Berlin, Deutschland (Weltexpress). Es liegt fast dreißig Jahre zurück und hat mit der Seuchenentwicklung, die in der chinesischen Stadt Wuhan ihren Ausgang nahm, nichts zu tun. Aber die Entwicklung seit jener Zeit unmittelbar nach dem Ende der deutschen und europäischen Teilung macht die Ereignisse um Wuhan geradezu zwangsläufig.
Wegen der ungeklärten ethnischen und staatlichen Situation in Zentralasien und den westlichen Gebieten Chinas ging der frisch ins Amt gekommene kasachische Staatspräsident Nasarbajew für den asiatischen Teil unseres gemeinsamen Kontinentes nach dem Modell der in Westeuropa so erfolgreichen „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ und der Konferenz von Helsinki daran, dieses erfolgreiche Modell auch darauf zu überprüfen, ob es für Asien übertragen werden könne. Dafür gab es gute Gründe.
In der Region war die Erinnerung an die sowjetisch-chinesischen Grenzkriege noch frisch. Zudem waren weite Teile der jetzt russisch-chinesischen Grenze noch ungeklärt. Millionen Chinesen strömten in der Zerfallszeit der Sowjetunion nach Sibirien oder Russisch-Fernost. Der Zerfall der Sowjetunion, der dazu führte, den Völkern Zentralasiens eine neue staatliche Unabhängigkeit zu ermöglichen, drohte sich dort fortzusetzen, wo auf chinesischem Staatsgebiet große Volksgruppen der Ethnien siedelten, die auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion eigene Staaten wegen der Entwicklung hatten bilden können. Zwischen Urumchi und Kaschgar drohte ein Prozess, der in einem unsäglichen Blutbad hätte enden können.
Auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion war der Zerfallsprozess friedlich abgelaufen. Daran war in den westlichen chinesischen Gebieten nicht zu denken. China zeigte nicht nur in Tibet, das amerikanische Autoren als „vergessene Kinder des Kalten Krieges“ bezeichneten, über welche Krallen es verfügte und wie Willens es war, die territoriale Integrität seines Staatsgebietes zu verteidigen.
Da ich wegen meiner damaligen Funktion an allen Vorbereitungskonferenzen für die von Präsident Nasarbajew ins Auge gefasste „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Asien“ teilgenommen habe, war ich nach den Erfahrungen im Westen unseres Kontinentes wie vom Donner wegen des Verhaltens der amerikanischen Verhandlungspartner in diesen Vorbereitungskonferenzen in Almaty gerührt. Das, was im Westen Europas zur Kriegsvermeidung und Konfliktlösung so überaus erfolgreich, gerade auch wegen der amerikanischen Verhandlungskonzepte gewesen war, traf in Almaty auf erbitterten amerikanischen Widerstand, wie ich dies in dem Buch „Wiederkehr der Hasardeure“ 2014 beschrieben habe.
Der amerikanischen Verhandler sabotierten jeden Ansatz zur friedlichen Konfliktlösung. Dies geschah mit dem Ergebnis, dass die Vereinigten Staaten sich nicht an dem Verhandlungssystem beteiligten, das später als „Shanghai-Kooperationsgruppe“ so überaus erfolgreich wurde und heute auch Staaten wie Iran oder Türkei zu seinen Förderern zählt. Diese Verhandlungsbemühungen des kasachischen Präsidenten Nasarbajew, unterstützt vom heutigen kasachischen Präsidenten Tokajev, brachte auch Vereinbarungen zustande, die in dieser Region Grenzen sicherte und zu dem Übereinkommen führte, keinesfalls auf chinesischem Staatsgebiet separatistischen Tendenzen durch dort lebende Angehörige jener Volksgruppen zu unterstützen, die auf ehemaligem sowjetischen Staatsgebiet eigene Staaten gebildet hatten. Es war so etwas wie die Übernahme des Modells Aserbeidschan. Die Majorität der Aseris lebt auf iranischem Staatsgebiet.
Der Vergleich ist heute mehr denn aktuell, weil auch dort die Vereinigten Staaten aus ihrer Gewaltbereitschaft zur Durchsetzung ihrer Interessen ebenso wenig ein Hehl machen wie in den zu China gehörenden Territorien, bei denen sich die Vereinigten Staaten nicht an einen Konferenzmechanismus zur friedlichen Beilegung von Konflikten gebunden fühlen. Das Trommelfeuer um die uigurische Volksgruppe in der chinesischen Westprovinz, die nur durch ein massives Gebirge von ihren Stammesbrüdern in Kasachstan getrennt leben, macht das deutlich. Die Staaten der Region versuchen, friedlich und durch Verhandlungen der Entwicklung jede konfrontative Spitze zu nehmen. Genau dort setzen die USA und die Schlepptau-Staaten an. Man kann sicher sein, das eine konfrontative Situation in dieser Großregion zu Entwicklungen führen wird, von denen sich die heute Lebenden keine Vorstellung machen dürften.
Die damalige Zeit wurde wegen der erfolgreichen Entwicklung in Westeuropa aber auch seitens der Volksrepublik China in höchst interessanter Weise genutzt. Sie ging nicht nur offen auf Verhandlungslösungen zu. Wegen des Modells der westeuropäischen Staaten und vor allem des wiedervereinigten Deutschlands mit seiner „Sozialen Marktwirtschaft“, ging man in enger Kooperation mit der Bundesregierung Kohl, Genscher, Blüm daran, die Volksrepublik China nach diesem Modell der „Sozialen Marktwirtschaft“ innen- und vor allem sozialpolitisch so umzubauen, dass China sich in Richtung eines Rechtsstaates entwickeln sollte. Aber die europäische Schule war nicht die einzige Denkschule in Beijing, da sehr schnell deutlich wurde, in welchem Maße das amerikanische Konzept von Shareholder Value die Soziale Marktwirtschaft und ihren politischen Überbau verdrängen würde.
Man kann es in China niemanden verdenken, sich auf eine Auseinandersetzung mit den auf der ganzen Welt konfrontativ auftretenden Vereinigten Staaten einzustellen, statt erfolgreiche deutsche Modelle zum Wohle der eigenen Bevölkerung auf China erträglich zu übertragen. Die heutige Lage in China ist das Spiegelbild der amerikanischen Politik seit der Verweigerung, an einer „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Asien“ mitzuwirken. In diesem Zusammenhang bedurfte es wegen der Seuche und Wuhan schon nicht mehr der Pressekonferenz des US-Präsidenten am 4. März 2020 im Weißen Haus. Die Signale stehen auf Konfrontation, nicht nur entlang der Bahnstrecke von Shanghai nach Duisburg.