Die Nebenprogramme der Festspiele – Serie: Reiten auf dem Mammut – Berlinale 2009 (Teil 3/3)

Mit der Ankunft des Bruders Aidan, der Brendan in die Geheimnisse der Illumination initiiert, beginnt für Brendan eine aufregende Zeit. Aidan gelang als Einzigem die Flucht von seiner Heimatinsel, die bereits den Wikingern zum Opfer fiel. In dem Elfenmädchen Aisling, die sich auch in eine weiße Wölfin verwandeln kann, findet Brendan eine Freundin, mit der er im Wald herumtobt. Sie hilft ihm bei seinen Aufgaben und warnt ihn vor dem Schlangengott Kromm. Wie entscheidet sich Brendan, als die Wikinger vorm Holztor stehen?

Dieser Zeichentrickfilm erschafft eine wunderhübsche Welt mit einem ganz eignen visuellen Stil. Es wurden nicht nur keltische Muster und Sagen verwoben, sondern auch zeichnerische Perspektiven abgeflacht. Die Geschichte ist sowohl spannend für das Zielpublikum als auch sehenswert für Erwachsene, die darin viele mythologische Zitate finden werden. Mit stimmiger Musik und flottem Erzähltempo gelingt Regisseur Tomm Moore ein Kinoabenteuer, für das sich die sieben Jahre Produktion gelohnt haben.

Den Gläsernen Bären gewann allerdings der Kanadier Philippe Falardeau mit C’EST PAS MOI, JE LE JURE! Darin probiert Leon in den späten 1960ern allerlei Methoden des Suizids durch, um den Zusammenhalt seiner bröckligen Familie zu sichern. Allerdings zieht die Mutter nach einem Streit mit dem Vater kurzerhand weg von der Familie nach Griechenland. Auch der Priester weiß keinen Rat. Leon heckt mit der Nachbarstocher Lea Streiche aus und tobt durch die Felder. Lea hat blaue Flecke, da man sie prügelt. Aber sie kommt nach einer Weile gut mit Leon klar. Der Regisseur beschreibt ungemein unterhaltsam die psychischen Belastungen von Scheidungskindern. Einfallsreich und ungehemmt begibt sich Leon in Situationen, die seinen Eltern Kummer machen. Er wird Profilügner und erlebt mit Lea Abenteuer. Die Kinderjury befand diesen Film für hervorragend, obwohl er es in Kanada schwer hat.

Auch die im 14plus Programm platzierte deutsch-bosnische Koproduktion SNIJEG (SNOW) vor Aida Begic kann mit gelungener Erzählung punkten. Zwar ist das Thema der bosnischen Witwen und Töchter alles andere als leicht, aber mit einfühlsamen Charakterisierungen und vereinzelten fröhlichen Momenten erhält sich der mitunter etwas ruhige Nachkriegsfilm die nötige Aufmerksamkeit, ohne in ein trübsinniges Drama abzugleiten.In einem kleinen bosnischen Dorf rackern sich Frauen ab, um die Obsternte zu Kompott zu verarbeiten. Die Frauen und Mädchen vermissen die Männer, die im Krieg von Serben abtransportiert wurden. Manchmal imitieren sie sie. Nur ein alter Imam blieb noch übrig und ein schweigsamer Waisenjunge, dessen Haare täglich lang wachsen. Allerdings treten neue Männer in das Leben der Frauen. Ein Lastwagenfahrer bietet Alma an, ihre Waren zu transportieren. Er symbolisiert Hoffnung. Serbische Geschäftsmänner wollen das ganze Gebiet kaufen. Sie stehen für Gier und Macht. Dazwischen beginnen nun die aus ihren Routinen geweckten Frauen, über die Zukunft des Dorfes zu debattieren. Wollen sie ihre Heimat verlassen oder lieber mit ihrem Obst und Gemüse handeln? Die Erzählung erstreckt sich über ca. zwei Wochen, aber die Produktion dauerte fünf Jahre. Dem Film ist zu wünschen, dass viele Teenager emotional den Zugang zu den Traumatisierten finden. Die Augenweide Zana Marjanovic verkörpert die entschlossene Protagonistin Alma so authentisch, dass man SNIJEG allein schon wegen der Schauspielleistung empfehlen kann.

