Es ist ein Wesensmerkmal heutiger Kunst, daß diese frei ist und auch die Künstler, die diese Mauerstücke erhielten, hatten keinerlei Vorgaben als diese, ihnen ihren künstlerischen Stempel aufzudrücken. Wenn man im edlen Schlüterhof steht und nun diese Ansammlung von 40 Betonstücken in den Maßen 120 x 100 cm sieht, dann erkennt man, wie vielfältig diese Vorgabe genutzt wurde. Daß so viele Künstler das Thema Freiheit oder Zwang, Gewalt oder Frieden thematisieren, hat sicher mit der Aura dieser Mauerstücke zu tun, die ja real ein Bollwerk gegen den Westen und ein Gefängnis nach innen errichtet hatten. Dies und die Idee des sich sozialistisch nennenden Systems, da ja nie mehr war als ein Staatsbürokratismus, drückt sich exemplarisch im Mauerstück von Armand aus, das dieser 1990 als Mischtechnik auf Beton formte und „Selbstzerstörung“ nannte.
In das Betonstück sind Hammer und Sichel, die Symbole des Sozialismus in gutem, nämlich einem aufbauenden Sinne, hineingerammt, mehrfach. Am rechten Rand ist ihr Zerstörungswerk schon sichtbar, eine Bildmetapher, wo Hammer und Sichel wie ein Krebs sich selbst auffressen. Ein attraktives Stück, das in jeder Kunstausstellung der Welt im Betrachter die gewollte Assoziation erzeugt. Unheimlich auch das früheste, schon 1989 entstandene Stück von Vadim Zakharov aus Tadschikistan. Der in Köln lebende Russe, der übrigens das in Frankfurt stehende Adorno-Denkmal der besonderen Art schuf, hat die Mauer verdreifacht. Er hat zeichnerisch ein Mauerstück ummantelt, so daß es wirklich wie angezogen aussieht, das nun wiederum steht auf einer Mauer, die wiederum an die Mauer angelehnt ist, die nun wirklich auch real das Mauerstück selbst ist. Eine Symbolik, die einen ganz schwindelig macht, suggeriert sie doch, daß der Mauerfall gar nicht vorbei ist, sondern die verpackten Mauern gelagert sind und nicht nur die Mauern in den Köpfen bedeuten, sondern jederzeit wieder ausgepackt werden können – wenn, ja wenn die Menschen nicht aufpassen, denken wir dazu. Das ist deutlich, überdeutlich.
Anders, nämlich sehr viel dezenter ist es mit dem Mauerstück von Boris Zaborov bestellt, das dieser 2005 schuf. Der Weißrusse hat zwei Silhouetten im Profil einander gegenüber gestellt, durch einen Spalt getrennt und über ihren Köpfen zeigen Pfeile auf diesen Spalt, wobei die Farben gegenläufig sind, das bräunliche Gesichts hat den rötlichen Pfeil, das rötliche Gesicht den bräunlichen. Sie wollten zusammen kommen, aber der Graben war zu tief, die Mauer zu undurchdringlich, bis jetzt, aber die Pfeile zeigen, wie es weitergeht. Aber auch er bleibt in der Symbolik der Mauer und sein Werk betitelt den kleinen Ausstellungsprospekt der in Berlin „1989- 2009 Berliner Mauer. Künstler für die Freiheit“ genannten Ausstellung im Schlüterhof, der es schafft, alle gezeigten 40 Werke abzubilden und ein Kurzinformation über Künstler, Werkname, Entstehungsjahr und Material zu geben. Vielschichtig auch die Verarbeitung von Adam Steiner, einem US-Amerikaner, der in Frankreich lebt. Ihm sind die Stellagen zu verdanken, mit denen die Mauerstücke in der Ausstellung auf Augenhöhe uns anschauen. Und er hat auch ein Werk dazu beigetragen, das allerdings hockt am Boden wie einige der Stücke. Er hat ein originales Mauerstück mit Eisen ummantelt und zu einer Truhe mit den Maßen 65 x 55 x 35 geformt und „Büchse der Pandora“ genannt. Dazu fällt einem viel ein, zum Beispiel auch das, daß es falsch und leichtsinnig wäre, aus dem Fall der Mauer schon eine funktionierende Demokratie zu folgern. Denn gibt es diese im arroganten Westen wirklich. Sind nicht die Versprechen des Mauerfalls von den Gesellschaften erst einzulösen und nicht automatische Folge. Was passiert, wenn man diese Büchse öffnet?
