Christian Ahlmann, ein zweifelhaftes Aushängeschild des Deutschen Pferdesports? Dr. Kirsten Tönnies berichtet von ihrem Besuch beim internationalen Pfingstturnier der Reiter in Wiesbaden

Fallada mit 25 Jahren: der spanische Schritt ist eine hervorragende Übung zur Hebung des Selbstbewusstseins der Pferde, Vergrößerung des Gelenkradius und Kräftigung der Muskulatur. Leider wird sie häufig mit negativer, anstatt positiver Belohnung oder sogar positiver Bestrafung beigebracht. Die Pferde schlagen dann nach der Gerte und werden hektisch anstatt sich freudig zu präsentieren. Oft wird er von vorne beigebracht. Damit fordert man die Pferde auf, den Menschen zu bedrohen: man sollte deshalb von der Seite trainieren. BU Kirsten Tönnies, © Kirsten Tönnies, Foto: 2014 Caroline Bachert

Kelkheim/Taunus, Deutschland (Weltexpress). Dr. Kirsten Tönnies ist praktizierende Tierärztin in Kelkheim/Taunus, wo sie eine Kleintierpraxis hat; Pferde sind ihr Hobby. Das ermöglicht ihr einen Blick auf die Pferde, der nicht von Verwertungsinteressen bestimmt ist, wie es oft bei „Pferde- Ärzten“  und besonders bei Pferdezüchtern- und Händlern der Fall ist.

Paschel: Liebe Kirsten, Du bist bekannt als Tierärztin, weil Du Dich immer wieder für den Tierschutz nicht nur der Pferde, sondern auch allgemein für Tiere engagierst. Weiterhin setzt Du Dich auch ein für den Ethikkodex der Tierärzte ein, vergleichbar mit dem Ethikkodex für Humanmediziner, der die Veterinärmediziner auf den Tierschutz verpflichten würde. Der Missbrauch der Pferde ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN hat nicht umsonst einen Kriterienkatalog für Reitturniere erstellt mit Hilfe eines Expertengremiums, womit angeblich der Missbrauch unterbunden werden soll. Ich frage mich, wie man sich als Experte fühlt, wenn man das Ergebnis sieht. Die praktische Umsetzung findet anscheinend überhaupt nicht statt, wie man jetzt nach 4 Jahren definitiv sagen kann. Ein Video des CHIO – Die Stewards: Schutz vor Tierquälerei? vom 18.07.2019, WDR von Barthel Braune, Sabine Rieck ist ein wenig ein Armutszeugnis für die FN und den Veranstalter, der das „größte Reitturnier der Welt“ ausrichtet.
In jeder anderen Sportart werden Regeln auch geahndet mit gelben und roten und schwarzen Karten. Im Reitsport wird ein absichtliches, schweres Foul am Pferd mit guten Worten geregelt.
Ich kenne viele ReiterInnen und PferdehalterInnen, die solche Turniere nicht mehr besuchen, weil sie als Pferdefreunde das Leid der Sportpferde nicht sehen möchten.

Tönnies: Ja, lieber Bernd, die kenne ich auch und ich habe den Eindruck, dass es immer mehr werden, auch wenn ich da keine Statistik vorweisen kann.

Paschel: Für mich leben diese Sport-ReiterInnen in einer Parallelwelt, wo anscheinend auch andere Gesetze gelten.
Aber nun konkret: Was hast Du in Wiesbaden erlebt?

Tönnies Ich habe nur mal kurz am Abreiteplatz Springen vorbeigeschaut. Wie eigentlich immer habe ich sofort Szenen im Umgang mit Pferden gesehen, die mich mal wieder den Kopf schütteln ließen. Ich habe nur mein Handy dabei gehabt, weil ich eigentlich alles ignorieren wollte. Dann musste ich aber doch wenigstens ein paar Szenen filmen. Die Platzrichter/Stewards haben mal wieder nur zugesehen; zumindest habe ich nicht erkennen können, dass sie irgendwie irgendwann eingeschritten wären. Die schlimmsten Rollkurmethoden mit Riegeln wie aus den 70er Jahren musste das Pferd von Ulrich Kirchhoff ertragen: Ulrich Kirchhoff und Christian Ahlmann springen mit ihren Pferden über höchste Auflagen mit Schlaufzügeln, Christian Ahlmann sogar mit Scheuklappen. Die FN verbietet solch ein Verhalten in ihrer LPO von 2018 ausdrücklich für nationale Turniere: Grund: tierschutzwidrig. Auf Nachfragen bei der FN, FEI und Pferdesportmagazinen kann keine Stelle im Reglement der FEI zitiert werden, wonach diese Pferde schädigende Reitmethode eindeutig bei internationalen Starts zu erlauben ist!

Paschel: Was ich im video sehe ist Hyperflexion mit 100% Krafteinwirkung des Reiters durch Hilfszügel.

Tönnies: Das Riegeln von Ulrich Kirchhoff wäre für sich genommen schon Grund zum Einschreiten der Aufsicht gewesen

Paschel: Das Video ist vielleicht nicht spektakulär, aber für Insider sehr aufschlussreich. Einige Kommentare sind bezeichnend: „Was ich nicht sehen will, sehe ich nicht.“

Tönnies: Ja, leider! Pferde werden heute nicht mehr vor den Augen der Zuschauer blutig geschlagen oder sporniert. Die Gewalteinwirkung ist subtiler, aber wer genau hinschaut, sieht wie die Tiere leiden am Gesichtsausdruck, dem Schweifschlagen, der Muskelverspannung oder der Ohrenhaltung. Eine gestörte Schrittfolge zeugt oft von routinemäßigem Drangsalieren. Der Schritt des Pferdes von Ulrich Kirchhoff war wirklich spektakulär desolat; deshalb habe ich überhaupt mein Handy gezückt. Und das blieb auch so, nachdem er die Schlaufzügel abgenommen hatte. An der Stelle möchte ich mal nebenbei erwähnen, dass das Äppeln zum Einreiten in den Parcours ein deutliches, dabei wenig beachtetes Stresssignal ist. Gerade Hengste überlegen sich ansonsten genau, wo sie ihre Hinterlassenschaften platzieren.

