Berlin, Deutschland (Weltexpress). Ein Konflikt zwischen der Europäischen Union und Pakistan scheint sich zuzuspitzen. Es geht um Religionsfreiheit und Menschenrechte. Die pakistanischen Christen Shafqat Emmanuel und Shagufta Kausar sind wegen angeblicher Blasphemie bereits seit Jahren in Pakistan inhaftiert. Das christliche Ehepaar wurden beschuldigt, Gotteslästerung begangen zu haben, da es 2013 im Distrikt Toba Tek Singh angeblich eine blasphemische SMS an einen Moslem geschickt hätte. Das Ehepaar wurde von einem örtlichen Gericht mit der Todesstrafe belegt. Ein Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird seit langem von der pakistanischen Justiz verschleppt. Shafqat Emmanuel, dessen Unterkörper seit vielen Jahren gelähmt ist, ist zudem auf medizinische Hilfe angewiesen, die ihm offenbar verweigert wird. Am 29. April hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, die das islamische Land durch Handelsbeschränkungen zum Einlenken bewegen will. In der Resolution werden die EU-Behörden aufgefordert, den APS-Plus-Status für Pakistan zu überprüfen. Würde dieser geändert, könnte es zu höheren Einfuhrzöllen für pakistanische Waren kommen. In der Entschließung wird Pakistan aufgefordert, die von der Verfassung garantierten Rechte der Minderheiten, Glaubensfreiheit und Meinungsfreiheit zu achten.
Der investigativer Journalist und Pakistan-Experte Shams Ul-Haq beschäftigt sich seit Jahren mit der islamistische Szene auf der Welt. Im Rahmen seiner Recherchen hat er auch pakistanische Gefängnisse besucht. Dazu hat er zwei Bücher veröffentlicht.
WELTEXPRESS: Warum hat das EU-Parlament erst jetzt auf die repressiven Vorgänge in Pakistan reagiert?
Shams Ul-Haq: Die Menschenrechte werden in Pakistan mit den Füßen getreten. Die Situation wurde lange von EU-Politikern beobachtet. Pläne, Druck auf Pakistan auszuüben, gab es schon seit einiger Zeit. Der Fall Asia Bibi ist diesen Politikern gegenwärtig. Nun wurde die Sache akut. Europäische Abgeordnete waren häufig in Pakistan und pakistanische Politiker in Europa. Es gab auch mehrere Gespräche mit Vertretern des pakistanischen Staates, die aber zu nichts geführt hatten. Deshalb ist nun das Ende der Geduld erreicht, und es wird Druck auf die Regierung ausgeübt.
WELTEXPRESS: Nun findet Repression gegen Andersgläubige in vielen islamischen Ländern statt. Warum aber hat sich gerade in Pakistan aktuell die Lage zugespitzt?
Shams Ul-Haq: In Pakistan herrscht aktuell große Unruhe. Deren Ursache liegt in den Forderungen der islamistischen Partei Tehreek-e-Labaik (TLP). Auslöser war das islamistische Attentat auf den französischen Lehrer Samuel Paty im Oktober 2020. Nachdem daraufhin der französische Staatspräsident Emmanuel Macron zu einer Attacke gegen Islamismus aufgerufen hatte kam es in der gesamten islamischen Welt zu Protest und Unruhen. Besonders die TLP wollte nun den Druck auf Frankreich erhöhen. Die Partei hat durch ihre Aufrufe große Straßenblockaden initiiert und letztlich ganz Pakistan lahmgelegt. Die pakistanische Regierung reagierte zuerst, indem sie TLP-Führer und viele Aktivisten verhaftete. Das führte aber nur zu weiteren Straßenunruhen mit Toten und Verletzten. Somit musste der Staat mit dem TLP-Chef Khadim Hussain Rizvi sowie dessen Sohn und Nachfolger Saad Hussain Rizvi verhandeln, und erst nach der Freilassung Rivzis wurden die Straßenblockaden aufgelöst. Zu den Bedingungen der TLP gehörte die parlamentarische Aufforderung an den französischen Botschafter Marc Baréty, das Land zu verlassen.
WELTEXPRESS: Warum wird das Berufungsverfahren von Shafqat Emmanuel und Shagufta Kausar verschleppt?
