“Immer, wenn du einen Tango hörst, erinnerst du dich an die Vergangenheit.“, erzählt einer der Künstler. Sein Erinnern teilt er mit den Zuhörern in der Bar “El Chino” und im Kinopublikum. In einem kleinen Viertel liegt der zentrale Handlungsort: Die “Bar El Chino”, benannt nach dem Spitznamen ihres Besitzers. 2001 verstarb der gealterte Tangosänger. Kurze Zeit später steht auch seine Bar vor der Schließung. Pompeya heißt das Stadtviertel, in welchem Krals Film hauptsächlich entstand. Pompös ist hier nichts mehr. Schlicht, ja armselig leben die älteren Musiker. Manche stehen davor, ihre Wohnung zu verlieren, andere leben bei den Eltern oder in Mietshäusern. Doch sie haben die “Bar El Chino” in ganz Argentinien berühmt gemacht. “Leben, die Seele gefangen in süßer Erinnerung, die mich zum Weinen bringt.“, lautet eine der poetischen Textzeilen der Gesänge. In solchen Momenten überträgt sich der Zauber der Musik. Dieser flüchtigen und dennoch intensiven Stimmung spürt Kral im Geburtsland des Tango nach. “Es gibt keinen Emigranten, der einen Tango geschrieben hat.”, sagt einer der Sänger. Es waren die folgenden Generationen. Diese gebürtigen Argentinier spürten den Geist der Entwurzelung wie ein Erbe, welches sie im Tango umsetzten.
Unglücklich stimmt die Protagonisten der verblassende Ruhm nicht. “Ich habe geweint. Andere auch.”, formuliert es die Sängerin Christina de Los Angeles. Was die Künstler vermissen, ist das Gemeinschaftsgefühl und die Geborgenheit in der Musik. Ein letztes Mal an der alten Spielstätte, der “Bar El Chino” aufzutreten, ist ein lange gehegter Wunsch der Solisten. Fast 30 Jahre standen sie hier auf der Bühne. Für “Der letzte Applaus” finden sie sich erneut zum Tango zusammen. Mit Gespür für das Verborgene enthüllt der Regisseur die Schönheit unter der rauen Oberfläche seiner Geburtstadt Buenos Aires, über deren heruntergekommenes Viertel Pompeya der Glanz einer vergangenen Epoche liegt, und unterliegt dem Charme der Musiker.
Bitter-humorig, mal herb, mal schwelgerisch erzählen sie voneinander, sich selbst und ihren Leidenschaften. Leben, Liebe und Gesang verschmelzen in ihren Erinnerungen und werden vor der Kamera neugeboren. “Der letzte Applaus” ist für viele der Protagonisten tatsächlich ein Abschied. Kurz nach oder während des Entstehens des Films verstarb ein Teil der Musiker. Ein unerwarteter Tod, trotz des hohen Alters der Protagonisten. So lebendig wirken sie. Vielleicht ist die geistige Jugend das Geschenk, welches sie für ihre Hingabe an die Musik zurückerhalten. Wie sie den Tanz lebendig hielten, so leben sie weiter in der persönlichen Note, welche ihre Interpretationen den traditionellen Gesängen verliehen haben. In der letzten Einstellung erstarrt die “Bar El Chino” zu einem schwarz-weißen Fotomotiv. Heute logiert dort ein Restaurant. Der Letzte Applaus ist verhallt.
Germann Kral gewährt den gealterten Größen des Tango eine Abschiedsverbeugung. Bereits in seinem Dokumentarfilm “Musica Cuba“ war er dem Charme der lateinamerikanischen Musik verfallen. Trauer, Verlangen, und subtiler Humor vereinen sich zu einem einzigartigen Gesang. Nicht nur der Tod, auch die Veränderungen in dem sich ständig wandelnden Volksgesang lassen den Tango, so wie die Protagonisten ihn kennen, verklingen. Ein Grund mehr, ihm in seiner unverfälschten Form zu lauschen. “Der letzte Applaus” gebührt nicht nur den Künstlern, sondern auch Germann Krals gefühlvoller Musikdokumentation.
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Titel: Der letzte Applaus
Originaltitel: El íšltimo Aplauso
Genre: Musik-Dokumentation
Land/Jahr: Argentinien/Deutschland/Japan 2009
Kinostart: 21. Mai 2009
Regie und Drehbuch: Germann Kral
Mit: Christina de Los Angeles, Ines Acre, Julio Cesar Fernan
Verleih: Arsenal
Laufzeit: 90 Minuten
FSK: Ohne Altersbeschränkung