Die Wolkenmenschen im Hochwald des Amazonas – Serie: Abenteuer in Nord-Peru (Teil 3/3)

Hohe dicke Mauern schützten einst die Vor-Inka-Stadt Kuélap

Coca-Mate-Tee mit Honig

Am Querococha See in 3.980 m Höhe ist es frisch. Hier erscheinen die saftig grünen Fünftausender-Berge wie kleine Hügel. Lamas zupfen am würzigen Gras. Es ist still. Nur der Wind pfeift sein Lied. An einem der Hänge drücken sich fensterlose, kleine runde Steinhäuschen, gedeckt mit Ichu-Gras. Diese Dachbedeckung wächst vor der Haustür, eben ab 3.500 m Höhe. Es sind die Hütten der Hirten. Neugierig schauen Kinder aus den schwarzen Türhöhlen. Die Größeren nehmen ihre Familienaufgabe ernst und bringen den weißen Neugierigen aus der Ferne kuschelige Lamas zum Streicheln. Gern nimmt der frierende Europäer das Angebot einer geschäftstüchtigen Bäuerin wahr und genießt den heißen Coca-Mate-Tee mit Honig. Das Nationalgetränk der Andenbevölkerung schmeckt lecker und wärmt. Es gibt zudem Kraft und Motivation für die weitere Tour.

Die größte Bromelie der Welt

Die Fahrt auf der Schotterpiste der Hochebene geht weiter bis ein Schlagbaum den Weg versperrt. Ein kleiner Obolus ist im Ranger-Häuschen für den Eintritt in den Nationalpark Huascarán fällig. Die schöne 20jährige Parkwächterin Doris Chavez stammt aus Lima und absolviert nach dem Abitur ein freiwilliges Jahr. Die Großstädterin ist begeistert von der Bergwelt.

Seit 1985 ist die Region um den größten Berg Perus, dem Huascaran, einem von mehreren Sechstausendern in den Weißen Kordilleren, ’Welterbe Natur’ der Unesco. Den Grund erklärt Doris: „104 Ökosysteme mit einem speziellen Mikroklima gibt es auf der Welt, 84 befinden sich in Peru und einige in diesem Nationalpark. Dadurch wachsen hier zahlreiche seltene, sogar einzigartige, also endogene Pflanzen.“ Sensationell ist die grandiose und seltsame Puya Raimondii – die größte Bromelie der Welt. „Diese einmaligen Gewächse erreichen eine Höhe bis zu 15 m und werden 40 bis 100 Jahre alt. Diese Bromelie hat die größten Blütenstände der Pflanzenwelt und bildet 6- bis 10tausend Blüten. Die seltene, vom Aussterben bedrohte Pflanze produziert 8 Millionen Samen, sofern sie der Bergkolibri fleißig bestäubt.“, erklärt eine große Tafel. Ein ganzer Wald dieser seltenen ’Blumen’ gedeiht hier an einem flachen, kleinen See. Aus seinem Boden sprudelt Kohlensäure an die Oberfläche.

Die Ahnen wachen

Ortswechsel: Einige hundert Bergstraßen-Kilometer weiter im Nordosten Perus, im Hochgebirgswald des Amazonas. Es regnet in Strömen im 50-Familien-Dorf Karajia in der Region Amazonas, 50 km entfernt von Chachapoyas, der Hauptstadt der Region Amazonas. Neugierig huschen Kinder mit Plastiktüten als Regenschutz über den sauberen Dorfplatz. Wie jede große und kleine Stadt in den ehemaligen Kolonien Spaniens, so hat auch das Dorf seinen zentralen viereckigen Platz. Eine Dorfstraße wandelt sich am Ortsrand zu einem schlammigen Weg. Der ’Schmierseifenweg’ verlangt zwar die volle Konzentration der sieben Wanderer. Weg und Ziel locken jedoch. Viele kleine Schönheiten gibt es am Wegesrand zu sehen: Orchideen, knallrote wilde Gladiolen als ’Unkraut’ zwischen der kultivierten hellblau blühenden Kartoffel-pflanzen. Die Kartoffel wurde übrigens bereits vor 3.000 Jahren in Peru angebaut und gelangte 1567 via Kanaren nach Europa. Heute noch gibt es in Peru so an die 300 Sorten