Shams Ul-Haq: Die Richter haben Angst vor den Anhängern der TLP, also davor, persönlich angegriffen werden. Zudem sind im Falle einer Neuaufnahme des Verfahrens massive Unruhen mit möglichen Toten die eventuelle Folge. Auch davor haben die Richter haben Furcht, nun aus moralischen Gründen. Sie wären womöglich Auslöser für weitere Opfer.
WELTEXPRESS: Im Rahmen der parlamentarischen Aussprache vor der EU-Resolution zeigte der EU-Abgeordnete Peter Van Dalen von der niederländischen ChristenUnie sogar ein Bild wurde von den beiden Inhaftierten. Gibt es Parallelen zum Fall Asia Bibi?
Shams Ul-Haq: Es ist sicher ein zweiter Fall Asia Bibi. Die Inhaftierten waren sogar mit Asia Bibi in der selben Zellen. Asia Bibi hatte zehn Jahre wegen Blasphemie im Gefängnis gesessen, wurde dann freigesprochen und lebt nun im kanadischen Exil. Ähnlich dürfte es hier werden. Es ist Aufgabe des pakistanischen Staates ein gerechtes und zeitnahes Verfahren zu gewährleisten, statt es ständig zu verschleppen.
WELTEXPRESS: Steht Zukunft Shafqat Emmanuel und Shagufta Kausar somit eine Zukunft wie Asia Bibi bevor?
Shams Ul-Haq: Die beiden Häftlinge sitzen erst fünf Jahre im Gefängnis, Asia Bibi saß zehn Jahre. Sie werden vermutlich frei kommen, aber vielleicht erst in fünf Jahren. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob sie gesundheitliche in der Lage sind, noch weitere fünf Jahre durchzuhalten. Die medizinische Situation in den Gefängnissen ist schlecht. Und es wird laut EU-Resolution angedeutet, dass nur unzureichend ärztliche Hilfe angeboten wird.
WELTEXPRESS: Und wie wird sich die politische Situation in Pakistan verändern?
Shams Ul-Haq: Die TLP wurde nun vom Innenministerium als Terrororganisation verboten. Sie haben aber Sitze im pakistanischen Parlament und dort zudem Unterstützer. Die Abgeordneten können ihre Sitze behalten und gegen die Maßnahme der Regierung im Parlament klagen. Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar.
WELTEXPRESS: Wie reagiert die TLP in Zukunft?
Shams Ul-Haq: Sie werden taktischer vorgehen. Sie werden in kleinen Gruppen mehr aktive Mitglieder zu gewinnen versuchen. Sie werden bei der Wahl in zwei Jahren mehr Abgeordnete zu erreichen versuchen, um das Scharia-Gesetz durchzusetzen. Es wird womöglich eine Alternativpartei mit einem anderen Namen gegründet. Oder die TLP-Leute kooperieren mit nahe stehenden Parteien. Oder sie werden als unabhängige Abgeordnete gewählt. Das alles ist nicht ungewöhnlich in Pakistan.
WELTEXPRESS: Die TLP-Anhänger?
Shams Ul-Haq: Gebildete Anhänger der TLP wollen zwar einen islamisch ausgerichteten Staat, aber keine extreme Scharia. Die ungebildete Basis aber neigt aufgrund der Beeinflussung durch Koranschulen und Moscheen zu weit mehr Radikalität und Emotionalität. Von dieser Seite könnte eine weitere Gewalteskalation drohen.
WELTEXPRESS: Worin liegen die Ursachen für den Erfolg des pakistanischen Islamismus?
Shams Ul-Haq: Der Staat schafft es nicht, die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen. Und diese werden durch die Maßnahmen gegen die Covid-Pandemie nun noch verschärft. Leute können sich keine Corona-Tests leisten, verfügen über keine effektiven Masken, verlieren Jobs, stehen auf der Straße, im schlimmsten Fall hungern sie. Und die Wut richtet sich gegen Regierung und Staat.
Anmerkungen:
Mehr Informationen von Shams Ul-Haq unter www.shamsulhaq.de und @shamsulhaq22 auf Twitter. Ein Buch von Shams Ul-Haq trägt den Titel „Eure Gesetze interessieren uns nicht! Undercover in europäischen Moscheen – wie Muslime radikalisiert werden“. Siehe dazu auch „Moscheen in Sachsen sind Brutstätten des Hasses“ oder „Eure Gesetze interessieren uns nicht“ von Horst-Udo Schneyder.