Deutscher Kampf gegen den Armeniermord

Kreuzsteine in Armenien. Quelle: Pixabay
„Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches … das nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen.“ „Das Deutsche Reich trägt eine Mitschuld an den Ereignissen.“ „Der Deutsche Bundestag ehrt mit seinem Gedenken … auch all diejenigen im Osmanischen Reich und im Deutschen Reich, die … sich gegen den Wider-stand ihrer jeweiligen Regierung … für die Rettung von armenischen Frauen, Kindern und Männern eingesetzt haben.“ In der vorherigen Debatte wurde die Behauptung von Franz Josef Jung, Vize-Fraktionschef der CDU/CSU, nichts habe das Deutsche Reich getan, um die fast vollständige Vernichtung der Armenier zu stoppen, statt mit betretenem Schweigen mit dem Beifall aller Fraktionen bedacht ("Welt", 03.06.16, S. 4).

All dies ist, wie aus folgenden hervorgeht, die absolute Unwahrheit. Dürfte, man annehmen, die Abgeordneten hätten vorher pflichtgemäß einschlägige gut zugängliche Dokumentationen zur Kenntnis genommen, wären die Aussagen sogar als grobe Lügen zu bezeichnen.  

Im Kriegsjahr 1915, während der heftigen Kämpfe der Türkei gegen die auf Gallipoli an den Dardanellen gelandeten britischen und französischen Truppen, begann am 24./25. April die mörderische Verfolgung und Deportation der Armenier in der Türkei; sie dauerte bis zum Ende des Krieges. Das größte Morden fand von Juni bis zum Frühjahr 1916 statt. Die etwa 1,85 Millionen türkischer Armenier, ob wichtig oder unwichtig für Militär, Wirtschaft und Verwaltung im Krieg, ob Mann, Frau, Kind, Jugendlicher oder Greis, wurden auf Druck des turkomanen Jungtürkischen Komitees auf administrativem Weg der Vernichtung preisgegeben. Diese verübten Armee, Gendarmerie, Polizei mit Hilfe von Tscherkessen, Kurden, Arabern und Räuberbanden durch Massaker in den Siedlungen, vor allem während riesiger Deportationszüge in Richtung der Wüsten in Mesopotamien und in Lagern, außerdem durch Verhungernlassen und Krepierenlassen in Seuchen. Später wurde der Rest zwangsislamisiert, besonders Kinder und Jugendliche. Gegen Ende des Krieges, nach dem Rückzug der Russen, wurden dann noch Armenier im Kaukasus massakriert.

Es war Völkermord. Wenn er heute mit 1,5 Millionen Todesopfern angegeben wird, so ist das mehr als die 1,3 Millionen Armenier, die nach der von Wikpedia angegebenen Statistik-Quelle 1914 in der Türkei lebten. Andere Zahlen nenne ich im weiteren Vortrag.

Sehr wichtig: Dr. Johannes Lepsius, der Hauptdokumentator des Armeniermordes sagt in seiner Einleitung: „Nirgends aber war die Deportation, die Abschlachtung, die Aushungerung und Islamisierung des armenischen Volkes ein Werk gehässiger oder fanatischer Volksleidenschaft. Genauso wie zur Zeit Abdul Hamids (Sultan 1876-1909) war die Vernichtung der Armenier eine administrative Maßregel der türkischen Regierung.“
Grundlage war das „Provisorische Gesetz über die Verschickung verdächtiger Personen“ vom 27. Mai 1915, wonach Befehlshaber ab Division  „wenn militärische Bedürfnisse es fordern, die Bevölkerung von Städten und Dörfern, die sie der Schuld des Verrats oder der Spionage für verdächtig halten, dislozieren und in anderen Orten ansiedeln“ konnten. Der Verdacht genügte. 
Das Gedenken an diesen großen Armeniermord im Osmanischen Reich vor hundert Jahren war 2015 wieder eine Gelegenheit, das Deutsche Reich der Mitschuld zu bezichtigen, weil es seinem damaligen Verbündeten im Krieg nicht in die Arme gefallen sei, sondern die mörderische Vertreibung der Armenier „gleichgültig“ hingenommen habe. Mit dieser Beschuldigung tun sich besonders deutsche Politiker hervor. Der Bundespräsident sagte am 23. April 2015: "In diesem Fall müssen auch wir Deutsche insgesamt uns noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern geht.“ Der Bundestagspräsident bekannte sich am nächsten Tag zur deutschen Mitverantwortung am damaligen Geschehen.
Deutlicher war der Bundestag in dieser Beziehung schon vor zehn Jahren. Deshalb seien nachfolgend die Beschuldigungen vorwiegend anhand des damaligen Beschlusses des Bundestages bewertet.
„Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern bei-tragen“  heißt der Antrag aller Bundestagsfraktionen außer der PDS, der am 16. Juni 2005 als Zusatzpunkt 7b ohne Aussprache mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen wurde. Der Bundestag beklagt darin die „fast vollständige Vernichtung der Armenier in Anatolien“ durch die jungtürkische Regierung des Osmanischen Reiches, ehrt die Deutschen und Türken, die sich für die Rettung der Armenier eingesetzt haben, erklärt, dass „eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte“ zur Versöhnung nötig ist, bedauert, dass dies in der Türkei noch immer strafrechtlich verfolgt und diffamiert wird, betont die Bedeutung der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien, sieht eine besondere Verpflichtung Deutschlands mitzuhelfen „aufgrund seiner historischen Rolle in den deutsch-türkisch-armenischen Beziehungen“, und fordert schließlich von der Bundesregierung entsprechendes Handeln. Der Beschluss vermeidet trotz unzweideutiger Beschreibung des Verbrechens das Reizwort „Völkermord“.

