Die nuklearen Terroristen und ihre Freunde – Ziel bei Kursk war das Atomkraftwerk

Kernkraftwerk Kursk. RIA Novosti, #341199 / Foto: Sergey Pyatakov

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wenn in Deutschland über das Ziel des ukrainischen Angriffs debattiert wird, heißt es meistens, es ginge um „Gebietsgewinne“. Das Ziel war aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Atomkraftwerk, und die Absicht bestand nicht in einem Tausch ‒ sondern in der Drohung, es zu sprengen.

Wenn man die deutsche Berichterstattung zum Brand in der Kühlanlage des Kernkraftwerks Energodar liest, könnte man meinen, das alles sei ein Rätsel. „Die russischen Besatzer der Anlage machen ukrainischen Beschuss verantwortlich, die Ukraine weist das zurück“, heißt es beispielsweise bei der Tagesschau. Und klar wird erst der russische Gouverneur des (russischen) Gebiets Saporoschje zitiert, in indirekter Rede, aber danach kommt dann ein Zitat von Selenskij, in wörtlicher Rede, damit klar ist, wem hier geglaubt werden soll.

„Aber solange die russischen Terroristen das Nuklearkraftwerk kontrollieren, ist und kann die Lage nicht normal sein.“

Dekoriert wird der Artikel im Netz mit einem Verweis auf einen anderen mit der Überschrift „Wie Russland in der Ukraine gegen Kriegsrecht verstößt“.

Der Stern geht sogar schon in der Überschrift in die Vollen: „Feuer im AKW Saporischschja offenbar gelöscht – Kiew sieht Absicht“. Da muss man nicht mehr als die Überschrift lesen, um zu wissen, wer letztlich beschuldigt werden soll. Interessant ist an dem Artikel vor allem, dass außer dem Brand in der Kühlanlage von Energodar auch der ukrainische Angriff auf Kursk erwähnt wird, was dabei Dinge in Zusammenhang bringt, die im Zusammenhang miteinander stehen, es aber nicht sollen.

Dabei wird so getan, als wäre ein Angriff auf eine Kühlanlage eine Banalität. Ist ja nicht so schlimm. Man könnte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Katastrophe in Fukushima durch einen Ausfall des Kühlsystems ausgelöst wurde, der vermutlich (darauf weisen die Daten hin, Japan hat das aber nie offiziell bestätigt) zu einer Kernschmelze in drei Reaktoren führte.

Das Problem ist die Hitze, die durch den nuklearen Zerfall erzeugt wird, die der Grund dafür ist, dass selbst abgebrannte Brennstäbe noch lange Zeit in einem Wasserbad gekühlt werden, ehe sie transportiert werden können. Im AKW selbst sind zwar bei einer Abschaltung Borstäbe zwischen die Brennstäbe geschoben – so funktioniert eine Abschaltung; man kann den Kernzerfall nicht verhindern, aber man kann durch das Bor die Produkte „abfangen“, sodass eine Kettenreaktion verhindert wird – aber deren Wirksamkeit verringert sich, sobald die Temperatur nicht mehr durch die Kühlung reduziert wird und sich die Brennstäbe weiter erhitzen.

Damals, bei Fukushima, stellte sich sogar die Frage, ob es nicht in einem der Becken mit abgebrannten Brennstäben ebenfalls zu einer Schmelze kam. Denn wenn das Wasser nicht regelmäßig getauscht wird, um die Hitze abzuführen, verdunstet erst das Wasser und dann steigt die Hitze…

Das Wasser, das durch die Kühltürme fließt, ist natürlich nicht das Wasser aus dem ersten Kühlkreislauf, sondern das aus dem zweiten; die Stromgewinnung in einem AKW funktioniert schließlich auch nicht anders als in einer Dampfmaschine – Wasserkreislauf 1 überträgt die thermische Energie an Wasserkreislauf 2, der wiederum eine Turbine antreibt. Zugegeben, mehr als ein Jahr nach der Abschaltung ist das Risiko weit geringer als etwa bei einer Notabschaltung bei laufendem Betrieb, allein, weil die Stäbe wesentlich heißer sind, wenn die Dämpfung durch das Bor nicht stattfindet, aber es ist noch lange nicht bei null.

Nebenbei, ein schwerer Treffer auf ein Lager abgebrannter Brennstäbe könnte die Wirkung einer schmutzigen Atombombe haben. Aber während jahrzehntelang das Thema der Risiken von Atomkraftwerken in der politischen Debatte in Deutschland eine große Rolle spielte, wird schon seit bald zwei Jahren so getan, als sei der ukrainische Beschuss von Energodar nicht nur keinesfalls als solcher zu identifizieren, sondern außerdem eigentlich nicht wirklich ein großes Thema.