Alexis Dos Santos lässt in UNMADE BEDS zwei Jugendliche durch London kreiseln. Während Axl aus Spanien in eine WG kommt, um von dort aus seinen Vater im East End zu finden, amüsiert sich Vera aus Frankreich mit einem Fremden. Zu Beginn wacht Axl oft nach Partys in unbekannten Betten auf. Auch mit seinen Mitbewohnern, die zur Subkulturszene gehören, kommt es zu einem flotten Dreier unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Als er seinen Vater in einer drögen Immobilienfirma findet, gibt sich Axl als Student auf Wohnungssuche aus. Dadurch erfährt er bei Wohnungsbesichtigungen, dass sein Vater eine neue Familie hat. Vera sammelt Polaroids von Momenten und Orten, durchlebt Melancholie und erforscht ihre Gefühle. Erst ganz zum Ende des Films treffen sich die beiden bei einem Maskenball-Videodreh. Die beachtliche und frische Schauspielleistung von Fernando Tielve und Déborah François sowie die unterhaltsame Geschichte werden von einer eindringlichen Handkameraführung getragen. Dabei gelingt dem Regisseur Dos Santos mehr als eine bloße Milieustudie. Seine Charaktere toben sich in der Musikkultur Londons aus und sind bis in die Nebenrollen gut besetzt.

Der Umgang Jugendlicher mit dem Medium Video wurde in zwei Beiträgen der 14plus Reihe thematisiert. In AFTERSCHOOL von Antonio Campos sucht sich der Einzelgänger Robert als Freizeitbeschäftigung am Eliteinternat den Videokurs aus. Fortan läuft er mit einer Kamera herum, was nicht verwundert, konsumierte er doch bereits zu Beginn Handyvideos von Prügeleien und Pornos aus dem Internet. Als dann zwei Mitschülerinnen an einer Überdosis Drogen vor seiner Kamera sterben, kommt ein wenig Aufruhe in die sedierte Oberschichtenschule. Robert schneidet dann ein besonderes Erinnerungsvideo zusammen, das dem Lehrer so missfällt, dass er es von anderen Schülern in ein langweiliges und konventionelles Format umbauen lässt. Durch zu lang geratene Stellszenen flacht die Dramaturgie bisweilen etwas ab, was dem Film schadet. Gerade wenn die visuellen Medien als Aufhänger für ein Teenagerdrama herangezogen werden, darf die filmische Auflösung und Bildkomposition nicht so uninspiriert wirken. Das jugendliche Zielpublikum störte sich jedoch kaum daran, weil es von der Festivalmaschinerie so überwältigt war.

Der Gläserne Bär wurde an MY SUICIDE von David Lee Miller vergeben. Ein anderer Einzelgänger kündet im Videokurs einer Kleinstadtschule an, seinen Selbstmord zu filmen. Damit zieht er viel Aufmerksamkeit auf sich und wird sogar verhaftet. Archie hat allerdings ein umfangreiches kleines Filmstudio zuhause im Gartenhaus und ist ein geschickter Videobastler. Er schneidet fortwährend solipsistische Collagen zusammen und bedauert seine Jungfräulichkeit. Da verwundert es im Filmverlauf dann nicht, dass er vom schönsten Mädchen der Schule entjungfert wird, die ihrerseits an Suizid denkt. Archie gerät an einen Psychologen, den er akzeptiert und mit dem er sogar Matrix-Zitate durchspielt. Ein Großteil des mit Ideen und Anspielungen vollgestopften Films besteht aus Archies Schnipseln, in denen er die Vernachlässigung durch seine Eltern aufkocht und einen weisen Todespoeten glorifiziert. Leider steht der technischen und stilistischen Perfektion die Beschränktheit vor Archies Sujet gegenüber. Daher ermüden seine Filmchen schnell, in denen es hauptsächlich um ihn selbst geht und einige seiner Mitschüler. Deren Reaktionen arbeitet er zwar brav in seine Collagen ein, aber als sich dann ein Freund nach einer Party besoffen in der Turnhalle erhängt, reagiert Archie wie alle anderen recht erwartbar. Immerhin ruft er rechtzeitig den Krankenwagen, damit das schöne Mädchen nicht auch noch an der Überdosis Tabletten krepiert, die sie gerade schluckte. Je besser man die Umstände kennen lernt, desto uninteressanter wird MY SUICIDE. Die Jugendjury sah das anders.

Aus dem 14plus Programm waren auch noch folgende Filme sehenswert: I TAKET LYSER STJÄRNORNA von Lisa Siwe über den Umgang eines Mädchens mit dem Sterben seiner Mutter an Krebs in Schweden und HET ZUSJE VAN KATIA von Mijke de Jong über die Tochter einer Prostituierten, die alleingelassen wird und an einen Straßenprediger in Holland gerät.

Was gab es im PANORAMA zu sehen? Besonders gelungen ist der dritte Teil der Geschichten um den österreichischen Ex-Kommissar Brenner. Mit DER KNOCHENMANN hat sich Josef Hader in seiner Paraderolle noch weiter steigern können. So müssen Krimikomödien sein!