Es lässt sich darüber streiten, ob er deshalb hilfreicher ist als die Völkermord-Erklärungen, wie die des Weltkirchenrats 1983, des Unterausschusses der UN-Menschenrechtskommission 1985, des Europäischen Parlaments 1987, danach der Parlamente von EU- und anderen Staaten weltweit. Doch da der Beschluss mit Beschuldigungen des Deutschen Reiches so durchsetzt ist, dass es als Mordkomplize erscheint, muss man fragen, ob er ein gutes Beispiel für „Wahrheit und Gerechtigkeit, für „eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte“ ist, welche er von den Türken fordert. Den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage bietet der Beschluss selbst, in dem es heißt: „Besonders das Werk von Dr. Johannes Lepsius, der energisch und wirksam für das Überleben des armenischen Volkes gekämpft hat, soll dem Vergessen entrissen werden.“ 

Der evangelische Theologe Lepsius hatte sich seit den türkischen Massakern an den Armeniern 1895/96 in Wort und Tat ganz der Hilfe für die Armenier verschrieben. In seiner sehr umfangreichen Dokumentation „Deutschland und Armenien 1914-1918 – Sammlung diplomatischer Aktenstücke“ beschreibt und bewertet er vorweg ausführlich das Geschehen. Das Werk wird vom Informations- und Dokumentationszentrum Armenien im Vorwort zur Neuausgabe 1986 als „eines der wichtigsten Werke, wenn nicht gar das wichtigste Werk über den Völkermord“ bezeichnet. Das Vorwort weist es indirekt zugleich als wichtigstes zur Haltung des Deutschen Reiches aus. Denn es erhebt schwere Vorwürfe gegen das Reich wegen der damals im Reich erzwungenen Geheimhaltung der Gräuel und deutet an, dass Deutschland vielleicht doch nicht „alles in seiner Macht Stehende zur Rettung der Armenier unternommen“ habe. Es meint: „Deutschlands Schuld lag vermutlich gerade vor allem in `unterlassener Hilfeleistung ´“. Dieser grundsätzliche Vorwurf wird jedoch weder im Text noch in den Quellenangaben durch Fakten belegt, woraus zu schließen ist, dass es sie nicht gibt. Das Gegenteil ist dokumentiert.
Eine Arbeitsgruppe Anerkennung (AGA), als Zusammenschluss mehrerer Organisationen setzt sich in Deutschland seit 1999, für die Anerkennung des, wie es heißt, an 1,5 Millionen Armeniern 1915/16 begangenen Völkermordes ein. Ihre Internet-Dokumentation bringt Bilder und Texte zur Verfolgung der Armenier seit 1895.  Darin wird ein vom Deutschen Hilfsbund errichtetes Zeltlager (wohl für die Verfolgten von 1895/96) gezeigt, wird für die Hungerseuche im Deportationsgebiet Mesopotamien auch die Seeblockade Großbritanniens verantwortlich gemacht, wird Dr. Johannes Lepsius als deutscher Dokumentar des Genozids angeführt, der 1919 geschätzt habe, dass bis zu 300.000 Armenier zwangsislamisiert wurden. Außerdem heißt es: „Der deutsche Sanitätsunteroffizier Armin T. Wegner besuchte im Oktober 1916 ungeachtet der hohen Ansteckungsgefahr in Begleitung der in Aleppo im Waisenhaus der Deutschen Orientmisssion wirkenden Krankenschwester Beatrice Rohner einige der Lager (Maden, Tibini, Abu Herera, Rakka) und fotografierte trotz des Verbots bei Todesstrafe die noch Lebenden und einige ihrer Toten.“ Keine Andeutung deutscher „Mitschuld“.
Der Bundestagsbeschluss „bedauert“ im ersten Absatz „die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Gräuel zu stoppen.“ Die Begründung bestärkt dies: „Das Deutsche Reich war als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches ebenfalls tief in diese Vorgänge involviert“ und „Trotz dringender Eingaben vieler deutscher Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und den Kirchen ”¦ unterließ es die deutsche Reichsleitung auf ihren osmanischen Verbündeten wirksamen Druck auszuüben.“

Nach Lepsius ´ Dokumentation sind alle diese Behauptungen unwahr. Wie noch gezeigt wird, hat das Reich alles in seiner Macht stehende unternommen, aber mangels Zwangsmitteln nur Weniges erreicht. Auch die türkische Regierung hat sich gegenüber dem Fanatismus des jungtürkischen Komitees, von dem sie ja gestellt war, nicht durchsetzen können, selbst wenn sie es einmal wollte.  