Wobei die Identifizierung relativ leicht wäre, und die Internationale Atomenergiebehörde auf exakt die gleiche Weise die berühmten drei Affen (ich sehe nichts, ich höre nichts, ich sage nichts) gibt, wie es die OECD jahrelang im Donbass tat, nur dass die Identifizierung noch ein bisschen einfacher geworden ist – die NATO-Kaliber unterscheiden sich von den russischen, und die Reste jedes Geschosses machen es möglich, es zu identifizieren. Man tut schon seit 2014 im Westen so, als wäre das, was jeder Artillerieoffizier in der Ausbildung lernt, eine völlig unbekannte Kunst. Sogar, wenn Hunderte von Fotos existieren, wie das OECD-Personal damals im Donbass die Krater mit Metermaß und Kompass untersuchte.

Zurück zu den Atomkraftwerken. Es ist schließlich noch ein weiteres im Spiel, das AKW bei Kursk. Inzwischen dürfte es weitgehend Konsens bei den Analytikern sein, dass dies das Ziel des ukrainischen Vorstoßes war. Selbst der Focus erwähnt dies. Was aber nicht passiert, ist die nötige Schlussfolgerung, die man bereits zu Beginn des Beschusses von Energodar vor zwei Jahren hätte ziehen müssen – dass es hier um einen Fall von nuklearem Terrorismus geht.

Was nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass ein derartiger Vorstoß der Ukraine im Falle eines Erfolges nur unter einer Bedingung den immer zitierten Verhandlungsvorteil bringen könnte: wenn gedroht wird, in Kurtschatow gezielt eine nukleare Katastrophe herbeizuführen. Was faktisch ein Einsatz von Atomwaffen auf russischem Gebiet wäre, mit allen damit verbundenen Konsequenzen, und an diesem Punkt ist die russische Nukleardoktrin eindeutig und nicht interpretationsfähig.

Der auch bezogen auf das Kernkraftwerk in Kurtschatow noch nicht vom Tisch ist. Denn die offenbar durch den Westen erteilte Genehmigung, die westlichen Waffen im Gebiet Kursk einzusetzen, würde es immer noch ermöglichen, besagtes Kraftwerk in Kurtschatow beispielsweise mit ATACMS oder Storm Shadows anzugreifen. Was durchaus, wie oben beschrieben, zu massiven Folgen führen könnte.

In die gleiche Richtung zeigt eine Meldung des russischen Verteidigungsministeriums vom Sonntag, nach der über dem Gebiet Kursk vier Totschka-U-Raketen abgeschossen wurden, die größte Rakete, die die Ukraine besitzt, noch aus sowjetischer Produktion, mit einem Sprengkopf von einer halben Tonne – auf welches Ziel diese Raketen wohl gerichtet waren? Allein die Tatsache, dass es Totschka-U waren, legt gerade Kurtschatow als Ziel nahe. Der Bestand, den die Ukraine noch besitzt, dürfte sehr begrenzt sein, was bedeutet, sie dürften mittlerweile nur noch gegen hochrangige Ziele eingesetzt werden, und die Totschka-U böte gerade in diesem Kontext den Vorteil, dass die westliche Presse dann behaupten könnte, die Russen hätten sich wieder einmal selbst beschossen, auch wenn die russische Armee diese Raketen längst nicht mehr nutzt (obwohl das scheitern kann, wie in Kramatorsk 2022).

In diesem Zusammenhang sollte man sich an den Wunsch nach Atomwaffen erinnern, den der ukrainische Präsident Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 geäußert hat, wenige Tage vor Beginn der militärischen Sonderoperation. Michael Rubin, ehemaliger Mitarbeiter des Pentagon und Mitarbeiter einer Denkfabrik der republikanischen Neocons, forderte im Januar 2023 Atomwaffen für die Ukraine, sobald der Krieg vorüber sei. Dass die ukrainische Regierung Terrorismus fördert, wurde schon mehrfach belegt. Der Beschuss von Energodar belegt, dass sie auch vor nuklearem Terrorismus nicht zurückschreckt und dass ihr dabei auch die Bevölkerung, die sie stetig zur eigenen erklärt, herzlich egal ist. Aus welchem Grund sollte sie also vor dem Maximum zurückschrecken, der absichtlichen Sprengung eines aktiven Reaktors?

