Die Vernichtung der vernichtenden Männer – „Feminista, Baby!“ erhellend in den Kammerspielen

Feminista, Baby!
Szene aus "Feminista, Baby!" nach dem "SCUM-Manifesto" von Valerie Solanas an den Kammerspielen in Berlin. Auf dem Bild: Jörg Pose, Bernd Moss und Markwart Müller-Elmau. © 2017, Foto: Arno Declair

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Erst kürzlich war in Osnabrück die deutsche Erstaufführung des Stücks „Valerie Solanas, Präsidentin von Amerika“ zu erleben. Die schwedische Schriftstellerin Sara Stridsberg hat nach ihrem Roman „Traumfabrik“ auch ein Theaterstück über das Leben von Valerie Solanas vorgelegt, ein Leben, das 1988 einsam in einem Obdachlosenheim in San Francisco endete und das früh zerstört wurde, denn Valerie Solanas war als Kind Opfer sexueller Gewalt durch ihren Vater. Später hat sie manchmal mit Prostitution ihren Lebensunterhalt verdient. Eine eigene, lustvolle Sexualität hat sie nicht entdecken können.

Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Psychologie-Studium war Solanas freie Schriftstellerin, reiste herum, war gelegentlich obdachlos und lernte Andy Warhol kennen. Der zeigte sich interessiert an einem ihrer Theaterstücke. Solanas vertraute ihm ihr einziges Exemplar an, das er dann unauffindbar verschlampte.

Traurigen Ruhm erwarb Valerie Solanas 1968 durch ihre Schüsse auf Andy Warhol. Ein Verleger nutzte den Skandal und veröffentlichte kurz darauf das „SCUM Manifesto“, das von einer breiten Öffentlichkeit als Gewaltfantasie einer durchgeknallten Radikalfeministin wahrgenommen wurde. In der Frauenbewegung wurde das Manifest differenzierter diskutiert und z.T. auch akzeptiert. Aber, auch wenn etliche Männer das „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ bis heute als persönliche Bedrohung empfinden, so hat es doch keine Welle physischer Gewalt nach sich gezogen.

Tom Kühnel und Jürgen Kuttner haben das Pamphlet auf die Bühne gebracht ohne Bezug auf die Biographie der Autorin zu nehmen. Zu Beginn des Abends erscheinen Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau und Jörg Pose vor dem eisernen Vorhang und verkleiden sich als Marilyn Monroe. Sie tun das ganz professionell ohne Gekicher oder tuntiges Gehabe.

Das weiße Kleid aus dem Film „Das verflixte 7. Jahr“ lässt an den Männerkörpern beinahe an eine Toga denken. Mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopf – aber die Männer setzen platinblonde Lockenperücken auf und verkörpern in dreifacher Ausführung das berühmteste Sexsymbol des 20. Jahrhunderts, d.h., um es zu verkörpern, müssten sie etwas mehr tun als einfach da zu stehen.

Bernd Moss macht den Anfang. Anstatt aber Kusshändchen zu werfen oder wenigstens mit den Hüften zu schwenken, lässt er seiner Wut freien Lauf auf diejenigen, die sich solche Outfits ausgedacht haben, um Frauen zu Lustobjekten und Genussmitteln zu degradieren. Die Worte von Valerie Solanas scheinen ihm gerade recht zu kommen:

„Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewussten und abenteuerlustigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten.“

Nicht nur die Männer im Publikum müssen sich anhören, was ihresgleichen mit Feigheit, Dummheit und Grausamkeit anrichtet, auch die Frauen bleiben von Angriffen nicht verschont, Daddys Töchter nämlich, die sich den Männern anpassen und unterwerfen.

Wenn der Vorhang sich hebt, wird auf der Bühne das von Jo Schramm kreierte riesige Modell einer DNA-Doppelhelix sichtbar, Trägerin des Erbguts, in dem, wie dereinst verlautete, die von Gott und/oder der Natur gewollte Vorrangstellung des Mannes vorgegeben war.