Dann ehrt der Bundestag „die Bemühungen all der Deutschen und Türken, die sich unter schwierigen Umständen und gegen den Widerstand ihrer jeweiligen Regierungen in Wort und Tat für die Rettung armenischer Frauen, Männer und Kinder eingesetzt haben.“

Wie Lepsius zeigt, ist es nicht wahr, dass Deutsche, um Armeniern zu helfen, irgendeinen Widerstand ihrer Regierung zu überwinden hatten. Sie hat im Gegenteil alle Hilfe gebilligt oder unterstützt. Sie hat allerdings die aus ihrer Sicht nicht zu verantwortende öffentliche Anklage ihres strategisch unverzichtbaren Verbündeten mitten im Krieg unterbunden.

Dies vorzuwerfen ist ungerecht. Was die Staatsraison sogar in viel weniger kritischen Lagen als geboten erscheinen lassen kann, haben Bundesregierungen zur Genüge bei völkerrechtswidrigen militanten Aktionen ihrer Verbündeten gezeigt. Die Westalliierten haben sogar nach dem Krieg praktisch nichts gegen die viel größeren mörderischen Vertreibungen der Deutschen getan. Die sowjetischen Morde von Katyn blieben für sie wider besseres Wissen bis nach der Wende deutsche Morde.

„Deutschland, das mit zur Verdrängung der Verbrechen am armenischen Volk beigetragen hat“, heißt es dann, in der Begründung als „Verdrängungspolitik des Deutschen Reiches“ wiederholt, was insinuiert, das Reich habe etwas zu verdrängen gehabt. 

Das ist unwahr: Schon 1919 erschien in Deutschland Lepsius ´ Werk. Die Reichsregierung hatte dazu nur knapp drei Wochen nach dem Waffenstillstand ausgerechnet dem Mann sämtliche Akten des AA und der Botschaft zur freien Verfügung und eigenen Herausgabe überlassen, welcher gegenüber der Reichsregierung hinsichtlich des Armeniermordens äußerst kritisch sein musste. Denn er hatte schon im Krieg alles daran gesetzt, den Völkermord mittels einer Denkschrift öffentlich zu behandeln; er hatte 20 000 Exemplare verbreitet, bevor es die Zensur merkte und die weitere Verbreitung verbot. Er war deshalb im Reich persona non grata geworden und (nach eigenem Zeugnis) mittellos in die Niederlande ausgereist. (In der u.a. Internet-Dokumentation heißt es, dass Lepsius auch in Holland für das Reich tätig, also nicht ganz mittellos war.)

Lepsius betont im Vorwort seine alleinige Verantwortung „Für die hier veröffentlichte Auswahl von Aktenstücken und für die Zuverlässigkeit des Bildes, das sie von der Haltung der deutschen Regierung in der Behandlung der armenischen Frage geben ”¦“ und unterstreicht: „Um jeden Verdacht die Grundlage zu entziehen, als ob Aktenstücke, die die deutsche Regierung, die Botschafter und die Konsuln, oder deutsche Offiziere, Beamten und Privatpersonen in irgendeiner Hinsicht belasten, von mir unterdrückt sein könnten, habe ich eine so vollständige Auswahl aus der diplomatischen Korrespondenz ”¦getroffen, dass die innere Kontinuität des Schriftwechsels für ihre sachliche Vollständigkeit bürgt.“

Eine Lektüre des Werkes bestätigt dies. Es enthält neben dem diplomatischen Schriftverkehr auch nichtamtliche Briefe und Berichte ab Kriegsbeginn bis zum Oktober/November 1918, besonders die zur allgemeinen Deportation und Vernichtung vom 24. April bis Dezember 1915, sowie zur anschließenden Zwangsislamisierung und weiteren Vernichtung bis zur türkischen Einnahme von Baku im September 1918.
Lepsius schätzt aufgrund überschlägiger Berechnungen die Zahl der Opfer auf rund eine Million plus bis zu 100 000 im Kaukasus. Er stellt fest, dass es zu Anfang der deutschen Botschaft „bei der unvollkommenen Information über die tatsächlichen Vorgänge“ nur „auf Milderung in der Form hinzuwirken“ möglich erschien. Denn es war nur von beschränkten Vorbeugemaßnahmen gegen russische „Wühlarbeit“ und „Ansiedlung in Mesopotamien“ auszugehen. Die Botschaft informierte aber sofort alle Konsulate an den möglichen Ausgangs-punkten und Verschickungszielen, „um eine geordnete Durchführung der Maßnahmen überwachen zu können.“

