Und dennoch schauen wir uns diese Belege als erstes an, denn schon der Buchtitel erinnert an Fassbinder. In seinen KATZELMACHER aus dem Jahr 1969 lehnt er selbst am Busen der ach so jungen blondgelockten Venus, die hier Marie heißt und der Jorgos-Rainer auf Seite 8 zuraunt: „Augen wie Sterne“. Das trägt lange und immer wieder sind es im Band die Augen, die den Titel bestätigen. Noch nie gelesen hatten wir „Happy birthday to me!“, ein Eigenporträt der Schygulla vom 8. November 2003, in der auch der Anfänge gedacht wird, wo sie als Au-pair-Mädchen nach Paris ging, wo sie einen Liebsten fand und auch heute in Paris lebt, nur mit einem anderen Liebsten. In diesem Kapitel folgen dann weitere Ansprachen zu ihren Geburtstagen von Verehrern und Vertrauten. Schöne Bilder sind dabei, wie das von Michael Friedel von 1970, auch das von Lillian Birnbaum von 2004. Aber uns gefallen die Fimstills wie RIO DAS MORTES auf der Seite 27 noch besser, ein Film von Fassbinder mit Hanna Schygulla von 1970.
Das Kapitel „Fassbinder“ kommt als nächstes und bringt ihre Worte über ihn vom März 1990, wie sie ihn einschätzt, während er über sie eine Analyse schreibt, in der es erst einmal um das gemeinsame Kennenlernen, aber auch die Erfahrungen bei der Zusammenarbeit geht. Auf dem Foto auf Seite 47 sind so viele schon dabei, neben dem ganz schön feisten Rocker Rainer Werner Fassbinder eine elfenhafte Schygulla, hinter der Günther Kaufmann sich versteckt. Drüben auf der anderen Seite und absolut entschlossen ist Margit Carstensen zu sehen und wie es in der Gruppe funkte, beschreibt Fassbinder genüßlich und redet als Regisseur im August 1981 über seine Schauspielerin, die immer nur große Rolle akzeptierte: „Noch größere Probleme hatte sie aber mit den sogenannten zweiten Frauenrollen, besonders dann, wenn Margit Carstensen die erste Frauenrolle spielte.“ In DIE EHE DER MARIA BRAUN aber spielte sie die erste Geige und die Bilder daraus evozieren dieser Film, den wir damals wie die Hauptdarstellerin unwiderstehlich fanden und ein Zeitzeugnis der Nachkriegszeit wie kaum ein anderes.
Ins Staunen über das umfangreiche Werk der Hanna Schygulla gerät man im dritten Kapitel, das „Andere Filme“ heißt, wobei das jeder sofort versteht, sich aber nicht immer erinnert, daß unter ihren Regisseuren Wim Wenders, Andrzej Wajda, Jean-Luc Godard, Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Carlos Saura waren, während einem Fatih Akin aus den letzten Produktionen sofort einfällt. Sehr liebenswert von gegenseitiger Empathie getragen das Gespräch von ihr mit Fatih Akin: „Das Wandern zwischen Welten“, das beide empfinden. Nur unterschiedliche Welten oder doch nicht?
Sicher am wichtigsten die „Theaterarbeiten“, am wichtigsten für Leser, weil sich Filme vielen erschließen und bekannter sind, Theateraufführungen dagegen nur denen vorbehalten sind, die die Schauspielerin, die Sängerin original auf der Bühne sehen und hören. Es ist auch der umfangreichste Teil und gespickt mit Beiträgen ihrer Mitspieler, Regisseure, weitere Mitarbeiter oder ihren eigenen Texte wie der über George Tabori zu dessen 80. Geburtstag 1994, der beginnt: „Du könntest mein Vater sein und nennst mich deine Mutter. Bei dir ist so etwas möglich und Platz für die großen Widersprüche – Du bist alt und jung zugleich- Romeo und Methusalem, Abendland und Okzident, Joseph K. und Nathan der Weise”¦“ Das ist ein anrührender Text, der viel über den Geehrten aussagt, aber auch Inneres der Schygulla preisgibt und endet: „Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf mein` Fuß, hat nen Zettel im Schnabel und er Mutter einen Gruß“.
Uns nicht mehr in Erinnerung sind die vielen Fotos, die Helmut Newton 1980/81 schoß, aber auch ein nachdenkliches der legendären Gisèle Freund aus dem Jahr 1984 und der gemeinsamen Wahlheimat Paris ist dabei. Sie selbst schreibt die Texte dazu und sie selbst liefert dann auch ihre „Lebensläufe“, die verschiedene sein müssen und doch eine Person ausmachen. Während wir uns noch darüber wundern, wieviel Texte und wieviel fotografische Aufnahmen aus dem Jahr 2004 resultieren und uns überlegen, ob dies so ein Jubeljahr für das Nachweihnachtskind, die am 25. Dezember 1943 Geborene war, fällt uns auf – was ja auch ordentlich im Impressum verzeichnet ist -, daß dieses ein Band aus dem Jahr 2004 ist, den Schirmer/Mosel aus Anlaß des Ehrenbären jetzt erneut unter die Leute bringt. Recht so.