Professor Bells Tierleben: Im dritten Band enthüllt „Der Affenkönig“ dem okkulten Ermittler „Professor Bell“ das Tier im Menschen – Serie: Joann Sfars makaberes Meisterwerk „Professor Bell“ im Avant-Verlag (Teil 3/3)

Dabei habe ich nicht die Finsternis gesucht, im Gegenteil.“ Im Jenseitigen findet Bell bizarre Erleuchtungen. Schreibt er überreizt von Kummer und Kokain Briefe an Tote,verwandelt das Geisterleuchten seines Assistenten Eliphas Bell selbst in ein grünhäutiges Gespenst seiner selbst. Im Abseitigen findet Joann Sfars eine eigentümliche Schönheit. Hervé Tanquerelle, der den dritten band illustrierte, kann Sfars unverwechselbare Ästhetik des Sonderbaren nur imitieren. Umso gewaltiger beschwört Sfar die Dämonie in seinen Figuren. „Große Männer brauchen großer Herausforderungen“, weiß Bells Widersacher Adam Worth. Der historische Unterweltboss Worth ist Bells persönlicher Professor Moriarty. „Und die Mächtigsten unter ihnen langweilen sich bisweilen aus Mangel an Kontrahenten.“ Beides verschafft Bell „Der Napoleon des Verbrechens“.

„Ehemals suchte man zum Gefühl der Herrlichkeit des Menschen zu kommen, indem man auf seine göttliche Abkunft hinzeigte: dies ist jetzt ein verbotener Weg geworden, denn an seiner Tür steht der Affe und fletscht verständnisvoll die Zähne.“ (Nietzsche)

Ein riesiger Makake verwüstet Edinburghs Hafen und verschwindet. „Der Affenkönig“ wird Schauobjekt Worths, der dem Bell zugedachten Souvenir ein Schönheit vorsetzen will. Eliphas ahnt Teuflisches: „Ein Film mit einem Riesenaffe. Das ist doch genau sein Metier.“ Nur arbeiten Verbrecherkönig und Affenkönig ohne Kunstblut: „Die Schönheit des Todes offenbart sich nur einer Elite, welche sich vom Joch der Moral befreit hat.“ Das Monströse zeigt sich janusköpfig mit menschlichem und animalischem Gesicht. Makake und Moriarty-Vorbild verkörpern einen bedrohlichen sozialen Dualismus: amoralische kriminelle Brillanz und amoralische physische Kraft. Mehr als ein kriminalistischer Fall ist „Der Affenkönig“ ein gesellschaftskritischer. Arthur Conan Doyle sagte über seinen Detektiv: “The hero would treat crimes as Dr. Bell wourld treat diseases.“ Mit dem Skalpell – oder einer Untersuchung. Entthront im Edinburgher Zoo, enthüllt „Der Affenkönig“ Bell das Menschenhafte einer Horde Rotpeter, die weder kultiviert noch beredet sind: „Es gibt nichts Grausigeres als hunderte schweigende Affen.“

Der grausigste Affe war der Darwins. Sein Mord an der Genesis war schauriger als „Die Morde in der Rue Morgue“. Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts war besessen von Affen. In Hoch und Populärkultur verkörpern mord-lüsterne Primaten einen dunklen, entfesselten Sexus, bedrohliche Exotik, heimtückische, für ein Tier unnatürliche Intelligenz: das personifizierte Böse, der bizarre Umkehrschluss des Diabolus Simia dei. „Der Affenkönig“ ist die konsequente Übertrumpfung des Satans, der Bell im vorherigen Band begegnete. Eine Apologie nennt Ossour Bells Aufsatz. Tatsächlich ist er eine Demaskierung. Im zoologischen Garten erkennt er in den Gebrechen der eingepferchten Wildtiere Vorboten der Zivilisationskrankheiten des 20. Jahrhunderts: „Es ist nicht meine Absicht, den Menschen von seinem Podest zu stoßen. Im Gegenteil möchte ich den Affen auf sein Niveau erhöhen.“

„When you have excluded the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth." (Sherlock Holmes)

„Eine Posse“ nennt es Bell. Doch gerade dem Possenhaften gilt Joann Sfars Credo. Sein skurriler Schauer-Krimi ist philosophische Trivialliteratur und reißerisches Kunstwerk. Ein Kabinettstück im humanistischen Gruselkabinett: unter die dämonischen Züge der monströsen Menschen fügen sich nahtlose in die Parade aus Untoten, Gespenstern, Riesenaffen und dem Teufel. Viktorianische Heuchelei und Bigotterie spiegeln die heutigen Sitten. Das Unbehagen in der Kultur verweilt, auch nachdem „Der Affenkönig“ entflieht – „Auf eine menschenleere Insel in der Nähe von Kho Pha Nang, die wie ein Totenkopf aussieht. Dort sollten sie in Frieden leben können.“

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Joann Sfar: Professor Bell. Der Mexikaner mit den zwei Köpfen, Avant-Verlag, 2008, 48 Seiten, 14, 95 Euro

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