Als sich bald herausstellte, dass die Botschaft „über den Charakter und die Tragweite“ der Maßnahmen „getäuscht worden“ war, berichtete der Botschafter am 7. Juli 1915 dem Reichskanzler, „dass die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.“ Beigefügt war ein unverblümtes Protest-Memorandum gegen die „Massakres und Plünderungen“, das er dem Großwesir (etwa Reichskanzler) bereits am 4. Juli überreicht hatte. Der nächste Botschafter ermahnte schon am 9. August erneut durch ein ähnliches Schreiben. Bis 1918 brachten nacheinander fünf Botschafter und ihre zwischenzeitlichen Vertretungen aufgrund der ständigen Konsular- und vieler anderer Berichte in persönlichen und schriftlichen Vorstellungen bei den führenden Persönlichkeiten der Pforte immer wieder ihre Missbilligung über die Gräuel und ihre dringlichen Aufforderungen zur Kursänderung zum Ausdruck. 

Die Flut der Korrespondenz, die teilweise sogar von den Konsulaten direkt zum Reichskanzler (mitten im Krieg!) ging, zeigt, dass Deutsche in einfachster bis höchster Position in privaten, wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Diensten nicht nur die Verfolgungen in drastischen Schilderungen meldeten, sondern von sich aus, auch unter Lebensgefahr, sofort alles ihnen vor Ort Mögliche zum Schutz und zum Überleben der Armenier taten. Die deutsche Botschaft und ihre Konsulate waren Anlaufpunkte für Hilfsgesuche und -angebote aller Art, auch z.B. der USA. Reichskanzler und Auswärtiges Amt berichteten von ihren Einsprüchen bei Besuchen der türkischen Machthaber in Berlin und unterstützten, zusammen mit der Obersten Heeresleitung, nach Kräften die Hilfe deutscher Stellen für die Armenier im Osmanischen Reich und im Kaukasus. Trotzdem blieb es eine Sisyphusarbeit gegen Vernichtungswillen und Falschheit, weil Deutschland kein wirksames Zwangsmittel besaß, wie Lepsius betont: Das deutsche Militär war zu Beginn der Armenier-Verfolgung mit nur 75 Offizieren und 150 Soldaten präsent, davon im inneren Anatolien nur einzelne Offiziere bei den türkischen Oberkommandos. Bis zum 5. Oktober 1915, dem Eintritt Bulgariens in den Krieg, „konnte von einer Verstärkung der deutschen Truppen in der Türkei und einem Schutz der christlichen Glaubensgenossen überhaupt nicht die Rede sein“. Danach mussten deutsche Truppen hauptsächlich zur Behauptung der Dardanellen eingesetzt werden. Weil Deutschland im Kampf um die Dardanellen zunächst nicht einmal genügend Munition beisteuern konnte, „fühlte sich die Pforte Deutschland keineswegs verpflichtet“ und verbat sich ein Hineinreden „in ihre inneren Angelegenheiten“. Lepsius zeigt an einem Beispiel, wie wenig Macht das Deutsche Reich und sogar die türkische Regierung zur Abwendung der Deportation hatten, selbst wenn es um Sieg oder Niederlage ging: Ein für den Nachschub wichtiger Bahntunnel befand sich im Ausbau. Durch Vertreibung der Armenier wurde die Zahl der Arbeiter halbiert, Ersatz war nicht möglich; es drohte eine dauernde Unterbrechung des Bahnbetriebs. Der Gegenbefehl des Kriegsministers blieb ohne Wirkung. Das deutsche Große Hauptquartier, das (preußische) Kriegsministerium und das Auswärtige Amt erwirkten einen neuen Befehl vom türkischen Kriegsminister, um die Vertriebenen zurückzuführen. Der Wali (Gouverneur einer Großprovinz) von Adana behauptete, er habe nur Befehl, die weitere Vertreibung zu beschränken, einen Gegenbefehl werde er selbst nach Erhalt nicht befolgen. Der deutsche Botschafter sagte darauf dem Innen- und dem Außenminister, „die Maßregel mache den Eindruck, als ob die türkische Regierung selbst darauf bedacht sei, den Krieg zu verlieren“. Der deutsche Generalstabschef v. Falkenhayn betonte gegenüber dem türkischen Kriegsminister unmittelbares deutsches Interesse, der Botschafter erhob noch einmal „ernste Vorstellung“ bei den genannten Ministern, doch seine Meldung ans Auswärtige Amt war, dass Kriegs- und Innenminister „solchen fanatischen Beschlüssen (des Jungtürkischen Komitees) gegenüber machtlos“ seien. Es wurde weiter deportiert.
Im März 2006 ergab eine dreitägige Konferenz in Istanbul über den Armeniermord, dass aus türkischer Sicht Lepsius die Dokumente massiv pro-armenisch manipuliert habe, um höhere Opferzahlen zu suggerieren und armenische Freischärler zu verharmlosen; der Innenminister Talat Pascha habe persönlich 1643 Todesurteile gegen Militärs und Funktionäre unterzeichnet, die sich an Armeniern vergriffen hatten. Ein deutscher Stabschef einer osmanischen Armee habe eher 300 000 Opfer angenommen.
Lepsius beweist, dass englische und französische Beschuldigungen dreier Deutscher, eines Konsuls, eines Leiters des armenischen Hilfs- und Waisenwerks und eines Offiziers, die Massaker befördert zu haben, Verleumdungen sind: In den ersten beiden Fällen betreffen sie Menschen, die  sich besonders um die Armenier verdient gemacht hatten, im dritten Fall war überhaupt kein Deutscher zur fraglichen Zeit am genannten Ort.

