Die Macht der Darstellung – „Taking Care of Baby“ – Meike Droste erschüttert als missbrauchte Mutter in den Kammerspielen

„Taking Care of Baby“ wurde 2007 in Birmingham uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung fand 2009 in Basel statt. In der Kritiker-Umfrage von „Theater Heute“ wurde das Stück zum besten ausländischen Stück 2009 gewählt.

In der Inszenierung von Sascha Hawemann ist „Taking Care of Baby“ jetzt als deutsche Erstaufführung in den Kammerspielen zu sehen.

Hawemann setzt weniger darauf, das Stück realistisch erscheinen zu lassen und mehr auf die theatralischen und schauspielerischen Möglichkeiten.

Der fiktionale Autor, der im Stück als Stimme über Tonband Donna McAuliffe und die Personen ihres Umfelds interviewt, will selbstverständlich eine schlüssige Geschichte zusammenstellen. Er beeinflusst durch seine Fragen, lässt den von ihm Interviewten aber so viel Raum, dass sie sich entziehen und ein Eigenleben entwickeln können, in dem sich zwischen Wahrheit und Lüge kaum noch unterscheiden lässt – so scheint es jedenfalls.

Die Bühne von Alexander Wolf ist zu Beginn von weißen Wänden begrenzt, die sich später zu einem Wohnraum öffnen. Dort stehen Kameras, die, ebenso wie die Tonbandstimme des Autors, verdeutlichen, dass hier unentwegt gefilmt wird.

Das Theaterpublikum darf hinter die Filmkulissen schauen. Obwohl in dieser Produktion vielfach mit Videos gearbeitet wird, erscheinen die handelnden Personen ausschließlich auf der Bühne. Sie werden nicht in Bildern festgehalten, sondern sind immer greifbar und lebendig.

Auf diese Weise werden die ZuschauerInnen einbezogen. Sie bekommen die Möglichkeit, sich, unabhängig von den Festlegungen durch den Dokumentarfilmer, ein eigenes Urteil zu bilden. Es geht darum, herauszufinden, ob Donna McAuliffe tatsächlich unschuldig ist oder ihre Kinder vielleicht doch umgebracht hat.

Zunächst scheint es mühelos, diese Frage zu beantworten. Meike Droste als Donna McAuliffe ist so wahrhaftig, dass sie mit Lügen nicht in Verbindung zu bringen ist. Sie erklärt, dass sie ihre Kinder nicht getötet hat, und es ist unmöglich, ihr das nicht zu glauben. Diese anfängliche Gewissheit verschwindet im Verlauf des Stücks. Eine klare Antwort lässt sich schließlich nicht mehr finden, und, überraschenderweise, ist das auch gar nicht mehr wichtig.

Erst ganz am Schluss, wenn Donna ihren Mann, von dem sie seit dem Prozess getrennt ist, noch einmal trifft und ihm, fast beiläufig, erzählt, dass sie schwanger ist, wozu er ihr, ebenso beiläufig, gratuliert, entsteht massives Unbehagen. Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich dieser liebenswerten Donna ein Kind wohl doch nicht anvertrauen würde, obwohl ich das zu Beginn ganz anders gesehen hatte.

Dabei habe ich bereits in der ersten Szene einen umfassenden Eindruck von Donna McAuliffe bekommen. Meike Droste präsentiert schon im ersten Interview alle Stärken und Schwächen der jungen Mutter. Sie verändert sich nicht im Lauf des Stücks. Dass sie zunehmend unter Verdacht gerät, liegt nicht an ihr, sondern an der Auswahl der vom Autor zusammengestellten Szenen.

Dieser fiktive Autor maßt sich an, Donna erneut unter Anklage zu stellen und, mit völlig unzureichenden Mitteln, allein auf emotionaler Ebene, einen Prozess gegen sie zu führen, wobei er den Anschein erweckt, die objektive Wahrheit ans Licht bringen zu wollen.

Mit Beweisen oder auch nur Indizien gibt sich der Autor nicht ab. Über Donnas Leben vor dem Tod der Kinder wird kaum etwas mitgeteilt. Im Mittelpunkt der Doku steht die Donna McAuliffe, deren Kinder gestorben sind, die deshalb in Untersuchungshaft saß, die, trotz Freispruchs, immer noch mit Verdächtigungen konfrontiert wird und die ganz allein ist, ohne einen Menschen an ihrer Seite, der ihr hilft.

Aus dem Verhalten und den Aussagen der Frau, die diese Erfahrungen gemacht hat und die sich in einer schrecklichen Situation befindet, soll auf das Verhalten dieser Frau in einer völlig anderen Lebenssituation geschlossen werden. Auf diese Weise lässt sich aber über Donnas Schuld oder Unschuld am Tod ihrer Kinder nichts herausfinden. Erkennbar ist lediglich, dass Donna zur Zeit der Filmaufnahmen dringend Hilfe brauchen würde, weil sie, völlig allein gelassen, eine Gefahr für sich und das Kind, mit dem sie schwanger ist, werden könnte.