Naturapotheke

Ruth aus Leipzig hat durch das schnelle Erreichen der Höhe von mehr als 3.000 Metern leichte Kreislaufprobleme. José LLaja Soplin, er fühlt sich zum Volk der Chachapoyas zugehörig, hilft. Am Wegesrand pflückt er ein paar Stängel von einer Staude und zerreibt die Blätter. „Das ist Polio. Atme tief ein!“ Motivierend fügt er hinzu: „Du bist doch eine starke Frau. Viele Damen aus Lima würden sich diesen Weg nicht zumuten.“ Wirken die charmanten Worte oder das Kraut anregend? Der minzeartige Geruch der Heilpflanze belebt angenehm. „Die Natur hilft uns. Das Sekret des großen, dicken Tausendfüßlers Bagon z. B. verwenden wir für die Wundheilung, ein Aufguss von Ginster hilft bei Gelbfieber, Coca mit Mate gegen Erschöpfung und der Saft vom Drachenblutbaum bei Magen-Darm-Problemen sowie äußeren Wunden.“, erklärt der Endzwanziger. Der Kurzvortrag über die Naturapotheke wird durch das Ende des ebenen Weges unterbrochen. Es geht abwärts in eine 300 m tiefe Schlucht, die ein kleiner, aber reißender Nebenfluss des Utcubamba gegraben hat. Von hier strömt das Wasser über den Rio Marañón und den Rio Amazonas bis zum Atlantik. An einer gelben Felswand der Schlucht steht das attraktive Ziel aus der Zeit bevor Inkas und Spanier vor 450 Jahren kamen: Hoch oben vor einer kleinen Höhle wachen sechs lebensgroße, menschen-ähnliche Figuren mit grimmigen Gesichtern über das Tal, in dem noch die Ruinen eines alten Chachapoyas-Dorfes stehen. Es sind Sarkophage hergestellt aus Holz, Lehm und Stroh. Lange Zeit bevor die Inkas das Gebiet eroberten wurden diese Gräber vor 1.000 Jahren von den Chachapoyas angelegt. In diesen ’Hüllen’ fanden Wissenschaftler Mumien vermutlich von Kriegern, Schamanen oder Stammesführern. Auf dem Kopf der Mumienhüllen liegen Totenköpfe. Es könnten die Trophäen von Feinden sein. „Bis vor drei Jahrzehnten war dieser Ort nur Einheimischen bekannt.“, erklärt José.

Rätselhafte Stadt der Wolkenmenschen

Viele Geheimnisse hat die alte Festung und Stadt Kuélap, 72 km von der Stadt Chacha-poyas entfernt, noch nicht preisgegeben. Kuélap wurde vor 1.200 Jahren vom Volk der Chachapoyas auf einem Bergvorsprung in 3.000 m Höhe über dem Hochgebirgsurwald Amazoniens gebaut. Sie ist damit älter und größer als die weltberühmte, heute von Touristen aus aller Welt überrannte Inka-Stadt Machu Picchu im Süden Perus. Der etwa 3 km lange Weg ist nicht schwer vom Parkplatz zur antiken Stadtfestung. Aber die Höhe lässt den klugen Wanderer nicht eilen. Nach einer Biegung locken zehn Meter hohe Mauern. In Kuélap schützte in präkolumbinischer Zeit eine 8 bis 20 m Meter hohe Mauer mit Wachtürmen ein Areal, auf dem 3.500 Menschen leben konnten. Drei schmale Eingangstore in der Mauer konnten von jeweils einem Krieger verteidigt werden. „In der Mauer wurden mehr Steine verarbeitet als in der großen Pyramide bei Kairo.“, erzählt der moderne Chachapoya José nicht ohne Stolz auf seine Vorfahren. „Die Steine wurden ohne Mörtel aufeinander gesetzt.“ Bisher entdeckten die Archäologen die Ruinen von 420 Rundhäusern. Darunter ist ein Operationsraum, in dem Cocablättern zur Betäubung, Operationsklingen aus Obsidan und geöffnete Schädel ausgegraben wurden.

Nach Verteidigungskriegen und Niederlagen gegen die Inkas und dem Vordringen der spanischen Eroberer wurde die befestigte Höhenstadt von den Bewohnern verlassen. Urwald und Wolken bedeckten bis zur Entdeckung dieser Stadt vor etwa 160 Jahren die Ruinen.

