Warschau, Polen; Berlin, Deutschland (Weltexpress). Seit dem Treffen zum Waffenstillstandstag 1918 auf den Champs-Élysées in Paris im November des vergangenen Jahres reißen die Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen zur modernen Geschichte Europas nicht ab. Kaum hat man das Treffen eingeladener Staats- und Regierungschefs aus Anlass der Landung der Westalliierten am 6. Juni 1944 hinter sich, steht die nächste Großbegegnung an. Allerdings diesmal nicht in der ehemaligen und jahrhundertelang deutschen Stadt Danzig sondern in Warschau. Da merkt man schon auf, vor allem deshalb, weil dieses Treffen der Staats- und Regierungschefs geradezu Signalcharakter hat. Dafür gibt es zwei Gründe, die uns in Europa umtreiben müssten. Niemand, auch nicht die eigene Bundesregierung, hat es für nötig befunden, an die hundertste Wiederkehr der Konferenz von Versailles am 28. Juni 1919 und damit an die Ereignisse vor einhundert Jahren zu erinnern. Wenn man sich diejenigen ansieht, die sich zu diesen Treffen einfinden, wenn man wieder einmal Panzer rollen lassen kann, ist das geradezu kein Wunder. Auf diese Art und Weise will man offensichtlich jede Erinnerung an den gegen Österreich-Ungarn und das kaiserliche Deutschland geführten Vernichtungskrieg ab 1914 und die diplomatische Fortsetzung über die Konferenz von Versailles erinnern und die Spuren verwischen, die gezielt seitens der Westallliierten in Versailles zum Ausbruch eines neuen Krieges 1939 geführt haben.
Es ist aber nicht nur die Erinnerung an das schändliche Werk von Versailles gegen die damaligen „Mittelmächte“. Versailles war der manifeste Verstoß gegen jede europäische Erfahrung und Vorgehensweise, einen Frieden dadurch zu ermöglichen, dass man alle Parteien an einen Tisch holte. Seit den ersten Schritten in Europa zu einem verbindlichen Völkerrecht hatte man es so gehalten, wie der Friedensschluss von Münster und Osnabrück 1648 und von Wien 1815 es deutlich gemacht hatten. Gegen Deutschland und Österreich sollte das 1919 gerade nicht erreicht werden und die in Versailles ausgelegte Kriegslunte sah für die deutsche Stadt Danzig eine insoweit entscheidende Rolle für den nächsten Kriegsausbruch vor.
Dieses Denken der aggressiven Vernichtung anderer Staaten und Völker feiert geradezu mit dieser Einladung nach Warschau fröhliche Urstände. Das wird in der polnischen Weigerung deutlich, dem Präsidenten der Russischen Föderation, Herrn Putin, die Ehre einer Einladung zu erweisen.
Was muss man in einem Land denken, das über die britische und französische Kriegserklärung an Deutschland wegen dessen Krieg gegen Polen als Staat und mit seinen Völkern der Leidtragende dieses Krieges par excellence gewesen ist, wenn man zu dem Gedenken an die damaligen Ereignisse nicht erwünscht ist und keine Einladung erhält? Man konnte dieses Vorgehen, für das man einfach keine Worte findet, bereits ahnen, als zur fünfundsiebzigsten Wiederkehr der Landung in der Normandie ebenfalls keine Einladung an den Präsidenten der Russischen Föderation erfolgte. Will man damit etwa zum Ausdruck bringen, in dem damals gegen Deutschland und zunächst Österreich-Ungarn gerichteten Geist der staatlichen Vernichtung über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und Versailles jetzt gegen die Russische Föderation und damit das russische Volk vorgehen zu wollen? Mit deutschen Generalen und Ministern an der Spitze, die die Klappe in übler Weise aufreißen?