Wir haben bei der Ausstellungseröffnung viele Besucher nach ihrem Lieblingsmauerstück gefragt. Den Sammler nicht, denn der muß öffentlich erst einmal alle mögen. Sie glauben gar nicht, wie unterschiedlich die Antworten ausfielen. Waren am Schluß noch Stücke übrig, die nicht ausgesucht waren? Die Vielfalt des Geschmacks ist verständlich, denn tatsächlich haben sie alle etwas Besonders an sich, diese zur Kunst generierten Mauerstücke, und wenn sich jemand für David Mach und sein „Baumeistermonstrum“ von 1990 entschied, kann man erst mal annehmen, daß derjenige genauso leicht schräg ist wie dieses Produkt, das andere leicht angewidert umrunden. Da hockt ein zweiköpfiges Zwitterwesen noch am Boden, stützt sich aber mit der Hand mit den lackierten Nägeln schon auf, so als ob es sein Werk fortsetzen wolle. Sein Werk? Auf den Schultern trägt er dieser Anthropomorphe ein angebrochenes Mauerstück, er selbst hockt auf einer zerbröselten Mauer, aber dem Ganzen liegt keine Hoffnung zugrunde, daß hier Mauern zerstört würden. Der britische Bildhauer verbreitet mit diesem Monstrum eher die Furcht, daß gesichtslose Wesen wie dieser Molch die Mauern und den Schrecken wieder aufrichten und die Menschheit aufgerufen ist, sich vor solchen Molchen und Molochen allgemein zu schützen.
Dann gibt es aber auch ganz andere Motive. Der Franzose Guy Roussile läßt Grünes aufkeimen und der Deutsche Rolf König malt ein dickes rotes Herz rund um das Brandenburger Tor und sagt im Katalog: „Das Symbol des Herzens schwebt bedeutsam über Berlin, erobert Charakteristika der Stadt und umschließt internierend das Hammerelement, macht es zu seinem Gefangenen.“ Und noch einmal anders und auch vom künstlerischen Vorgehen sehr speziell her ist der BEton als Skulptur „Europa“, das der Franzose Vidé 1999 schuf. Es handelt sich um ein Stück Berliner Mauer, daß Vidé, der grundsätzlich mit Transparenz arbeitet, durch Vorschalten von undurchsichtigen, aber strukturierten Flächen, – ein Verfahren, das er als Holotramie bezeichnet – in seinem festen Zustand als Mauer auflöst. Schon in geschlossenen Räumen entfaltet das Werk seine sphärenhafte Wirkung. Im natürlichen Licht allerdings, das keine Sekunde stillsteht, das durch die vorgeschalteten Flächen flimmert und alles Beständige einem ständigen Auflösungsprozeß unterwirft, in diesem Licht entmaterialisiert sich das Mauerstück, bleibt nur als vage Idee in einer blau eingefangenen Harmonie zurück. Ein Kunstwerk, das nicht nur für sich Hoffnung für die Vergänglichkeit von allem allzu Festgezurrten versprich, sondern das man auch als Symbol der Absichten des Sammlers Sylvestre Verger aus Paris verstehen kann, der einmal zu dem Transport seiner Betonsammlung per Luft gesagt hat: „Ich finde das ganz poetisch, diese, ja, Entmaterialisierung der Mauer, indem man sie fliegen läßt.“ Heute in Berlin bis zum 8. August, dann in Moskau. Da kann man gespannt sein, wie die Russen diese Ausstellung aufnehmen.
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Ausstellung: bis zum 8. August 2008
Katalog: 1989 Berliner Mauer. Kunst für Europa im Aufbruch, sVo Art Versailles, anläßlich der Ausstellung in der Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln 2001
Wenn Sie allerdings noch vielmehr wissen wollen, müssen Sie Heinz J. Kuzdas, den spiritus rector dieser Ausstellung, fragen. Denn er kann ihnen zu jedem Stück die Hervorbringung verraten und auch den Weg der Sammlung durch die Welt nachzeichnen, die er im Namen von Sylvestre Verger maßgeblich begleitet.