Das Kabinett des Professor Bell: „Der Mexikaner mit den zwei Köpfen“ ist der erste Fall von Joann Sfars viktorianischem Comic-Kriminalisten – Serie: Joann Sfars makaberes Meisterwerk „Professor Bell“ im Avant-Verlag (Teil 1/3)

"Life is infinitely stranger than anything which the mind of man could invent."(Sherlock Holmes)

Künstler und Comiccharakter stellen sich mit Bells Eingangssatz gemeinsam vor. Sfar führt den investigativen Mediziner in dessen erstem Abenteuer in ein gespenstisches Gruselkabinett, dessen schlimmste Bewohner allzu menschlich sind. Der französische Künstler, Autor und Regisseur ist ein zeichnerischer Teratologe und „Das zieht sie an.“. Gelegentlich vereinbaren sie einen Termin in Bells Praxis in der Melville. Wie Pascual Pinon, den der Chirurg einen Kopf kürzer machen soll. Der reiche Witwer hat davon einen zu viel. Die Einflüsterungen des diabolischen Doppelkopfs rauben dem "Mexikaner mit den zwei Köpfen“ den Schlaf, den er mit der schönen Celia im Ehebett schlafen will. Celias Heim ist Pinons Spital für verwirrte Frauen. „Ein vornehmes Haus“, auf dessen schöne Bewohnerinnen Blaubarts verbotene Kammer wartet. Seine Leichen im Keller leben noch, Skelette spazieren aus dem Schrank und wenn eine dämonische Wunderkammer aus angreift, wird das Konzept der Grabesruhe endgültig ad absurdum geführt. „So etwas ist mein täglich Brot.“, sagt knapp Professor Bell. Garstige Spottfiguren schwirren dem „Mexikaner mit den zwei Köpfen“ durch den einen, den er sich zu behalten entschließt. Eine Acherontia atropos, ein Totenkopfschwärmer, trägt einen durch seinen Kopfputz gehörnten Bischof herbei und Pinon muss sich vor der Justiz verantworten, sein Richter ist der Sieger Wurm. Homunculi, medizinische Präparate und Kuriosa kriechen aus den Winkel von Sfars Fantasie in Pinons Schaukästen.

Die außergewöhnliche Farbdramaturgie verleiht jedem Schauplatz eine eigene Stimmung. Ganze Bildsequenzen und Szenarien taucht Sfar in düstere oder stumpfe Schattierungen, aus denen die Augen der Protagonisten wie Irrlichter starren. Die raue Papier, auf dem der Avant-Verlag den Comic drucken ließ, lässt die scharf geschnittenen Konturen der Figuren noch plastischer hervortreten. Sfar und Professor Bell sind ein Kenner des Kreatürlichen, dem such immer eine anrührend menschliche Facette innewohnt. Grausig ist nicht das Fantastische, sondern dessen freche Rebellion gegen das, was als physikalische, sittliche oder gesellschaftliche Norm erachtete wird. Besonders die von der eigenen Weltanschauung: „Ihr Magier ängstigt mich. Ihr seid immer andere Meinung.“, bekennt Pinon. In Bell findet der teuflische Pinon einen ebenbürtigen Gegner, weil beide außerhalb der geltenden Moral leben. Professor Bell denkt noch weiter über den logischen Horizont hinaus als der Mexikaner, obwohl einen Kopf unterlegen.

Während Pinon amoralisch ist, ist Bell hochmoralisch. Niemandem darf er schaden, sagt er, dass sein Serum einem Unhold die Eingeweide verfaulen ließ – nun: „Wir haben alle unseren kleinen Macken.“, lässt Sfar Celia früh feststellen. Sie ist nicht die erste tote Liebe des Professor Bell: „Es wird zu einer verabscheuungswürdigen Gewohnheit.“ Seinem monströsen Helden stellt Sfar einen Assistenten als etwas anderer Dr. Watson zur Seite. „Monster sind manchmal dekorativ.“

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Joann Sfar: Professor Bell. Der Mexikaner mit den zwei Köpfen, Avant-Verlag, 2008, 48 Seiten, 14, 95 Euro

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