Valerie Solanas war erstaunlich hellsichtig, als sie das männliche Y-Chromosom als abgebrochenes X-Chromosom bezeichnete und somit die Männer als unvollständige Frauen. Die mittlerweile erfolgte Entschlüsselung des Y-Chromosoms war enttäuschend für Männer und brachte keinerlei Hinweise auf ihre Überlegenheit. Das doppelte X-Chromosom hingegen macht Frauen widerstandsfähiger und langlebiger als Männer. Frauen als das schwächere Geschlecht zu bezeichnen, ist daher eine Umkehrung der Tatsachen, wie Männer sie gern vornehmen.

Solanas hat einiges vom Kopf auf die Füße gestellt und die seltsame Mär vom weiblichen Penisneid an die Absender zurückgeschickt, bei denen sie Vaginaneid diagnostizierte.

Die Interpretation durch das Männer-Trio lässt die beliebten Fragen nicht aufkommen, was Frauen dazu treibe, so schlecht über Männer zu denken, ob das wohl an ganz persönlichen unangenehmen Erfahrungen liege oder daran, dass die Frauen den erträumten Erfolg bei Männern schmerzlich vermissten.

Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau und Jörg Pose sind Männer, die feministische Thesen zu Gehör bringen, denn wie Jürgen Kuttner in einem Interview sagte, ist Feminismus nicht nur eine Frauensache, sondern geht Männer durchaus etwas an. Die weibliche Kostümierung der Akteure scheint weniger Tarnung und mehr Mittel zu sein, sich einzufühlen.

Die Männer fungieren als Ankläger, wütend, pointiert, aber niemals hasserfüllt oder bösartig. Der Text erweist sich als brillant formulierte Satire, deren Angriffsziele und Utopien immer noch aktuell sind. Von der Vernichtung der Männer ist die Rede, aber Solanas schreibt auch:

„Eine Frau (…) weiß instinktiv, dass das einzige Übel darin besteht, anderen Schmerz zuzufügen, und dass der Sinn des Lebens die Liebe ist.“

Die Auswirkungen von Gewalt werden erschreckend deutlich in den eingefügten Auszügen aus Swetlana Alexejewitschs Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht.“

Es gibt auch belustigende Einsprengsel: Jürgen Kuttner erscheint als der Teufel aus dem Horrorfilm „Die Hexen von Eastwick“, jagt die drei Frauen die Wendeltreppe der Doppelhelix hinauf und hinunter und äußert altbekannte Frauenfeindlichkeiten, bevor er von den Damen elegant und beinahe sanft aus der Welt geschafft wird.

Markig männlich tönte auch Gerhard Schröder in der Elefantenrunde von 2005, als er noch glaubte, seine Kanzlerära fortsetzen zu können. In einer Videoeinspielung hört sich das ganz anders an. Statt Schmähreden gegen Angela Merkel zu führen, preist Schröder, unterstützt von Joschka Fischer, die überlegenen Fähigkeiten der Frauen, und Merkel stimmt den Herren verschmitzt lächelnd zu.

Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau und Jörg Pose synchronisieren diese Aufnahme sehr präzise mit Texten von Valerie Solanas und machen auch das charakteristische Timbre der Stimmen hörbar.

Musikalische Kommentare steuert Christiane Rösinger bei, begleitet von Andreas Spechtl, der mit seinem Schlagzeug oben auf der Doppelhelix thront. Rösinger singt vom Feminismus, der nicht cool ist und dessen Themen alt sind, klärt über die Pärchenlüge auf und konstatiert süffisant lächelnd, dass die große Zeit der weißen Männer vorbei ist.

Die wunderbare Sängerin und der großartige Musiker sind hervorragend in die Produktion eingegliedert, deren Einzelszenen eine schlüssige Gesamtheit ergeben. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten auch das Lichtdesign von Kristina Jedelsky und das Live-Video von Marlene Blumert und Bernadette Knoller.

Die B-Premiere in den Kammerspielen war ein voller Erfolg mit viel Szenenapplaus, großem Schlussbeifall mit Bravo-Rufen und danach – ringsum hörbar – angeregten Gesprächen über Feminismus.

„Feminista, Baby!“ nach dem SCUM-Manifesto von Valerie Solanas. Premiere war am 20.Oktober in den Kammerspielen. Nächste Vorstellungen: 02., 08. und 26.11.2017.

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