Berlin, Deutschland (Weltexpress). Vieles geriet im Einheitsjahr 1990 durcheinander und auch im Fußball so einiges. Im Mai wurden in Stockholm die Gruppen für die Fußball-EM 1992 ausgelost. Die DDR sollte in der Gruppe 5 mit Belgien, Wales, Luxemburg und der BRD spielen. Da aber am 31. August 1990 in Berlin von Günther Krause und Dr. Wolfgang Schäuble der Einheitsvertrag unterschrieben wurde, zog sich der DFV der DDR aus der EM-Qualifikation zurück. Allerdings war das Spiel gegen Belgien bereits terminiert. Um keine Strafe zahlen zu müssen, trat der DFV mit einer Auswahlmannschaft an. Wir von der Zeitung „Junge Welt“ wollten natürlich von dem Spiel berichten. Doch die neue D-Mark war in der Redaktion knapp. Also fuhren mein Kollege Gunnar Meinhardt (heute „Welt“) und ich mit einem eher alten „Wartburg“ am Tage nach Brüssel und in der Nacht nach dem Spiel wieder zurück. Über die schlaflose Nacht am Steuer haben wir uns nie geärgert, schließlich erlebten wir eine historische Stunde hautnah mit.
Nach dem Spiel erwarteten wir in der DDR-Kabine Jubelstimmung. Immerhin hatte die DDR-Fußball-Nationalmannschaft Belgien am 12. September 1990 im Anderlecht-Stadion von Brüssel vor 10.000 Zuschauer mit 2:0 besiegt. Der Dresdner Matthias Sammer, inzwischen für den VfB Stuttgart aktiv, sorgte in der 74. und 90. Minute für die beiden DDR-Treffer. Es handelte sich übrigen um das 500. und 501. Länderspiel-Tor in der DDR-Fußballgeschichte. Mit einer kurzen Ansprache bedankte sich damals Trainer Eduard Geyer bei den Spielern und in die Mikrofone sagte der Coach: „Ich bin stolz auf diese Mannschaft.“ Konnte er auch sein, denn er war mit einem kleinen Häuflein Unverdrossener mit wenig Hoffnung aber einem eisernen Willen in die belgische Hauptstadt gereist, nicht klein beizugeben, auch wenn es das 293. und damit letzte Länderspiel einer DDR-Mannschaft war. Am 13. September verabschiedete dann der neugewählte DFV-Präsident Dr. Hans-Georg Moldenhauer auf dem Flughafen Schönefeld die Mannschaft praktisch für immer, denn drei Wochen später stieg die Einheitsfeier am Brandenburger Tor in Berlin. Am 20. November 1990 schloss sich der DFV in Leipzig dem Deutschen Fußballbund der Bundesrepublik an.
Obwohl der jungen DDR-Mannschaft (Durchschnittsalter 24 Jahre) nach dem Sieg in Brüssel von allen Seiten Glückwünsche ausgesprochen wurden, empfing uns keine Jubelstimmung in der Kabine. Der Jenaer Jens Böger kämpfte sogar mit den Tränen. Abschied legt sich eben oft wie Mehltau über die Stimmung. Lediglich Matthias Sammer stand in der Kabine und gab sachlich wie immer Interviews. „Schon vor dem Spiel war zu spüren, dass es alle wissen wollten, vielleicht auch als Trotzreaktion auf die vielen fadenscheinigen Absagen von gestandenen Auswahlspielern“, sagte der damals 23 Jahre alte Dresdner. Der Magdeburger Heyne gab eine Verzichtserklärung ab. Bräutigam, Minkwitz, Lindner, Steinbach, Doll, Kirsten und Thom meldeten sich verletzt. BFC-Star Rainer Ernst hatte keine Lust. 36 Spieler hatte Trainer Geyer eingeladen. 14 reisten an.
„Ich war schon enttäuscht, dass ich von zahlreichen erfahrenen Spieler in Stich gelassen wurde“, gestand uns Geyer später einmal. Als wollten die Belgier damals zum Abschied noch einmal alle Register ziehen, wurden alle drei Strophen der DDR-Nationalhymne gesungen, auf deren Text in der DDR schon lange wegen der Stelle „Deutschland einig Vaterland“ verzichtet werden musste. Der Cottbusser Mittelfeldspieler Jörg Schwanke, der Chemnitzer Torwart Jens Schmidt und der Hallenser Keeper Jens Adler (3. Minuten Einsatz) bestritten übrigens ihr erstes und einziges Länderspiel für die DDR. Am 20. November sollte das letzte DDR-Länderspiel DDR-BRD in Leipzig steigen. Aus Sicherheitsgründen wurde es abgesagt.
20 Jahre später stieg im November 2010 anlässlich des 20. Jahrestages der deutschen Fußballvereinigung dann doch ein Spiel der Weltmeister-Elf von 1990 gegen DDR-Fußball-Legenden vor 15-500 in Leipzig. „Wir gegen uns“, nannte der DFB das Spiel. Die Ost-Legenden gewannen durch Tore von Olaf Marschall (Elfer /59. und Ulf Kirsten (69) mit 2:1. Das Tor für die Weltmeister hatte Karl-Heinz Riedle (31.) erzielt. Die DDR-Oberliga beendete ihr Bestehen erst 1991 mit dem letzten Meistertitel und dem FDGB-Pokalsieg für den FC Hansa Rostock.