Eigentlich sind wir da schon beim Wesentlichen, was den Häuserbauer Frank Lloyd Wright bewegte und was wir in die Schublade „Organisches Bauen“ stecken, weil der Begriff ’organisch’ uns weismacht, daß etwas wie von alleine, nach den Gesetzen der Natur eben und in Einklang mit ihr als bewußte Baukonzeption des Planers entsteht. Dabei entstehen dann so unterschiedliche Architekturformen wie die Sagrada Familia des Antoni Gaudí in Barcelona oder das IG-Farbenhaus des Hans Poelzig in Frankfurt am Main oder eben das Guggenheimmuseum in New York. Dort läuft noch bis zum 23. August seine Jubiläumsausstellung, deren rund 200 Exponate man beim schneckenhaften Herauf- oder Herunterschlendern an den Wänden sehen kann, von denen wir die meisten im vorliegenden Band bei Taschen wiederfinden. Aber die Pläne, Modelle, Zeichnungen und Fotos kann man nicht im Gedächtnis behalten. Darum geht es auch gar nicht.
Es geht im vorliegenden Band schlicht darum, das Konzept des Architekten, sein Konstrukt, wie er die Welt bewohnbar machen will, in sich aufzunehmen. Und da muß man einfach einen wichtigen Unterschied zu den europäischen ’organischen Erbauern’ konstatieren. Denn sowohl Gaudí wie auch Poelzig nehmen sich die Natur als direktes Vorbild der Konstruktion und Formgestaltung von Räumen. Wright allerdings versteht unter ’organischer Bauweise’ doch etwas anderes, in weniger biologischem Sinne. Er will den organischen Zusammenhang der Architektur mit der Kultur, den Erfahrungen der Menschen in ihr und der Natur sicherstellen, und damit auch den Einbezug des Ganzen in die umliegende Landschaft. Zu dieser Erkenntnis bietet der Abschlußband der Gesamtausgabe nicht weniger Möglichkeiten als die Ausstellung in New York. Im Gegenteil. Allerdings bis auf eines.
Das Guggenheim selbst, Ikone des Modernen Bauens, ist stärker als jede Ausstellung eine sinnliche Erfahrung seines Bauprinzips und das kann kein Buch der Welt in seiner Wirkung wiedergeben. Will es auch nicht. Ein Buch hat dafür andere Vorzüge. Nicht auf einmal alles verschlingen zu müssen. Sich Stück für Stück vorzuarbeiten und auch wiederholen zu können und sich vor allem – so machten wir es – mit anderen Werken über kongeniale Architekten auf dem ganzen Teppichboden auszubreiten und die Architekturplanungen im Detail zu vergleichen. Total spannend und man sieht sogleich, daß Wright aus einer ganz anderen, nämlich älteren Richtung kommt als seine Pendants in Deutschland, die Bauhausmeister, als Le Cobusier später und dann die kalifornischen Stararchitekten. Die aber bestimmen unsere Wahrnehmung dessen, was ’moderne Architektur’ sei. Wright war Einzelgänger, der zwar Schule machte, aber letztlich trotz vieler Helfer keine Schülerschar ausbildete, die sein Konzept weiterführten.
Der vorliegende Band handelt von 1943-1959. Und dabei schluckt man das erste Mal. 1943? Da war der gute Mann immerhin schon 66 Jahre! Und es folgen doch noch zwei weitere Bände und schließlich ist auch das Guggenheim erst nach seinem Tod fertiggestellt worden. Ist Wright etwa einer, der zu falschen, weil frühen Zeit geboren, trotz seiner über 80 Jahre von der Geschichte bestraft wurde? Ja und nein. Ja, was seine Wirkung zu seinen Lebzeiten angeht. Dazu gleich anhand des Buches mehr. Nein, was das Gesamtwerk angeht. Denn jetzt erst merken wir, daß wir den dritten Band vor uns liegen haben, das Gesamtwerk also tatsächlich mit seinen Anfängen 1885 – 1916 und 1917-1942 als weitere Bände dokumentiert sind, aber wohl noch nicht auf Deutsch? Die Kriegszeit sind Jahre, in denen Frank Lloyd Wright nur in den Vereinigten Staaten wahrgenommen wurde und in der Tat hat sich auch Wright als US-Amerikaner vom Land verstanden, der die Verstädterung Amerikas kritisierte und seine Zuflucht in eine Rückführung in menschenaffine Häuser auf dem Land nahm, die für seine erste Bauperiode gut mit dem sogenannten Präriehaus umschrieben werden kann, wo sich das haus um eine Feuerstelle gruppierte. Für die zweite durch den zweiten Band abgetrennte Periode steht neben der weiteren Suche nach praktischen, kostengünstigen, ästhetisch ansprechenden Privathäusern vor allem sein spektakulärer Bau Fallingwater, über einem Wasserfall erbaut und ein phantastischer Anblick.