Paschel: Zurück zum Pfingstturnier

Tönnies: Vielleicht noch kurz zum CHIO in Aachen letzte Woche: Christian Ahlmann ritt dort mit einem Schimmel ein, dem erst ganz kurz vorher die Scheuklappenmaske abgezogen wurde! Das wurde vom WDR gefilmt und vom Sprecher Carsten Sostmeier auch live kommentiert! Er interpretierte, das dieses Pferd die „Mütze“, wie er es verharmlosend nannte, tragen würde, weil es u. a. „Angst vor Fliegen auf dem Arm“ hätte. Dabei blieb offen, ob der Kommentator den Arm des Reiters oder den des Pferdes meinte. Egal wie, eine völlig verrückte Erklärung die davon zeugt, wie schwierig es ist, so manche unschöne Szene in der Reiterei mit aller Macht schön reden zu wollen. Und das merken auch viele Menschen die Pferde mögen und schauen sich diese Übertragungen vielleicht auch deshalb nicht mehr an.

Paschel: Aber jetzt zurück zum Pfingstturnier:

Tönnies: In Wiesbaden ritt Christian Ahlmann einen Braunen. Ebenfalls mit Scheuklappen und dazu noch mit Schlaufzügeln auf dem Abreiteplatz. Und mit dieser Ausrüstung nahm er die Probesprünge bis zur höchsten Auflage. Die Aufsicht vor Ort fragte ich dann nach den Vorschriften in der FEI, wonach das erlaubt wäre. Die Kommentare dazu waren „Bildzeitung“, „keine Ahnung“, „Cavallo ist Bildzeitung“ und von der Seite „Du Opfer“, vom Reiter „Bist Du in die Schule gegangen?“

Paschel: Was ist das denn für ein Niveau?

Tönnies: „Opfer“ fand ich auch sehr lustig (lacht). Frech finde ich aber die Behauptung, dass die Cavallo wie die Bildzeitung wäre. Dabei deckt die Bildzeitung durchaus auch mal als Erste auf oder stürzt Präsidenten… insofern vielleicht doch kein so schlechter Vergleich?
Ich habe in den Tagen danach bei der FN mit der Expertin telefoniert. Zuerst hat sie eine Auskunft mit der Begründung verweigert, dass sie sich nicht um alles kümmern könne und dass das Thema die FN nichts angehen würde. Später verwies sie auf Passagen im Reglement der FEI, wonach man schließen könne, dass es nicht verboten sei. Jan Tönjes stellte übrigens das Gleiche fest. Ich habe versucht mit FEI Mitarbeitern in der Schweiz darüber zu sprechen und komme nicht wirklich weiter.

Paschel: In der Schweiz ist es gesetzlich verboten definitiv seit 2015.

Tönnies: Ich glaube, dass das Springen mit Schlaufzügeln bei internationalen Ausschreibungen nur als „erlaubt interpretiert“ wird, weil es in den Jumpingrouls den Satz gibt, dass es im Parcours verboten sei. Also ein Umkehrschluss. De facto würde das aber die Gefahr bergen, dass man alles als erlaubt ansieht, was nicht ausdrücklich verboten ist. Da ließen sich verrückte Beispiele konstruieren… Und national ist es auf jeden Fall verboten, wie es in der neuen LPO 2018 noch mal extra betont wird!! Und die Begründung ist ja Tierschutz! Also der Schutz der Unversehrtheit der Pferde. Und die Empfindungen der Pferde ändern sich ja nicht, nur weil die Ausschreibung anders lautet. Wenn etwas also eindeutig als tierschutzrelevant identifiziert wurde, kann es seine Bedeutung nicht ändern, nur, weil es mir gerade nicht in den Kram passt.

Paschel: Aber eben nicht gesetzlich verboten. Das ist anscheinend die Politik der FN!

Tönnies: Na ja, im Prinzip doch, durch das Tierschutzgesetz. Die Frage ist: wer traut sich als Erster zu klagen? Und wer hat die besseren Anwälte und Gutachter?
Aber bis dahin gebe ich zu bedenken: Christian Ahlmann, der jetzt als Nationenpreis-Zweiter und Nullrundenreiter gehypt werden wird, fiel schon früher durch nicht „besonders pferdefreundliches“ Verhalten auf. 2008 wandte er während der Olympischen Spielen verbotene Medikamente bei seinem Pferd an und fiel damit auf, 2012 peitschte er sein Pferd bei einer Verweigerung so heftig, dass er gerügt wurde. Er reitet seine Pferde anscheinend routinemäßig mit Scheuklappen und springt mit Schlaufzügeln…. Ich frage mich, ob ich als Vorbild vielleicht lieber jemanden sehe, der vielleicht einen Tick weniger Erfolg hat, dafür aber nett zu seinen Pferden ist? Vieles ist Medien gemacht: da ließe sich was entwickeln…

Paschel: Liebe Kirsten, vielen Dank für dieses köstliche Interview, das viele Leser erreichen möge. Lass uns noch einen Offenen Brief verfassen an unsere Staatsministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die schon einmal gezeigt hat, dass sie vor der FN nicht zu Kreuze kriecht.

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