Berlin, Deutschland (Weltexpress). Die 69. und letzte Berlinale unter dem Festivaldirektor Dieter Kosslick startet mit „The Kindness of Strangers“ und einer Botschaft an das Publikum: Soziale Abstürze und Verlorenheit in einer unübersichtlichen Welt sind Realität – aber es gibt Hoffnung.
Die dänische Regisseurin Lone Scherfig (u.a. Italienisch für Anfänger) nähert sich in ihrem Film den Themen Menschlichkeit, Verbundenheit und Einsamkeit. Es ist vielleicht nicht der komplexeste und tiefschürfendste Film und die Charaktere belieben skizzenhaft, – jedoch ein gelungener Auftakt für die diesjährigen Berliner Festspiele.
Die Berlinale hat sich zum Ziel gesetzt Themen wie Gendergerechtigkeit, das Private im Politischen und Ausbrüche aus ehemals traditionellen Rollenvorstellungen zu behandeln. In einer von tiefen Unsicherheiten und Erschütterungen geprägten Welt, bietet „The Kindness of Strangers“ einen Blick auf soziale Abgründe: Gewalt in der Ehe, Obdachlosigkeit, starke Frauenfiguren, die sich durchbeissen in der Anonymität der Großstadt, aber hier gibt es noch ein Licht im Dunklem. Der Film kommt im Mantel des romantischen Märchens daher und ist gleichzeitig ein Sozialdrama. Die Themen des Filmes sind zeitgemäß und hochaktuell, und das Werk schenkt Hoffnung, die wir brauchen können – und die Regisseurin ist eine Frau. Also, alles richtig gemacht, Dieter Kosslick!
Einsame Seelen wandeln in Manhatten, jeder mit seinen eigenen Problemen. Sie treffen sich auf verschlungen Wegen und verweben sich im Laufe der Geschichte zu einem neuen Netz.
Es sind sich fremde Menschen auf der Suche nach einem Ausweg aus ihrer Isolation und ihren inneren und äußeren Dämonen. Mehrere kleinere Episoden verspinnen sich ineinander.
Alice (Andrea Riseborough) ist – gemeinsam mit ihren beiden Söhnen -auf der Flucht vor ihrem prügelnden Ehemann Richard (Esben Smed Jensen) in die Stadt der tausend Möglichkeiten und Abgründe.
Mit Einfallsreichtum und Phantasie verkauft Alice ihren jungen Söhnen den New York Aufenthalt als Urlaub und bemüht sich darum im Großstadtschungel zu überleben. Sie kann sich in ihrer Not jedoch nicht offenbaren, denn der Übeltäter, ihr Ehemann, ist selbst Polizist und setzt alles daran, seine geflohene Familie aufzuspüren.
Nachdem Alice von ihrem Schwiegervater, den sie um Unterschlupf bittet, abgewiesen wird, irrt sie mit ihren Kindern umher, auf der Suche nach Essen und Unterkunft. Sie ist ohne Verwandte, allein, hat niemanden der sie in ihrer Notlage unterstützen kann. Hier greift die Abwärtsspirale und der schnelle Abstieg, der die kleine Familie, bis zu den Tafeln der Obdachlosen führt.
Auch der junge gewitzte Jeff (Caleb Landry Jones), der ständig seinen Jobs verliert, driftet immer weiter ab, bis er fast nachts auf der Straße in Eiseskälte erfriert.
Alice (Andrea Riseborough) ist Krankenschwester und hält die sich mit drei Jobs über Wasser. Sie kümmert sich aufopfernd um die New Yorker Gestrandten und hat doch selber die Hoffnung auf ihr eigenes Liebesglück verloren. So isst sie seit Jahren täglich alleine in dem russischen gemütlich-verkitschtem Restaurant, dessen verknöchert-charmantes Interieur sich im Laufe der Geschichte zur einer Oase für all die verlorenen Seelen, in der anonymisierten Großstadt entwickelt.
Hier arbeitet der junge Marc (Tahar Rahim) . Er ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, indem er an Stelle seines Bruders die Strafe verbüßen musste. Geführt wird das Restaurant von dem egozentrischen Besitzer Timofey (Bill Nighy), der eigentlich Amerikaner ist, aber mit einem aufgesetzem russischen Akzent, dem Ort ursprünglichem Charme verleihen will.
Die Krankenschwester Alice leitet eine Selbsthilfegruppe, – eine Vergebungsgruppe – deren Teilnehmer – in skurill lustigen Dialogen – doch auf der Suche nach innerer und äußerer Vergebung sind. So bahnen sich die Wege der einzelnen Charaktere und führen durch schicksalshafte Zufälle und Wendungen aus- und wieder zueinander.
Es ist ein romantisches Märchen und gleichzeitig ein erschütternde Sozialstudie. Menschen der heutigen Zeit, die – in einer erkalteten Welt -, nach Wärme und Geborgenheit suchen. „Schlechte Dinge geschehen und du kannst mit niemandem drüber reden, als mit Fremden.“ ertönt es von einem der Verlorenen. Wenn du am untersten Ende der Spirale angekommen bist, deinen Zufluchtsort und jegliche Kontakte verloren hast, ist die Bedrohung des Abgrundes nahezu unausweislich. Und doch kann es Wendungen und Licht im Dunkeln geben, wenn sich menschliche Beziehungen, Anteilnahme und Mitgefühl von Fremden oder unterstützenden Organisationen auf zufällige Weise anbahnen. Und so will der Film Hoffnung machen.
Es ist ein Plädoyer für Menschlichkeit. Vielleicht ist der Film für den ein oder anderen zu verkitscht, durch die scheinbar effekthascherisch eingesetzte Musik und die lose aneinandergereiten Figurenkonstellationen und skizierten Handlungen. Jedoch unterstreicht die Musik die Erlebnisse und Empfindungen der Handelnden. Das Wesentliche zeigt sich klar. Es sind hier ganz normale Menschen, mit ihren Brüchen, ihrer Verzweiflung und ihrer Kraft. Sie irren in ihrer Suche umher und manchmal kann durch ein offenes Herz und dem wirklich Gesehen werden durch den mitfühlenden Anderen, einem ehemals Fremden, ein Lichstrahl, – eine Hoffnung aufkäumen und einem Schicksal eine neue Richtung geben – und die heißt hier Wärme und Geborgenheit – und ist das nicht, was wir uns – im Kern – wenn wir menschlich geblieben sind – wünschen?