Frank Lloyd Wright begann zu studieren, brach aber ab, verdingte sich in verschiedenen Architekturbüros und gründete dann lieber 1893 eine eigene Firma in einem Vorort Chicagos, Mekka der Architektur und baute bevorzugt private Häuser. Einige stattete er auch aus, denn er war auch als Innenarchitekt tätig. Der vorliegende dritte Band fängt mit der gesellschaftlichen Situation Anfang der Vierziger Jahre in Amerika ein, in der für die traditionell bündnisfreien USA ihr Eingreifen in den Krieg in Europa und dem pazifischen Raum mit einer Umorientierung des zuvor privaten Bausektors in einen für militärische Nutzung gelenkt wurde. So wurden viele Studenten Wrights eingezogen und andere mußten eine Waffenfabrik erbauen. Das war die Zeit, in der sich Wright mangels Bauaufträgen konsequent der Schriftstellerei zuwendete. Das war aber auch – 1943 – die Zeit, wo seine spektakulärste Unternehmung, ein eigenes Haus für die 1939 öffentlich vorgestellte „Solomon R. Guggenheim-Sammlung nicht gegenständlicher Kunst“ in Gang gesetzt wurde. Und mit der Niederlage Deutschlands und Japans wurden 1945 die Baubeschränkungen wieder aufgehoben und Wright konnte mit seinen Helfern eine immense Aufgabe von Planungsaufträgen ausführen, zu denen immer stärker auch Geschäftshäuser, also gewerbliches Bauen gehörte.
Dies alles dokumentiert der vorliegende Band minutiös. Es beginnt mit Music Building, Florida Southern College. Da erläutert der Text kurz Auftraggeber, Absicht und die entscheidenden Architekturvorschläge in Worten und es gibt dazu gezeichnete perspektivische Ansichten und den Grundriß mit Schnitt. Gleich danach werden auf 18 Seiten das Guggenheim in allen Aspekten gezeigt: als Zeichnung, als Ansicht, als Grundriß auf allen Ebenen, als mehrere aufgeschnittene Modelle und als tolle Photosimulation, aber auch echte Fotos im Ausstellungsbetrieb. Prinzip der Dokumentierung ist also der Zeitpunkt der Auftragsvergabe und erste Planungen, nicht deren Abschluß durch die Ausführung. In der gleichen Art werden in Folge seine Bauaufträge mit den Farbzeichnungen, Grundrissen und Fotos der Verwirklichung gegenübergestellt und eines nach dem anderen abgehandelt.
Insbesondere die Fotoaufnahmen zeigen das Prinzip seines organischen Bauens deshalb so deutlich, weil sich die vielfachen, Stein, Holz, Glasbauten auch im Inneren der Landschaft durch Innenmauern, Innenholzbauten und eine gewissen Rustikale Grundstruktur auszeichnen. Auch die Farbgebung entspricht eher der Natur mit kräftigen Blautönen und vielen Pflanzen in den Häusern. Bei V.C. Morris House, „Seacliff”, Schema 1,überraschen die romantischen Zeichnungen, denen dann aber beinharte professionelle Grundrisse für alle Stockwerke gegenüberstehen, für deren Entzifferung man unbedingt eine Lupe braucht, was ja kein Problem ist, aber als Beigabe im Band nicht schlecht wäre. Begräbniskapelle, Brücke, alles ist vorhanden, wie man nun im Focus erkennt.
In seinem Todesjahr als eine der letzten Projekte dient Marin County Fair Amphitheater. Da hatte Wright für die dortige Messe einen sogenannten Masterplan erstellt, ein Bonbon für jeden Architekten, weil es auch um den Einbezug eines Sees ging und der großen sozialen Aufgaben wie eines Freiluft Theaters und einer Kinderinsel. Damit schließt sich der Kreis für diesen dritten Band. Denn mit dem Southern Florida College (Projektnummer 4211) begann der Band, dem mittendrin eine Erweiterung (Projektnummer 4732) mit einem Amphitheater folgte, was nun mit einem noch gewaltigeren Freilufttheater an anderer Stätte schon antike Dimensionen erhält (Projektnummer 5755). Sie lesen richtig. Insgesamt sind es 5906 Projekte, die die drei Bände des Gesamtwerkes wiedergeben. Nein, nicht alle, aber genügend. Das erklärt uns am Schluß auch, warum wir dann doch nicht alles wiederfanden und auch bei den Projektnummern die Zählung nicht kontinuierlich erfolgt, sondern manchmal springt.
Ein Leserhinweis: Der längliche Band ist sehr schwer und dick und das Umblättern erfordert Platz. Deshalb benutzten wir den Teppichboden, wenn noch weitere Bücher aufgeschlagen wurden oder den großen Schreibtisch. Da muß man leider immer wieder blättern, wenn man gerade den deutschen Text liest, aber den dazugehörigen Grundriß auf der Seite davor oder danach betrachten will. Wir hätten eine Lösung wie beim gleichformatigen Ingmar Berman Archiv vorgezogen, wo dem englischen Text im Bildband ein kleines eigenes deutsches Textheft anbeigegeben war. Da konnte man im Schoß lesen, während man auf dem Tisch (oder Teppich) blätterte.
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Frank Lloyd Wright: Das Gesamtwerk, Band 1943-1959 im Taschen Verlag