Oder hat der amerikanische „deep state“ dafür gesorgt, dass es keine Einladung nach Moskau gab, weil der eigene Präsident, Herr Donald Trump, in dem Verdacht steht, mit seinem Präsidenten-Kollegen in Moskau „fraternisieren zu wollen und zu können“? Damit stünde das Treffen in Warschau in der Abfolge von Veranstaltungen, bei denen es nicht um den Frieden sondern die Vorbereitung des nächsten Krieges geht, wie dies seit der alliierten Invasion Russlands nach dem Ende des zaristischen Russland der Fall gewesen ist.
Für uns Deutsche ist das keine akademische Diskussion, denn der russische Präsident Putin hat nicht nur bei seiner berühmten Rede 2001 im Plenum des Deutschen Bundestages sondern seither wieder und wieder uns Deutschen und damit uns Westeuropäern die Hand zur Zusammenarbeit ausgestreckt.
In diesem Jahr werden wir daran erinnert, dass am 9. November 1989 die Mauer fiel und Deutschland nicht mehr zwischen Bundesrepublik und DDR geteilt gewesen ist. Vermutlich wird es bei dieser Erinnerung deutlich werden, in welchem Maße wir Deutschen dies der damaligen sowjetischen Staatsführung unter Michael Gorbatschow zu verdanken hatten. Dies war zu einem Zeitpunkt, als weder Paris noch London etwas davon hielten und zum Jahreswechsel 1989/1990 alles dafür sprach, dass die Vereinigten Staaten die Wiedervereinigung Deutschlands nicht zulassen würden.
In einem bemerkenswerten Artikel hat am 26. Juli 2019 Herr Werner Rügemer in den „Nachdenkseiten“ bei einer Betrachtung der amerikanischen Einflussnahme auf den deutschen Widerstand während des Zweiten Weltkrieges darauf aufmerksam gemacht, dass die Sowjetunion selbst in dieser Zeit Deutschland eine größere eigene Entwicklungsmöglichkeit beim Ende der Feindseligkeiten zuzugestehen bereit gewesen ist und Frieden wollte, während über die „bedingungslose Kapitulation“ die Vernichtung Deutschlands über Versailles hinaus das Ziel der Westalliierten gewesen ist. „Ramstein“, die Drohnenmorde und die endlosen Panzertransporte an Dresden vorbei gen Osten stehen eigentlich für das, was aus Deutschland geworden ist.
Der deutsche Historiker, Professor Klaus Fenske hat in diesen Tagen in einer öffentlichen Stellungnahme nicht nur auf die geradezu tödliche Wirkung von Versailles aufmerksam gemacht, sondern, auch darauf, welchen Einfluss das zwischen 1918 bis 1939 auf Krieg in Europa und auch gegen Deutschland geradezu „gebürstete“ Warschau auf die innenpolitische Machtvermehrung von Herrn Hitler vor der Machtergreifung im Januar 1933 ausgeübt hatte, als sich das Reich gegen einen erwarteten polnischen Angriff nicht anders glaubte erwehren zu können, als durch die Verwendung der SA im Falle eines polnischen Marsches auf Berlin, nachdem Anfang der zwanziger Jahre offenbar Köln vor die polnische Flinte kommen sollte.
Gerade diese und heute vom gesamten Westen praktizierte Vorgehensweise, über die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten die eigenen Interessen durchsetzen zu wollen, macht deutlich, was bewirkt wird, wenn man sich trifft, um andere Staaten zu destabilisieren. Das hat auch Warschau nicht verdient, in dieses Bild gestellt zu werden, wie das segensreiche Wirken der Gewerkschaft „Solidarität“ und Papst Johannes Paul II deutlich gemacht haben.
Auch wegen des Gastes aus London in der Person von Boris Johnson, sollten die Alarmglocken schrillen. Es ist in Deutschland nicht in Vergessenheit geraten, welche Aktivitäten aus London heraus entfaltet worden sind, einen verständigungswilligen amerikanischen Präsidenten namens Donald Trump zu Fall zu bringen. Boris Johnson steht dafür, über Kreuz zu sein mit der EU als „europäischem Friedensprojekt“. Er hängt der britischen Weltmacht an. Dann ist man in Warschau richtig.