auf den ersten Blick glaubt, denn in ihm sind viele Verweise untergebracht, die es – folgt man ihnen – zu einer Erzählung spinnen. Mit der „Dame am Goldfischbassin“ ist Charlotte, die Ehefrau des Künstlers, selber eine Malerin und seine ehemalige Schülerin, gemeint, die hier in detailliert dargestellter häuslicher Umgebung geziert-entspannt ein Buch liest. Ihr Fischgrätstreifenkleid ist nicht nur Mode, sondern wiederholt die Streifen vom Rock der Madame Moll, was uns unweigerlich Madame Cezanne in ihren Streifenkleidern in Erinnerung ruft.
Die „Tiroler Landschaft“ und am „Walchensee im Schnee“ zeigen ihn als Landschaftsmaler und im „Stilleben mit Chrysanthemen und Amaryllis“ aus dem Jahr 1922 wird er auch noch zum Blumenmaler. Wir ziehen jedoch Corinth als Menschenmaler vor. „Herbert Eulenberg“, ein Porträt des heute vergessenen Dramatikers von 1924, bannt einen direkten Blick und entschlossenen Kopf auf die Leinwand. Es sind expressionistische Ausdrucksmittel, wie Corinth hier Farbflecken verteilt und aus den Nichtfarben von Grau und Weiß und bräunlichem Beige das dunkle Rot hervorblitzen lässt. Kneift man die Augen zu, bekommt das Porträt etwas Maskenhaftes, fest Unwirkliches. Ein Puppengesicht. Ein Jahr darauf stirbt Corinth.
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Ausstellung:
bis 19. Juli 2009
Vortrag:
Lovis Corinths Schlaganfall und seine Folgen, Prof. Dr. Hansjörg Bäzner, Neurologische Universitätsklinik Mannheim, 2. Juli 2009 16.30 Uhr
Katalog:
Meisterwerke im Fokus: Lovis Corinth – ein Fest der Malerei, hrsg. von Agnes Husslein-Arco und Stephan Koja, Prestel Verlag, München 2009
Reiseliteratur:
Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tipp:
Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise:
Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt:
Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.