Starke Frauen liefern sich in Sí“LO QUIERO CAMINAR mit mexikanischen Kriminellen einen Schlagabtausch. In dem spannenden Actiondrama geht es um Rache und Macht. Die Damen können viel verkraften. In EL NIí‘O PEZ brilliert die junge Inés Efron als Tochter eines argentinischen Richters, die sich in das Hausmädchen Guayi verliebt. Ihre zärtliche Romanze wird jäh durch den Selbstmord des Vaters unterbrochen und verwandelt sich in einen Thriller. Die Entschlossenheit und Liebe der beiden Mädchen wird bis aufs Äußerste von den dramatischen Umständen getestet. Der Roman der Regisseurin Lucia Puenzo erschien als DAS FISCHKIND bei Wagenbach.

Die Erwartungen an Jan Henrik Stahlberg waren sehr hoch, als ich mir seinen neuen Film SHORT CUT TO HOLLYWOOD ansah. Schließlich begeisterte er einst mit seinen beiden Vorgängerfilmen MUXMÄUSCHENSTILL und BYE BYE BERLUSCONI auf der Berlinale das Publikum. Allerdings hat er sich in seinem Stil bereits jetzt festgefressen und kann mit der Geschichte des Versagers Johannes nur noch bedingt verblüffen. Sich zum Superstar in Amerika zu stilisieren, indem man seinen Selbstmord im Fernsehen ankündigt und sich vorher ein Arm und ein Bein amputieren lässt, mag ja witzig und medienkritisch sein. Dazu muss man nicht einmal singen können. Dass aber eine Liebesgeschichte mit der aparten Shannon die Freundschaft zu den Mitstreitern gefährdet, kommt einem doch irgendwie bekannt vor. Mit extrem wenig Mitteln hatte das Filmteam sich viel vorgenommen und einen Roadmovie hergestellt. Zumindest den Versuch muss man anerkennen und die Mühe. Der Film wird vom Senator Verleih in die Kinos gebracht. Ob ihn das Publikum zum Kult kürt oder als Trash brandmarkt, bleibt abzuwarten.

Noch ein Wort zu den Kurzfilmen: Dieses Jahr konnte keiner der von Maike Mia Höhne zusammengestellten Programmblöcke mit den oft zu lang geratenen und faden Beiträgen wirklich begeistern. Nur der GENERATION MIX und die 14plus Auswahl unterhielten durchgängig.

Allerdings gingen die Preise dann doch an die Filme, die aus dem öden Mittelmaß herausragten. Der in Berlin lebende Ire David OReilly freute sich über den Goldenen Bären für PLEASE SAY SOMETHING. In diesem stilistisch sehr einfach aber effektiv gehaltenen Animationsfilm, der ohne jedwedes Budget am Heimcomputer entstand, durchlebt ein Paar aus Katz und Maus alle möglichen Situationen des Alltags. Da sie nur piepsen, liefern die Untertitel die nötigen Informationen.

Daniel Elliott aus England zeigt in JADE einen Tag im Leben einer sehr jungen Frau, die gerade von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Wie geht sie damit um? Sagt sie es dem Freund oder ist gar ihr Boss auf dem Campingplatz der Vater? Für die verträumten Bilder der Küste und das überzeugende Schauspiel konnte JADE den Silbernen Bären ergattern.Der Kinderjury gefiel BUDDHAS LÄCHELN am besten. Ein kleiner Junge irgendwo in der Steppe hat Süßmangel. Aber er traut sich nicht, die Schokolade vom Gabenteller des kleinen Buddha-Schreins in der Zimmerecke zu nehmen. Dann lenkt eine höhere Macht ein. Sehenswert waren außerdem noch APHRODITE’S FARM, AKBULAK, PURE, DIE LEIDEN DES HERRN KARPF und BRONX PRINCESS.

Nächstes Jahr wird die Berlinale 60. Vielleicht veranstalte ich dann dort ein Kinokabarett und hole unverbrauchte Filmer in die Stadt, die wie ich kleine Kurzfilme in 3 Tagen machen können. Bestimmt wird sich das Festival noch weiter in den Besucherrekorden und Umsätzen steigern wollen, mehr Stars anlocken und überhaupt alles noch gigantischer planen. Womöglich entstehen in diesem Jahr in Deutschland auch mehr gute Studentenfilme, damit die PERSPEKTIVE nicht wieder so unterdurchschnittlich ausfällt wie jetzt. So ein Mammut kann man ja nach Herzenslust frisieren. Der passende Fön wäre ein Windkanal.

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