Lepsius fährt fort: „Den ”¦ Verleumdungen stehen die zahlreichen Zeugnisse ”¦ gegenüber, die von dem unermüdlichen Eintreten der deutschen Konsuln für die Deportierten, von der aufopferungsvollen Notstandsarbeit deutscher Missionare und Missionarinnen und von dem erfolgreichen Eintreten deutscher Offiziere zum Schutz bedrohter Armenier ablegen.“ Er führt dann beispielhaft Fälle des deutschen Einsatzes für den Schutz von Armeniern auf:

* Ein deutscher Kriegsfreiwilliger, der als Konsulatsdiener eine österreichische Ski-Delegation begleitete, schützte mit den Österreichern unter Lebensgefahr eine ihnen anvertraute armenische Familie.

* Ein Vizekonsul, in militärischem Auftrag nach Mossul unterwegs, „verhinderte dadurch, dass er mit den ihm unterstellten Offizieren und Mannschaften seine Mitwirkung verweigerte, dass ein Lager von Deportierten ”¦von den ihn begleitenden türkischen Offizieren und Mannschaften laut Befehl aus Mossul massakriert wurde.“

* General Liman von Sanders, für einige Monate der einzige deutsche Armee-Oberbefehlshaber in der türkischen Armee, erfuhr bei einer Inspektion in Smyrna im November 1915, dass Hunderte von Armeniern ins Landesinnere geschafft worden waren. Am nächsten Tag ließ er seinen Stabschef dem Wali derartiges verbieten und drohte Waffengewalt an – mit Erfolg. Ebenso intervenierte er für 10 griechische Notabele der Stadt Urfa, die ohne Verhör in Smyrna im Gefängnis waren.

* Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz Pascha  erfuhr als  neuer Armee-Oberbefehlshaber nach seiner Ankunft in Mossul im Dezember 1915, dass nach Mossul deportierte und dort ansässige Armenier auf Befehl des bisherigen Oberbefehlshabers an den Euphrat vertrieben werden sollten. Er intervenierte zunächst nur mit dem Erfolg, dass die Vertreibung aufgeschoben wurde. Nachdem bis Mitte Januar 1916 keine Antwort aus Konstantinopel gekommen war, verbot er die Vertreibung aufgrund seiner Befugnisse als Oberbefehlshaber. Als er hörte, die Regierung bestehe auf dem Abtransport, bat er telegraphisch um seine sofortige Abberufung. Erst darauf lenkte der türkische Verteidigungsminister ein, sicherte das Verbleiben der Armenier in Mossul zu, wies aber darauf hin, dass die Befugnisse als Oberbefehlshaber nicht zur Einmischung in innere Angelegenheiten berechtigten.

* Die Generale v. Lossow und v. Kressenstein von der Kaiserlich Deutschen Delegation im Kaukasus haben mit größtem eigenen Einsatz, unterstützt von der Obersten Heeresleitung, erreicht, dass die Türken sich hinter die Brest-Litowsker Vertragsgrenzen zurückzogen und die geflüchteten Armenier, welche in verzweifelter Lage waren, wieder zurückkehren konnten.

* Ein Oberstleutnant im Stabe eines türkischen Oberbefehlshabers in Baku forderte Schutz für Armenier und andere Christen. Als der Oberbefehlshaber der Niedermetzelung freien Lauf ließ, machte er ihm bei einem Festbankett vor versammelter Gesellschaft ernste Vorhaltungen, ging dann mit drei deutschen Offizieren in die Stadt und veranlasste zumindest den Schutz einiger Häuser von Deutschen und eines Armeniers. Er verlor darauf seine Position.

