Die lange Liste ist endlich da! – Serie: Deutscher Buchpreis 2010 (Teil 3/5)

"Nach Monaten der Lektüre, in denen wir immer wieder auch Entdeckungen gemacht haben, haben wir lange und durchaus kontrovers diskutiert. Wir freuen uns, eine Longlist zu präsentieren, die ein breites Spektrum abdeckt: eine Vielfalt der Formen und Welten, die in die deutsche Provinz führen, aber auch nach Russland, Israel, ins ehemalige Jugoslawien, nach Paris oder Prag", sagt Jurysprecherin Julia Encke, Literaturkritikerin bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und fährt fort: "Es sind Romane mit eigenwilligen Stimmen, Gesellschaftsporträts und erzählerische Experimente, sehr komisch manchmal, ohne dass sie ihre Figuren denunzieren. Es wird bestimmt nicht leicht sein, aus diesen Titeln eine Shortlist zu erstellen, die, auch in unseren Köpfen, noch überhaupt nicht feststeht. Erst einmal muss alles wieder von vorne diskutiert werden. Wir sind selbst gespannt".

Die nominierten Romane sind in alphabetischer Reihenfolge, mit der Angabe der Verlage und des Erscheinungsdatums:

– Alina Bronsky, Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche (Kiepenheuer & Witsch, August 2010)

– Jan Faktor, Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag (Kiepenheuer & Witsch, März 2010)

– Nino Haratischwili, Juja (Verbrecher Verlag, März 2010)

– Thomas Hettche, Die Liebe der Väter (Kiepenheuer & Witsch, August 2010)

– Michael Kleeberg, Das amerikanische Hospital (DVA, August 2010)

– Michael Köhlmeier, Madalyn (Carl Hanser Verlag, August 2010)

– Thomas Lehr, September. Fata Morgana (Carl Hanser Verlag, August 2010)

– Mariana Leky, Die Herrenausstatterin (DuMont Buchverlag, Februar 2010)

– Nicol Ljubic, Meeresstille (Hoffmann und Campe, Februar 2010)

– Kristof Magnusson, Das war ich nicht (Verlag Antje Kunstmann, Januar 2010)

– Andreas Maier, Das Zimmer (Suhrkamp Verlag, September 2010)

– Olga Martynova, Sogar Papageien überleben uns (Droschl Literaturverlag, Januar 2010)

– Martin Mosebach, Was davor geschah (Carl Hanser Verlag, August 2010)

– Melinda Nadj Abonji, Tauben fliegen auf (Jung und Jung Verlag, August 2010)

– Doron Rabinovici, Andernorts (Suhrkamp Verlag, August 2010)

– Hans Joachim Schädlich, Kokoschkins Reise (Rowohlt Verlag, März 2010)

– Andreas Schäfer, Wir vier (DuMont Buchverlag, Februar 2010)

– Peter Wawerzinek, Rabenliebe (Galiani Berlin, August 2010)

– Judith Zander, Dinge, die wir heute sagten (Deutscher Taschenbuchverlag, September 2010)

– Joachim Zelter, Der Ministerpräsident (Klöpfer & Meyer Verlag, August 2010)

Auf den ersten Blick erfreuen einen neue Verlage, wie der Verbrecher Verlag, der mit Nino Haratischwilis „ Juja“ das erste Mal dabei ist, auf den zweiten Blick wiederholt sich die Situation, daß der Hanser Verlag erneut dreimal benannt ist. Verlage können nur zwei Titel einreichen, das sagen die Präliminarien, aber die Jury kann darüberhinaus von sich aus noch weitere Titel aus den Verlagen anfordern. So muß es hier geschehen sein, aber wir wissen nicht, welche Titel der Verlag selbst eingereicht hatte. Wäre ja interessant. Aber da einer der Titel „Madalyn“ von Michael Köhlmeier ist, sind wir sofort dafür. Denn noch immer haben wir der damaligen Jury des Deutschen Buchpreises nicht verziehen, daß Michael Köhlmeiers Roman unserer Generation „Abendland“ im Jahr 2007 nicht den deutschen Buchpreis gewann, wie, daß im ersten Jahr 2005 Arno Geiger mit „Es geht uns gut“ (beide Autoren bei Hanser) den Deutschen Buchpreis errang, während das Wunderwerk von Daniel Kehlmann „Die Vermessung der Welt“ aus dem Rowohlt Verlag leer ausging, eine literarische Ungerechtigkeit bis heute. Aber das zeigt ganz eindrücklich, das Hin und Her und wie auch Rezensenten wie wir moralisch-literarisch argumentieren, denn bei der Literatur gibt es keine formalen Meßgrößen wie Höhe, Gewicht oder Kubik, die eine Auswahl eindeutig machten.

Diesmal ist unter den zwanzig Romanen auch der Verlag Kiepenheuer&Witsch gleich dreimal vertreten. Das gibt immer ein gutes Zeugnis für das Lektorat. Der Verlag Kiepenheuer&Witsch hatte zudem mit Kathrin Schmidt „Du stirbst nicht“ die Buchpreisträgerin 2009 publiziert, die im übrigen auch wir ausgewählt hätten, was man nachlesen kann, weil der Weltexpress jedes Jahr die sechs Finalisten in Einzelbesprechungen vorstellt und auch ein Votum für den Preisträger abgibt. Der Verlag Klöpfer & Meyer ist auch erstmals dabei, sein Autor Joachim Zeller bildet mit „Der Ministerpräsident“ den zwanzigsten Titel und erscheint gerade auf dem Markt. Österreich ist erneut mit zwei Verlagen vertreten und der Droschl Verlag erneut, aber, und das muß man erklären, schon wieder ist kein Verlag aus der Schweiz dabei! Zwar gibt es den Schweizer Buchpreis nun auch schon im dritten Jahr, aber das ist ein zusätzlicher Preis für Schweizer oder in der Schweiz lebende Deutschsprachige und verhindert keine Nominierung. Andererseits veröffentlichen Schweizer Schriftsteller auch in Verlagen der Bundesrepublik oder Österreichs.

