Der öffentliche Feind – Engel mit schmutzigem Gesicht – “Todestrieb” vollendet Jean-Francois Richets Gangsterepos „Public Enemy No. 1“

Nach seinem Ausbruch aus dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses gilt Jaques Mesrine (Vincent Cassel) als “Public Enemy No.1”. Ein erneuter Bankraub führt zu seiner Festnahme. Vor Gericht amüsiert und schockiert Mesrine Zuschauer und Presse mit Selbstherrlichkeit und Dreistigkeit. Dank der Beihilfe seines Freundes Francois Besse (Mathieu Amalric) flieht er aus dem Gerichtsgebäude. Nach einem Überfall auf ein Casino lernt Mesrine die Prostituierte Sylvie (Cecile de France) kennen. Gemeinsam verprassen sie das Geld aus seinen Verbrechen. Edith Piaf besing Mesrines Gefühle mit “Non, je ne regret rien”. Wer kein Gewissen hat, den plagt auch keine Reue. Immer mehr Presserummel begleitet die Vergehen Mesrines. Dessen neuer Freund, der linksradikale Charlie Bauer (Gerard Lanvin), regt ihn an, seine Bekanntheit für politisches Engagement zu nutzen. In seiner zügellosen Gewalttätigkeit entführt Mesrine den rechtsgerichteten Journalisten Tillier, den er fast zu Tode foltert. Tillier überlebt jedoch. Die bis dahin positive öffentliche Stimmung gegenüber Mesrine wandelt sich in Ablehnung. Trotz dessen geschickter Verkleidungen ist ihm die Polizei dicht auf den Fersen. 1979 wird Mesrine auf der gemeinsamen Flucht mit Sylvia von Beamten in einem gezielten Akt der Hinrichtung erschossen. Das letzte Bild ist das, welches die Kinoplakate zeigen: Der schon im Leben selbstherrliche Mörder wird im Tod zum christlichen “Schmerzensmann” erhoben. Ob das Kalkül ist oder Richet daheim einen Mesrine-Schrein anbetet, bleibt ungeklärt.

“The world is Yours” könnte hier im Zuge der Referenzen an Kriminalfilm-Klassiker stehen oder Vincent Cassel riefe: “Don ´t shoot, G-men!”. Maschinengewehre mähen ihn nieder. Die Exekutive nimmt ihren Namen in der Szene zu wörtlich. Staat und Staatsfeind sind beide diskreditiert. Hat man im Vorgängerfilm “Mordinstinkt” nicht Mesrines Skrupellosigkeit erlebt, gewinnt sein Tod fast Märtyrerqualitäten. Dies unterstreicht Richet mittels einer Stilisierung des Hauptcharakters, dessen blutiges Christushaupt er in Grossaufnahme zeigt. In “Mordinstinkt” war er böse, in “Todestrieb” ist er gut, ein redegewandter Verbrecher aus verlorener Ehre. Auf den ersten Blick zumindest. Die Frage ist: Lässt man sich von Mesrine um den Finger wickeln? Geschickt zieht er im Gerichtssaal die Zuschauer auf seine Seite, inszeniert sich als rebellisches Opfer eines korrupten Systems. Statt zu argumentieren, polemisiert er jedoch. “Was mache ich schon?“, fragt er offensiv. Dabei ist man besonders in “Mordinstinkt” Zeuge von Mesrines Gewalttätigkeit geworden. Seine Äußerungen sind leere Phrasen, realitätsfremd und kindisch. Sich selbst idealisiert er als Revolutionär. Für was? Konkrete Ziele, politischer oder privater Natur, kann er nicht formulieren. Bezeichnenderweise sind es stets seine eigenen Kommentare, welche seine intellektuelle Beschränktheit verraten. “Wer klein ist, denkt auch klein.”, sagt Mesrine, geistig wie in seiner Lebensart ein “petit bourgeoise”. Er will es lediglich so bequem wie möglich haben. Die Beute aus seinen Banküberfällen verschleudert er – einmal im grotesken Wortsinne, als er eine Tasche mit geraubtem Geld unabsichtlich ins Wasser wirft. Selbstverherrlichend sieht er sich als edler Ganove mit schicken Flitzern und schönen Frauen. Tatsächlich sind erste europäische Kleinwagen, zweite verlebte Prostituierte. So prominent kann Jaques Mesrine nicht sein, wenn jeder seinen Namen falsch ausspricht.

Die verbrecherische Variante der heiligen Dreifaltigkeit ist Mesrine: The Good, the Bad and the Ugly. Im ersten Teil der Böse, im Zweiten der scheinbar Gute. Was bleibt, ist Hässlichkeit. Sie dominiert Mesrines Psyche wie Physis. Von der Eleganz Bugsy Sigels trennen ihn Welten. Schmierig, übergewichtig, stillos imaginiert Mesrine sich als schicker Edelgauner. Sein Aussehen erinnert zeitweise tatsächlich an Robert DeNiro. Allerdings nicht in “Scarface”, sondern als aufgedunsener Boxer Jack LaMotta in “Raging Bull”. Wie DeNiro für seine Darstellung LaMottas legte Vincent Cassel zwanzig Kilo zu, um den älteren Mesrine realistisch zu verkörpern. Hässlich ist auch die Welt des Films. Schmutzige Strassen, die Kleinbürgerlichkeit der Vorstadt, schmierige Kneipen und billige Bordelle. Letztendlich ist Mesrine nie über sein Milieu hinausgekommen. “Der Staatsfeind Nr.1” konnte er nur in jenen beschränkten Umständen werden.

Richets Werk ist Kontrapunkt und Fortsetzung zu “Mordinstinkt”. Authentizität und Vielschichtigkeit machen die Einheit der beiden Teile zum beachtlichen Verbrecherepos “Der Staatsfeind Nr.1”. Dennoch bleibt ein Gefühl der Ambivalenz. Fragwürdige Idealisierung und Fluchten in stereotype Bilder lassen das Werk hinter seinen klassischen Vorbildern zurückstehen. Die Wut des Films scheint insgeheim in Cagneys selbsttrügerische Ausruf in “White Heat“ zu münden: “Made it. Top of the World!” Doch die Erinnerung an den realen Mesrine wird mit der an Richets Film verblassen.

Titel: Public Enemy No.1 – Todestrieb
Start: 9. April
Regie: Jean-Francois Richet
Drehbuch: Abdel Raouf Dafri
Darsteller: Vincent Cassel, Ludivine Sagnier, Mathieu Amalric, Gerard Lanvin
Verleih: Senator

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