Geschichte im Nebel

„Der Nordosten Perus verbirgt die meisten noch unentdeckten Funde Südamerikas.“, erklärt José. „Das Gebiet ist archäologisch unerschlossen und hat noch viele Geheim-nisse.“ Mitte des 15. Jahrhunderts besetzten vor den Spaniern die Inkas das König-reich der Chachapoyas. Sie gaben den hellhäutigen und zum Teil blonden Chacha-poyas den Namen ’Wolkenmenschen’ oder ’Nebelkrieger’. „Woher unser Volk kam liegt noch im ’Nebel’ der Geschichte.“, meint José. „Eine Hypothese besagt, dass unsere  Vorfahren Karthager seien. Ein Teil der Flotte von Karthago soll nach der Niederlage gegen die Römer freies Land gesucht haben. Sie sollen über den Atlantik Südamerika erreicht haben. Im Laufe der Jahrhunderte gelangten diese Menschen über den Amazonas hinauf in das Hochgebirge oberhalb des Amazonasbeckens. Dafür gibt es bisher allerdings keine Belege. Doch bereits heute muss ja die Geschichte über die Besiedelung Amerikas durch entdeckte Funde neu geschrieben werden. Denken Sie nur an Caral – der ältesten Stadt Amerikas. Vielleicht holen wir eines Tages Beweise aus unserer Region Amazonien. Es gibt bei uns noch viel zu entdecken und zu erforschen.“, erklärt der José lächelnd. Eine phantasievolle, aber anregende Hypothese.

* * *

Reisetipps:

Zeit

MEZ – 6 Stunden

Flug

Günstige Flüge gibt es z. B. mit der spanischen Iberia von Berlin-Tegel via Madrid nach Lima oder mit der brasilianischen Tam von Frankfurt via Sao Paulo (Dauer ca. 17 Std.).

Einreise

Deutsche Touristen benötigen für einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen einen Reisepass, der bei Einreise noch mindestens 6 Monate gültig sein muss. Im Flieger wird ein Einreiseformular ausgefüllt. Der bei der Einreise abgestempelte Coupon muss bis zur Ausreise aufgehoben werden. Bei der Ausreise auf dem Luftweg ist eine Flughafen-steuer von 30,25 US-Dollar in bar auf dem Flughafen zu entrichten. Kreditkarten werden hierfür nicht akzeptiert.

Währung

Der Nuevo Sol (PEN) ist seit 1991 die Währung Perus. Ein Sol ist in 100 Céntimos unterteilt. Der Sol ist an den US-Dollar angelehnt. Kreditkarten werden in vielen Geschäften und Hotels akzeptiert. Mit dem Vorlegen der Kreditkarte wir zur Sicherheit zumeist auch der Pass verlangt.

Impfung

Empfohlen wird Impfung gegen Diphtherie, Hepatitis A und Tetanus. Vor Insekten-stichen sollten sich Touristen durch langärmelige Kleidung, Sprays oder Lotionen schüt-zen. Ein Malariarisiko besteht in den Tropen. Die Gelbfieberimpfung ist für das Amazonasgebiet vorgeschrieben. Aktuell sollte sich jeder Reisende über erforder-liche Impfungen bei den Instituten für Tropenmedizin oder in Apotheken informieren.

Veranstalter

Mittelständische Reiseveranstalter bieten in Deutschland interessante Rundreisen an – z. B. Take Off Reisen (Tel. 040-4222288; www.takeoffreisen.de), Miller Reisen (Tel.07529-9713-0, www.miller-reisen.de), SFR-Sommer Fernreisen (Tel. 08533-919161; www.sommerfern.de).

Literatur (deutsch)

Marco Polo: Peru und Bolivien (kurz und bündig mit Mini-Reiseatlas), Gesine Froese ISBN 978-3-8297-0518-9 (9,95 € in D)

Peru kompakt (kurz und bündig) von Katharina Nickoleit / Kai Schmidt, ISBN 978-3-89662-337-9 (14,90 €)

Peru (mit vielen Tipps) von Sara Benson, Paul Hellander, Rafael Wlodarski, ISBN 978-3-8297-1585-0 (24,95 €)

Peru entdecken (mit vielen sehr guten Fotos) von José Miguel Helfer Arguedas, ISBN 978-9972-894-10-X (20,– €)

Information

Arge Lateinamerika e. V., www.lateinamerika.org, Peruanische Kommission zur Förderung des Tourismus Promperu, www.peru.info oder www.promperu.gob.pe; peruline – Deutschland Postfach 1323, D-94003 Passau; www.peruline.de; Peruanische Botschaft in Deutschland www.botschaft-peru.de; Bz.Com (die offizielle touristische Vertretung von Peru in Deutschland) peru@bz-comm.de; www.bz-comm.de;

Vorheriger ArtikelUnter einer Decke stecken – Serie: „Heimtextil 2011“ auf dem Messegelände in Frankfurt am Main (Teil 2/2)
Nächster ArtikelDen vielen Reden folgen die Taten – Neujahrsempfang der Steuben-Schurz-Gesellschaft in Frankfurt am Main