* Der deutsche Generaldirektor der Kaiserlich Ottomanischen Bagdad-Bahngesellschaft rettete ab August 1915 die etwa 850 armenischen Angestellten mit ihren Familien vor der Deportation, indem er erklärte, sofort den gesamten Betrieb einzustellen, falls dieses unverzichtbare Fachpersonal deportiert würde. Er hat zunächst nur einen Aufschub erwirkt, aber in zähen Kämpfen schließlich die Deportationsdrohung ganz aufheben können.
Für die Schwierigkeiten des deutschen Militärs folgendes Beispiel: Schon zu Kriegsbeginn hatte ein deutscher General und Festungskommandant nach dem Mord eines armenischen Bankdirektors in Erzurum den bekannten Meuchelmörder verhaften wollen. Er drang damit aber nicht durch.
In der ganzen Dokumentation von kleingedruckten 500 Seiten gibt es noch nicht einmal die Andeutung eines Versuchs der Reichsregierung, die Flut ständiger, z.T. täglicher Berichte einzudämmen oder die Botschaft, deutsche Militärs und Deutsche in zivilen Funktionen zur Zurückhaltung anzuhalten. Im Gegenteil billigte oder unterstützte sie deren Eintreten für die Armenier. Warnungen, Bitten und Vorschläge zum Schutz der Armenier wurden umgehend beantwortet oder befürwortend und mit dem Auftrag zu intervenieren an die Botschaft weitergeleitet. Beispielsweise erhielt die Botschaft eine von Lepsius unterschriebene Warnung der Deutsch-Armenischen Gesellschaft an das AA noch am selben Tag, eine andere, die an den Reichskanzler und von dort ans AA ging, innerhalb von fünf Tagen. Auf  letzterer meldete der Botschafter schon nach drei Tagen, mit der türkischen Regierung bereits „eine äußerst scharfe Sprache geführt“ zu haben, aber auch: „Proteste nützen nichts, und türkische Ableugnungen, dass keine Deportationen mehr vorgenommen werden sollen, sind wertlos.“

Ebenso verhielten sich die Botschafter gegenüber den Konsulaten, anderen Deutschen oder auch Angehörigen anderer Staaten, die den Armeniern helfen wollten. Als der Vizekonsul von Erzerum noch am Beginn der Deportation (18. Mai 1915) den Botschafter fragte, ob er deshalb beim türkischen Oberkommandierenden (!) intervenieren dürfe, wurde er gleich am nächsten Tag ermächtigt, „Vorstellungen zu erheben und auf humane Behandlung ”¦hinzuwirken.“ Die Botschaft vermittelte Dr. Lepsius als Vorsitzendem der Deutsch-Armenischen Gesellschaft sogar ein Gespräch mit dem Verteidigungsminister.

Obschon auch der Kanadier deutscher Herkunft Ulrich Trumpener 1968 anhand von deutschen Akten in US-Archiven urteilt: “Contrary to what has sometimes been claimed, direct protection of the Armenians was completely beyond Germany ´s capacity”, wird immer wieder behauptet, Deutschland habe mehr tun können. 
Der Staatsekretär des Äußeren hat dazu Ende September 1916 dem Reichshaushaltsausschuss erklärt, „dass unser Botschafter soweit gegangen ist, sich direkt den Unwillen des Großwesirs und des Ministers des Inneren zuzuziehen. Nach den ersten drei Monaten seiner Tätigkeit haben die betreffenden Minister gesagt, der Botschafter scheine wohl nichts anderes zu tun zu haben, als sie immer in der Armeniersache anzuöden.“ Im März 1918 folgte eine ähnliche Erklärung vor dem Reichstag. In beiden heißt es, man habe jedoch nicht verantworten können, das Bündnis mit der Türkei zu kündigen weil es zu Deckung der Südflanke von existenzieller Bedeutung war.

Man kann hinzufügen: Eine Drohung mit dem Bruch wäre deshalb auch als Bluff erkennbar und unwirksam gewesen. Und dass ein Bruch den Armeniern geholfen hätte, ist bei dem damals herrschenden Fanatismus auszuschließen. Als Verbündete konnten die Deutschen wenigstens etwas zu Linderung beitragen. Lepsius sagt: „”¦in den Jahren 1916 bis 1918 (war den deutschen Konsulaten) nichts anderes übrig geblieben, als die Notstandswerke der im Lande verbliebenen deutschen und amerikanischen Missionen, wo es irgend hinter dem Rücken der türkischen Behörden möglich war, zu fördern und zu schützen. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Amerika und der Türkei (20. April 1917) blieb die Last allein auf den Schultern der Missionare und Schwestern deutscher Hilfsgesellschaften, die durch amerikanische, schweizer, holländische, nordische und deutsche Hilfsgelder unterstützt wurden.“