Und so ist Melinda Nadj Abonji, die einzige, die 1968 in Becsej/Vojvodina geboren, in Zürich als Schriftstellerin und Musikerin lebend, nun die Schweiz repräsentiert und mit „Tauben fliegen auf“ in einem österreichischen Verlag veröffentlicht, der – das ist unsere Vermutung – sie vom am 30. Juni 2010 geschlossenen Schweizer Ammann Verlag ’geerbt` hat, in dem sie zuvor veröffentlicht hatte. Und sie ist auch diejenige Person, an der spätestens auffällt, daß die diesjährige Auswahl hervorsticht durch deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die in anderen Ländern geboren sind, meist Osteuropa und Südosteuropa. Das ist eine hochinteressante Entwicklung, denn sie zeigt, wie wichtig Sprache beim Erobern der Welt und Sichzurechtfinden in einer neuen Welt ist. Auf diesen Aspekt wollen wir bei den Besprechungen eingehen.

Aber noch ein Wort zum Allgemeinen. Bei der diesjährigen Auswahl sind weitere Verlage das erste Mal dabei, was wir gut finden, erneut wundert, daß der Rowohlt Verlag nur mit einem Roman vertreten ist. Bisher ist Rowohlt der große Verlierer, denn er hat als großer Verlag noch nie den Buchpreisträger stellen dürfen. Was auffällt ist auch, daß weder Romane aus dem Aufbau Verlag benannt wurden, aber auch nicht von Wagenbach und nach einigem Besinnen werden wir noch andere Verlage finden, die wir vermissen.

Eine andere wichtige Richtschnur ist immer, wann die Romane veröffentlicht wurden. Der Zeitraum ist vorgegeben: Oktober 2009 bis zum 8. September 2010 (was geschieht mit den nach dem 8. September, aber noch im September 2010 erschienen Romanen?). Überblickt man die ausgewählten zwanzig Romane, fällt schon auf, daß überwiegend Romane gewählt wurden, die erst gerade, also im August 2010 erschienen sind oder im September erscheinen werden. Aus dem letzten Quartal 2009 sind erneut keine Bücher ausgewählt. Reagieren die Verlage schon so, daß sie nach einer Buchmesse keine ’wichtigen` Romane mehr bringen und potentielle Preisträger gezielt im August des Jahres veröffentlichen, oder ist das Zufall? Alles spannende Fragen, denen wir weiterhin nachgehen.

Info:

Der Träger des Deutschen Buchpreises, der Börsenverein, gibt – in fragwürdigem Deutsch! – zudem bekannt: Auszüge aus den nominierten Romanen stehen über www.libreka.de kostenlos zum Download bereit. Sie können auf einen Computer oder E-Book-Reader herunter geladen und dort gelesen werden. Anlässlich der Nominierung der Longlist-Titel gibt die MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH, eine Wirtschaftstochter des Börsenvereins, das "Lesebuch zur Longlist Deutscher Buchpreis 2010" heraus. Darin werden Leseproben und Hintergrundinformationen zu den auf der Longlist nominierten Romanen veröffentlicht. Es ist ab kommender Woche in Buchhandlungen erhältlich. Zudem finden im September in sechs deutschen Buchhandlungen und in fünf Goethe-Instituten im Ausland Blind Date-Lesungen mit den Nominierten statt.

Was unsere Artikel ausführten, ist vom Börsenverein noch einmal zusammengefaßt: Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2010 gehören neben Julia Encke an: Jobst-Ulrich Brand (Focus), Thomas Geiger (Literarisches Colloquium Berlin), Ulrich Greiner (Die ZEIT), Burkhard Müller (Süddeutsche Zeitung), Ulrike Sander (Osiandersche Buchhandlung, Tübingen) und Cornelia Zetzsche (Bayerischer Rundfunk). Von den Titeln der Longlist benennen die Juroren in einem nächsten Schritt sechs Titel für die Shortlist, die am 8. September 2010 veröffentlicht wird. Erst am Abend der Preisverleihung erfahren die sechs Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Der Preisträger erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro.

Der Deutsche Buchpreis wird von dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung vergeben. Partner des Deutschen Buchpreises sind Paschen & Companie, die Stiftung der Frankfurter Sparkasse, die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland. Die Preisverleihung findet am 4. Oktober 2010 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt. Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur übertragen die Preisverleihung live im Rahmen von ‚Dokumente und Debatten‘ auf den LW 153 und 177 kHz, der MW 990 kHz sowie als Livestream im Internet unter www.dradio.de. 

Auszüge aus den 20 Romanen der Langen Liste sind abrufbar unter

www.libreka.de

www.deutscher-buchpreis.de

Vorheriger ArtikelDas „Maritim Bonn“ ist das erste Hotel in Deutschland mit einer Nachhaltigkeitsauszeichnung von „Green Globe“ – Große Freude bei Hoteldirektor Hans Schaden
Nächster ArtikelPlayStation bewegt Köln auf der gamescom 2010 – Spieletrends von 3D bis PlayStation Move