Vergebliche Liebesmüh – Heiner Goebbels insistiert mit seinem szenischen Konzert „I went to the house but did not enter“ bei den Festwochen Wien

Eine Guckkastenbühne gibt den Blick auf ein Eßzimmer frei. Dort steht ein mit weißem Linnen gedeckter Tisch, mit bläulichen Irisblumen in einer weißen Schale und den vier weißen Kaffee/Teeschalen. Ein dichter Vorhang verhängt den Fensterausblick und rechts und links befinden sich jeweils ein Hundeporträt an der Wand. Ach ja, alles steht auf einem Teppich. Es kommen erst ein etwas zugeknöpfter Mann, dann noch einer, etwas altmodisch und wohlerzogen mit Mantel, Krawatte und Hut in gräulichem Anzug, dann ein dritter, ein vierter. Zwischendurch entfernt sich wieder einer oder zwei und schließlich holen zweie einen Umzugskarton und stellen ihn vors Publikum. Bei lautloser Stille.

Nach und nach verpacken sie dann jeder eines der Service, übrigens, was Männer oft nicht können, in der richtigen Art, d.h. das Tuch wird über die Untertasse geschlagen und erst dann die Tasse darauf – nur der letzte Lümmel lässt den Löffel dabei auf der Tasse liegen. Auf diese Art wird alles verpackt, Bilder abgenommen, Karton, Tisch und gesaugter Teppich weggetragen. Immer noch lautlose Stille, bis nach dem Abnehmen der Hüte ertönt: „Laßt uns jetzt gehen und unseren Besuch machen!“. Inzwischen haben zweie auf der rechten Seite einen identischen Karton aufgestellt und richten nun in der entgegengesetzten Abfolge das Zimmer wieder ein, allerdings ist das Geschirr und die Blumenvase diesmal schwarz und die Blumen weiß. Wie lange das gedauert hat, keine Ahnung, vielleicht eine Dreiviertelstunde? Endlos kam es einem vor, aber nicht fade, zumal die Aktion durchaus interessant war, aber man immer auf die ersten Tönen wartete, denn die vier ehrwürdigen Herren sind die Mitglieder des Hilliard Ensembles.

Die Tenöre Rogers Covey-Crump und Steven Harrold, der Bariton Gordon Jones und der Countertenor David James legen erst sanft los, wenn das Stummtheater beendet und das Eßzimmer verschwunden ist und die Bühne eine Hausfront nach vorne schiebt, mit einer Garage. Schon wieder Garage?, denkt man in Erinnerung an das Marthaler Stück. Und denkt weiter: „Aha, der Titel! Ich wandte mich zum Haus, aber trat nicht ein.“ Was nicht stimmt, denn hier sind erleuchtete Fenster und die Garage, hinten denen man die Personen ausmacht und singen und reden hört.

Insgesamt geht es um vier fragmentarisch aufbereitete Texte von T.S. Eliot, „J. Alfred Prufrocks Liebeslied“ von 1911/17, von Maurice Blanchot, „Der Wahnsinn des Tages“ 1948/73, Franz Kafkas „Der Ausflug ins Gebirge“ aus dem Jahre 1912/13 und Samuel Becketts „Aufs Schlimmste zu“ von 1983, die alle in einer Art monotonem mittelalterlich innigem einfachen Gesang, rezitierend oder als Litanei erst einmal eine Ruhe über die Zuschauer brachten, die durchaus gefiel und etwas Einlullendes und auch Abgehoben/Abhebendes hatte. Problematisch war dann allerdings, daß diese vier Teile keine wesentlichen Unterschiede in der szenischen Gestaltung, bzw. dem Gesang zu Auge und Gehör brachten. Insofern verwischten sich auch die Inhalte der englisch gesungenen Texte, die mit deutschen Übertitelungen zu lesen, aber nicht im Szenenbild verstehbar/verständlich wurden. Als dann noch der letzte Text in der Übersetzung ausfiel, merkte man erst recht, daß die vorherigen Textpassagen zwar einem im Kopf einen Inhalt suggeriert hatten, den man aber mit dem Geschauten und den Tönen nicht in Übereinstimmung gebracht hatte.

Auch die Unterbrechung des psalmenartigen Gesanges durch Hundebellen und Motorgeräusche, die die nahe Zivilisation andeuteten, brachte nicht weiter und erst recht nicht die übrigen Bühnenbilder, des szenischen Konzertes in vier Bildern. mit einem Fahrrad und einem Raum, die alle eines zum Inhalt hatten: Der Mensch strengt sich an, aber ihm ist kein Erfolg beschieden. Früher hätte man gesagt: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Und zwar ins Abseits, ins Bodenlose. Aber hier ist Gott fern und nur die sanften Gesänge erinnern noch an ihn.

Es handelt sich beim Heiner Goebbels Stück um eine Übernahme vom Edingburgh-Festival und wir wissen nicht, wie es dort aufgenommen wurde. In Wien gab es braven Beifall, nachdem zuvor schon einige deutlich hörbar gegangen waren. Und auch wir haben eigentlich keine abschließende Meinung. Denn es war kein Konzert, sondern eine Meditationsveranstaltung, der wir beiwohnten. Das hat was, auch etwas Sakrales, aber es fehlt auch etwas. Und wir können es noch nicht einmal benennen. Vielleicht einfach nur der Widerspruch, die Empörung, daß das alles gewesen sein soll. Nein, nicht die Aufführung. Sondern das Leben und die Bühne.

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Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp:

Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise:

Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt:

Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.

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