Dies ist der für die deutsche Seite positive Sachstand, der aus der Dokumentation von Lepsius hervorgeht, dessen Werk im Bundestagsbeschluss hervorgehoben wird. Diesen Tatbestand kann man aber schon ahnen, wenn man nur das oben genannte sechsseitige Vorwort des Informatons- und Dokumentationszentrums Armenien zur Neuausgabe der Lepsius-Dokumentation gelesen hat. Schon ein Hineinschauen in die 71-seitige Einleitung von Lepsius genügt, um dessen gewiss zu werden. Vor diesem Hintergrund ist es erschütternd, dass den über 600 „Volksvertretern“ der Ruf Deutschlands in dieser wichtigen Frage nicht einmal eine Aussprache wert war, bevor sie einen Beschluss fassten, der einen Rufmord am Deutschen Reich und unseren Vorfahren darstellt. Wahrscheinlich haben nicht einmal die Verfasser des Beschlussantrages die Einleitung von Lepsius gelesen. Denn die als Beitrag zur Versöhnung wichtige Feststellung von Lepsius fehlt, dass das die Gräuel kein „Werk gehässiger oder fanatischer Volksleidenschaft“ waren (siehe oben).
Jahre vor dem Bundestagsbeschluss wurde vielfach dafür plädiert, Deutschland für mitschuldig zu erklären: In "Die Literarische Welt" erinnerte 2003 ein namhafter Professor für Neuere Geschichte eindringlich an die Gräueltaten und forderte die „bundesdeutschen Politiker“ auf, „unmissverständlich Position zu beziehen.“ „Das wäre schon deshalb notwendig“, fährt er fort, „als die Bundesrepublik politisch und moralisch Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ist. Sie kann sich nicht vor der Teilübernahme der historischen Verantwortung drücken mit der Begründung ”¦realpolitische Interessen stünden dagegen. Dies wäre eine zutiefst opportunistische Einstellung, die zur Folge hätte, dass Deutschland noch im Nachhinein die Schuld legitimiert, die es einst durch Mithilfe auf sich geladen hat. Der deutsche Bundestag wäre gut beraten, wenn er ”¦ eine interfraktionelle Resolution verababschiedete, in der die Mitverantwortung des Deutschen Reiches am Genozid an den Armeniern an-erkannt wird.“ Als Beweis führt er vorher an: „Tatsache ist, dass das Osmanische Reich wichtigster Bündnispartner ”¦ gegen die Russen war. Und Tatsache ist auch, dass Hunderte deutscher Offiziere im Dienst der Türkei gestanden (Anm. d. Verf.: Lepsius sagt 75 zu Beginn der Verfolgung) und einige von ihnen an der `Planung und Durchführung ´ der Deportationen teilgenommen haben.“ Genannt werden von der Goltz und „ein Oberstleutnant Boettrich“. Obschon, wie gezeigt, die Proteste sofort nach Erkennen der Brutalitäten einsetzten, behauptet der Professor, erst die Zwangsbekehrungen ein halbes Jahr später hätten sie ausgelöst. Eine Bemerkung des deutschen Chefs des osmanischen Feldheeres nach dem Krieg, die den Armeniermord erklären sollte  (u.a. „Der Armenier ist wie der Jude“) nennt er „bezeichnend für das vorurteilsgeladene Denken, das bei deutschen Politikern und Militärs jener Jahre herrschte“, obschon ihr dokumentiertes Verhalten das genaue Gegenteil beweist.

Auf Bitte des Verfassers um Quellenbelege kam postwendend das Manuskript. Darin waren zu allen Aussagen Quellen angeführt – nur nicht zur Beteiligung deutscher Offiziere. Ohne Antwort blieb zweimaliges detailliertes Nachfragen, wie Deutschlands „tätige Mithilfe“ oder „bewusstes Wegsehen“ denn zu verstehen sei, da u.a. doch die im Artikel erwähnten Konsularberichte gegen eine offizielle Sprachregelung in diesem Sinne sprächen.

