Die blonde Sünderin: Catherine Deneuve wird für Luis Bunuel zur „Belle de Jour“ -Serie: Belletristische Filmkunst in der Arthouse-DVD-Box Klassiker Collection Literatur II (Teil 2/3)

„Fortunately, somewhere between chance and mystery lies imagination, the only thing that protects our freedom.“ (Luis Bunuel)

Als Severine von Pierres Freund Husson (Michel Piccoli) vom Bordell der Madame Anais (Geneviève Page) erfährt, besucht sie selbst das Freudenhaus, wo sie tagsüber als „Belle de Jour“ ihre Phantasien auslebt. Jede seiner Facetten zeigt eine andere Perspektive. Zusammen ergeben sie ein faszinierende Zerrbild: schillernd, brüchig, unergründlich. Das Spiel mit den Bedeutungen beginnt schon mit den beiden Namen der Hauptfigur. Ihr bürgerlicher Name Severine ist die weibliche Form von Severin, dem Helden von Leopold von Sacher-Masochs Roman „Venus im Pelz“. Aufgrund dieses Romans benannte Krafft-Ebing in seiner „Psychophatia Sexualis“ den Sadomasochismus nach dem Autor Sacher-Masoch. Ihr Kosename „Bell de Jour“ spielt auf den französischen Euphemismus „belle de nuit“ für eine Hure an.

Großbürgerliche und klerikale Verderbtheit inszeniert Luis Bunuel weit expliziert als sadomasochistische Ausschweifungen. So elegant und genussvoll wie der cineastische Surrealist der Bilderotik nachspürt, sucht er den Affront. Sexuelle Unterdrückung, Heuchelei und verkappte Perversion verankert Bunuel in der guten Gesellschaft. Der Bordellbetreiberin Anais dient das bürgerliche Ambiente nur zur Tarnung. Ihr Etablissement ist amoralisch – frei von erstickender Moral. Wie ihre Traumwelt ist es ein geschützter Raum, indem Severine der Bigotterie entkommen kann. Ihr Masochismus ist keine unbewusste Bestrafung ihrer sexuellen Phantasien, sondern deren Erfüllung. Schmerz ist für sie ein erotischer Schlüsselreiz. Vorstellung und Realität gleiten in „Belle de Jour“ ineinander über. Der Betrachter entscheidet, was darin sieht. „Was sie wollen“ sei in dem rätselhaften Kästchen, das ein Bordellkunde mit sich trägt.

„Is all that we see or seem / But a dream within a dream.“ (Edgar Allan Poe)

Das verlockende „Wie es Euch gefällt“ beschließt Bunuels erotischen Tagtraum. Über die Bedeutung der frei interpretierbaren Schlussszene waren nicht einmal Drehbuchautor Jean-Claude Carriere und Bunuel einig. Eine Verletzung hat Pierre blind an den Rollstuhl gefesselt. Physisch ist er am Ausleben seiner Lust nun gehemmt, wie es Severine aus psychischen Gründen war. Severines Fantasien sind verklungen, doch die scheinbare Emanzipation ist trügerisch. Die erzwungene Passivität des Mannes wirken auf die Sexualität des Paares ebenso erstickend wie die der Frau. Ihr Verhältnis ist weiterhin von elterlicher Fürsorge dominiert, lediglich ist es nun Severin, welche als Pierres Pflegerin die umsorgende Rolle innehat.

Erst die Enthüllung Severines vermeintlicher Sünden befreit sie von den Schuldgefühlen. Die filmische Lustreise kann erneut beginnen. Vor Severines Fenster wartet schon die Kutsche. Der Arthouse-Verleih versüßt sie auf seiner DVD mit einem Booklet, dem Trailer, einem filmwissenschaftlichen Audiokommentar und einer Dokumentation zur Geschichte des Films.

* * *

Titel: Belle de Jour

Land/ Jahr: Frankreich, Italien 1966

Genre: Erotik, Drama

DVD-Start: 16. September 2010

Regie: Luis Bunuel

Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière

Darsteller: Catherine Deneuve, Jean Sorel, Michel Piccoli, Genevieve Page, Georges Marchal, Pierre Clementi, Marcha Meril, Francoise Fabian, Maria Latour

Kamera: Sacha Vierny

Schnitt: Louisette Hautecoeur

Laufzeit: 101 Minuten

Verleih: Arthouse

Internet: www.arthouse.de

Vorheriger ArtikelEin Mann sieht Rot – Bruce Willis, Morgan Freemann und Helen Mirren sind „R.E.D.“ in Robert Schwentkes Comicverfilmung
Nächster Artikel(Un)heilige Nacht – Zu „Halloween“ spuken in Jim Heimans Bildband der Taschen-Icons „Vintage Holiday Graphics“