Möglich wäre allerdings, dass Donna gar nicht ohne Beistand ist, und dass der fiktive Autor dies zwecks dramatischer Zuspitzung der Dokumentation nicht thematisiert und diesbezügliche Äußerungen von Donna weggeschnitten hat.

Donna McAuliffe ist eine tief unglückliche Frau, die ehrlich und verzweifelt um ihre Kinder trauert. Ihre Aufrichtigkeit steht immer außer Frage. Sie ist aber auch sehr unsicher und bemüht, es allen Menschen Recht zu machen. Während der Interviews unterbricht Donna sich mehrmals und fragt den Autor, ob das, was sie gesagt hat, so richtig sei. Auf diese Weise kann der Verdacht entstehen, dass Donna, falls sie etwas Verwerfliches getan hätte, das keinesfalls wahrhaben, sondern einfach verdrängen würde.

Der Autor spricht Donna auf ihre aggressiven Äußerungen über ihre Mutter während des Prozesses an. Davon distanziert Donna sich vehement und behauptet, es gäbe keine Probleme zwischen ihr und ihrer Mutter. In dem Augenblick, in dem Donna das ausspricht, stimmt es sogar, weil Donna in diesem Moment daran glauben will.

Barbara Schnitzler ist Donnas Mutter Lynn Barrie. Lynn ist Politikerin, und während sie sich im Wahlkampf engagiert, wird ihre Tochter vor Gericht gestellt. Lynn nimmt die Herausforderung an, kämpft für Donnas Freilassung und macht eine politische Kehrtwendung, indem sie sich gegen Umweltzerstörung einsetzt, und obwohl sie dabei scheitert, kann sie als Wahlsiegerin triumphieren.

Barbara Schnitzler präsentiert sich sehr glatt als Lynn. Es lässt sich nicht ausmachen, ob diese Frau nur aus eiskaltem Kalkül heraus handelt oder doch Gefühle hat, die sie nur sorgfältig verbirgt.

Die Mutter-Tochter-Beziehung jedenfalls ist höchst problematisch. In einer Szene attackiert Donna ihre Mutter, beschimpft sie auf üble Weise und versucht sie mit einem Kissen zu ersticken. In einer anderen Szene teilt Donna ihrer Mutter mit, dass sie aus deren Wohnung ausziehen will, woraufhin Lynn ihrer Tochter zu Füßen fällt und weinend darum bettelt, nicht allein gelassen zu werden.

Jim (Michael Schweighöfer), Lynns langjähriger Freund und Wahlhelfer, der jedoch nicht die Anerkennung und Liebe bekommt, die er sich von Lynn wünscht, beneidet Donna offenbar um ihre enge Beziehung zu Lynn und nutzt gern die Möglichkeit, Donna zu diskreditieren.

Eine nicht ganz unwichtige Figur im Stück ist der Psychiater Dr. Millard, der eine Krankheit entdeckt haben will, die Frauen dazu treibt, ihre Kinder zu misshandeln oder zu töten.

Peter Moltzen stellt diesen Psychiater so unsympathisch und eitel dar, dass alles, was er sagt, völlig unglaubwürdig erscheint.

Martin McAuliffe, Donnas Mann (Moritz Grove), glaubt an Dr. Millards Theorie. Martin ist überzeugt davon, dass seine Frau an der von Millard entdeckten Krankheit leidet und deshalb ihre Kinder umgebracht hat. Das hat Martin vor Gericht ausgesagt.

Bei der Dokumentation mitzuwirken, lehnt Martin ab. Er taucht dann aber doch auf, mit und ohne Maske, und zusätzlich erscheint Moritz Grove als Politiker in Lynns Wahlkampf oder als der fiktive Autor. Das ist so, als werde dem Mann, der sich aus ehrenwerten, persönlichen Gründen einer Vermarktung seiner Tragödie entzieht, unterstellt, er spiele doch nur sein eigenes Spiel und verfolge seine eigenen Interessen.

Das Verwirrspiel mit den Möglichkeiten der Medien begeisterte das Premierenpublikum und Meike Droste wurde mit Bravorufen für ihre bewegende, feinsinnige Darstellung der Donna McAuliffe bedacht.

„Taking Care of Baby“ von Dennis Kelly, deutsch von John Birke war als deutsche Erstaufführung am 17.01. in den Kammerspielen zu erleben. Weitere Vorstellungen: 23. und 30.01. und 03., 11., 22. und 27.02.2010.

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