Die Beweisführung eines Kasten „Das Massaker und die Deutschen“ in der "Welt" nennt wieder „Oberleutnant (sic) Böttrich“, der als Chef des Verkehrswesens im türkischen Generalstab Deportationsbefehle unterschrieben habe (was unwahr ist, wie noch gezeigt wird), und zitiert einen deutschen Generalstäbler, beim deutschen Generalstabschef des türkischen Feldheeres seien „alle Fäden zusammen“ gelaufen. Zwei Tage später nennt diese Zeitung „den vom deutschen Offizier Böttrich unterzeichneten Deportationsbefehl“ vom November 1915. Dann dienen als belastende Indizien die Aussage des Reichskanzlers, auf jeden Fall „die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten“, die „Richtlinien für deutsche Journalisten“ vom Oktober 1915, wonach es „einstweilen Pflicht (sei) zu schweigen“, und zwei Telegramme des deutschen Botschafters von Ende Mai/Anfang Juni 1915, als noch Unsicherheit über das Ziel der türkischen Maßnahmen herrschte. Eines informiert einen Konsul, dass er zu seinem „Bedauern von einer erneuten Verwendung bei der Pforte zunächst absehen“ muss und bittet den Konsul, keine weiteren Schritte bei den Militärbehörden zu unternehmen (die er zwei Wochen vorher postwendend genehmigt hatte, siehe oben). Das zweite berichtet ans AA, dass der Kriegsminister zur Eindämmung armenischer Spionage und Massenerhebungen u.a. aus „den jetzt insurgierten armenischen Zentren alle nicht ganz einwandfreien Familien in Mesopotamien anzusiedeln“ beabsichtige; weiter heißt es: „Er bittet dringend, dass wir ihm hierbei nicht in den Arm fallen.“ Außerdem wird im Kasten behauptet: “Um seine Mitverantwortung an diesem Verbrechen zu vertuschen, veröffentlichte das deut-sche Auswärtige Amt 1919 ein Sammlung diplomatischer Akten, deren Herausgeber Lepsius war.“ Der aber hatte betont, dass er die Dokumentation gerade nicht im Auftrag des AA, son-dern persönlich herausgegeben habe. Weiter heißt es, „dass Berlin seinen Diplomaten vor Ort kategorisch verboten hatte, sich in die `armenische Frage ´ einzumischen“, was nach Lepsius ´ Dokumentation eine grobe Unwahrheit ist.
Aus alledem, selbst wenn man eventuelles Fehlverhalten Einzelner einkalkuliert, ist gegen Lepsius und seine Dokumentation nur mit sehr bösem Willen oder profunder Ignoranz eine „tätige Mithilfe“, „Mitschuld“ oder „unterlassene Hilfeleistung“ des Deutschen Reiches zu konstruieren.
Es gibt eine deutsche Internet-Dokumentation www.armenocide.de, welche die in Lepsius ´ Dokumentation fehlenden oder gekürzten Dokumente vollständig wiedergeben soll. Sie hat, wie aus der Einführung von 2005 ersichtlich war, die Belastung des Reiches zum Ziel. Doch sie bestätigt das von Lepsius gezeigte Bild der Ereignisse und der intensiven Bemühungen der deutschen Seite, den Armeniern zu helfen, bringt sogar noch einige für Deutschland positive Vorgänge, die Lepsius ausgelassen hatte. Sie belegt aber keine für Deutschland negativen Tatsachen. Sie bestätigt die Zwangslage des Reiches, das Osmanische Reich unbedingt als Verbündeten behalten zu müssen und daher auch nicht öffentlich anklagen zu können. Sie zeigt aber, dass in Lepsius ´ Dokumentation manches fortfällt, das negative Züge der Armenier aufführen und dadurch ihre Opferrolle der schwächen, würde.

Die Dokumentation räumt sogar oft behauptete deutsche „Beteiligungen“ aus:

* Oberstleutnant Boettrich hat als Chef des Feldeisenbahnwesens keinen „Deportationsbefehl“ unterschrieben; Er hat die getroffenen Regelungen zum allmählichen Ersatz der zu entfernenden Armenier durch Türken dem Militärkommissar der Anatolischen Bahn mitgeteilt; dabei machte er klar, dass für die Armenier zunächst fachlich adäquater Ersatz zur Verfügung gestellt werden müsste.

* Major Graf Wolffskehl hat keine Artillerie gegen Armenier in Urfa eingesetzt, sondern einen türkischen General auf einer Inspektionsreise zur Niederschlagung armenischer Widerstände begleitet. Er hat aber zugunsten der Armenier berichtet, dass sie nicht mit internierten Ausländern zusammengearbeitet und entgegen den türkischen Beschuldigungen keine russischen Maschinengewehre gehabt hätten.

Am neunzigsten Jahrestag des Beginns des Armeniermordens meinte trotz aller gegenteiliger Tatbestände der evangelische Bischof Wolfgang Huber bei einer Seelenmesse im Berliner Dom, sich „für diese politische Gleichgültigkeit“ des Kaiserreichs schämen zu müssen und bittet die deutsche Regierung „sich zur deutschen Mitschuld zu bekennen“.

Das achte Gebot und die Worte Luthers dazu in seinen Kleinen Kathechismus sagen diesem Bischof offenbar nichts: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“

Abschließend ist festzuhalten: Das Deutsche Reich ist damals im Krieg einem existenziell wichtigen Verbündeten so in die Arme gefallen, wie es keiner der Feindstaaten getan hätte, wie man aus dem zahnlosen Verhalten der Westalliierten gegenüber den Vertreiberstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg schließen kann.
Glücklicherweise haben der Bundestagsbeschluss von 2005 und die Aussagen höchster deutscher Politiker 2015 wenigstens keine entschädigungsträchtige „deutsche Schuld“ behauptet. Doch die unwahren und ungerechten Beschuldigungen verunglimpfen mit dem Deutschen Reich zugleich das Andenken Verstorbener, nämlich derer, die nach dem beredten Zeugnis der maßgeblichen Dokumentationen als amtliche und nichtamtliche Vertreter des Reiches ihr Äußerstes zur Rettung der Armenier getan haben.

Angesichts der heute jedermann leicht zugänglichen Dokumente, zumal wenn einem, wie dem Bundespräsidenten, dem Buntestagspräsidenten und den Mitgliedern des Bundestages oder einem Bischof reichlich Assistenz zur Verfügung steht, langt zur Erklärung dieses Rufmordes das Argument Ignoranz in keiner Weise aus.

Vorheriger ArtikelEin unmoralisches Angebot – “Cosi fan tutte” in der Oper Bonn
Nächster ArtikelChemnitz – Auf den Spuren der Industriekultur