Wenn Russland je derartige terroristische Handlungen beabsichtigt hätte, wäre es kein allzu großes Problem, ein paar Raketen auf das gigantische Lager an radioaktivem Müll zu werfen, das in den letzten Jahren bei Tschernobyl entstand. Man müsste nur darauf achten, dass gerade Ostwind herrscht… aber solche Absichten gibt es nicht. Im Gegenteil, über Monate hinweg wurden Umspannwerke und Kraftwerke immer wieder unter Beschuss genommen, aber die drei in der Ukraine verbliebenen Kernkraftwerke wurden vollkommen ausgespart.

Es ist ein bizarres Schauspiel, wie man in Deutschland bereit ist, jede Logik zu verrenken, nur um den unvermeidlichen Schritt zu erschweren, den man aus derartigen Handlungen ziehen müsste: Man stärkt seit Jahren ein Regime mit Waffen und Geld, das tatsächlich, belegbar, unübersehbar zum nuklearen Terrorismus bereit ist. Das allein müsste im Grunde dazu führen, dass man jede Unterstützung entzieht, da kann man sogar auf Debatten über die Zuneigung zu Nazideutschland verzichten (wobei auch hier eine tiefe innere Übereinstimmung herrscht – schließlich standen die Nazis zum Zeitpunkt ihrer Niederlage kurz davor, Atomraketen zu besitzen).

Es ist jedoch nicht nur die Ukraine. Jeder weiß, dass in der Kiewer Regierung ohne den Segen aus Washington nicht einmal die Toilette aufgesucht wird. Und es erfolgte ja sogar ein öffentlicher Dank aus Kiew für die Unterstützung beim Angriff in Kursk. Da man selbst bei den USA nicht davon ausgehen kann, dass niemand mehr im Stande ist, Karten zu lesen – und es erfordert keine besondere Intelligenz, das Ziel dieses Angriffs zu identifizieren –, bedeutet das mindestens, die USA haben auch das Ziel dieses Angriffs gebilligt, wenn nicht sogar vorgegeben. Und wenn man sich ins Gedächtnis ruft, mit welchen Phrasen deutsche Politiker auf das Auftauchen deutscher Marder-Schützenpanzer dort reagierten, ist anzunehmen, dass auch ihnen klar ist, worauf sich dieser Angriff richtete. Und warum einer wie Roderich Kiesewetter gleich meinte, erklären zu müssen, dieser Angriff sei völkerrechtlich völlig in Ordnung. Das klingt ein klein wenig wie Vorarbeit für den Fall, dass dieser Angriff tatsächlich sein angestrebtes Ziel erreicht und man dann atomaren Terror rechtfertigen muss.

Wobei es in einer Demokratie, die im Westen ja herrschen soll, unverzichtbar wäre, die Bevölkerung auch über mögliche Risiken zu informieren. In diesem Fall hieße das, klar und deutlich auszusprechen, welche Folgen derartige Angriffe, ob auf Kurtschatow oder auf Energodar, im Falle ihres Erfolges hätten. Dass ein atomarer Angriff auf Russland, und sei es durch die Sprengung eines Lagers für nuklearen Müll, mit absoluter Konsequenz einen nuklearen Schlag zumindest gegen die Ukraine, wenn nicht auch gegen ihre Auftraggeber, zur Folge hätte. Für die Deutschen wäre es eine lebenswichtige Information, zu wissen, dass zwar ihre Medien ständig Russland vorwerfen, mit dem atomaren Säbel zu rasseln, ihre eigenen Verbündeten aber nur deshalb noch keinen Akt des nuklearen Terrorismus begangen haben, weil die bisherigen Versuche keinen Erfolg hatten.

Der Rest der Welt weiß ohnehin genau, wo die Verbrecher sitzen. Dort glaubt keiner das Märchen vom russischen Selbstbeschuss, und man erinnert sich noch sehr deutlich daran, wer die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki geworfen hat und den Israelis zu ihren verhalf. Aber die Deutschen, die wieder einmal ihre Städte dummerweise auf dem geplanten US-Schlachtfeld gebaut haben, werden nicht einmal über das Ausmaß der Gefahren oder das wahre Gesicht ihrer „Freunde“ informiert.

Und nur als Fußnote: Während der Westen aktiv nuklearen Terrorismus gegen Russland fördert, wird in der russischen Anlage in Baikonur nach Meldung von Roskosmos gerade eine Sojus-Rakete vorbereitet, die ein Progress-M-28-Frachtmodul trägt ‒ ein Raumfrachter, der zur Versorgung der ISS dient und die US-Astronauten versorgen soll, die dort seit zwei Monaten festsitzen. Manchmal ergibt die Gleichzeitigkeit bestimmter Ereignisse eine sehr aussagekräftige Botschaft.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Die nuklearen Terroristen und ihre Freunde – Ziel bei Kursk war das Atomkraftwerk“ am 13.8.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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