Überhaupt ist Karl Marx (1818-1883) heute noch präsent – auf Espresso-Packungen – „Der schwarze Karl“ -, auf Pralinen, ja, er ziert sogar einen USB-Stick. Die Jugend nutzt ihn lachend für „Rock am Kopp“. Und als Wegweiser ist der Kopp ebenso nütze.
Der in Chemnitz aufgewachsene Expressionist Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) zeigt in seinem Gemälde „Chemnitzer Fabriken“, wie die Innenstadt 1926 aussah: Ausschließlich Fabriken mit qualmenden Schloten. Viele Fabrikgebäude gibt es noch, aber sie werden heute anders genutzt. Ein sehr schöner Bau ist das „Industriemuseum Chemnitz“. Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut, diente es bis 1982 als Gießerei- und Maschinenhalle. Heute startet man darin einen lebendigen Streifzug durch 220 Jahre Sächsische Industriegeschichte. Lebendig insofern, dass Spinn- und Webmaschinen vorgeführt werden.
Die Kleinrundstrickmaschine etwa fertigt ein Paar Socken in 3,5 Minuten. Die Großrundstrickmaschine stellt Unterhemden ohne Naht und dehnbar her, obwohl der Faden ein fester ist. Es liegt an der Nadel, sie knotet den Faden, wodurch das Hemd dehnbar wird. Die Flechtmaschine darf man selbst bedienen und sich sogar von dem geflochtenen Band ein Stück abschneiden und mitnehmen. An bestimmten Terminen kann die Einzylinder-Gegendruck-Dampfmaschine, ein 200 PS starker Stahlkoloss der Maschinenfabrik Germania, der in diesem Jahr 120jähriges Jubiläum feiert, stündlich unter Dampf erlebt werden. An einer der ersten Schreibmaschinen dürfen Kinder ihre Fingerfertigkeit überprüfen – da muss man auf die Tasten hämmern, um die Buchstaben aufs Papier zu bringen. 200 Jahre nach der Erfindung der Laufmaschine von Karl Drais, der Draisine, zeigt das Industriemuseum in Kooperation mit dem Museum der Arbeit Hamburg bis 29. Januar 2017 über 100 Fahrradikonen aus 200 Jahren Design- und Technikgeschichte des Fahrrads. Wirklich zum Staunen! Auf dem fest installierten Hochrad darf jeder einmal radeln – man sollte sich nicht überschätzen, es ist nicht leicht, überhaupt den Sattel zu erreichen. Aber wieso gerät ein Porsche 911 GT3 RS unter die Räder? „The world`s slowest Porsche“ heißt Ferdinand. Unter seiner glitzernden Hülle verbirgt sich aber eine maßstabsgetreue Fahrrad-Konstruktion, auf der mittels Elektro-Installations-Rohren und Klebebändern die Karosserie aufgebaut ist. Sehr witzig. „Im Fall Ferdinand handelt es sich um die Peckhamsche Mimikry (nach G. W. und E. G. Peckham, 1889), auch aggressive Mimikry genannt, die nicht zur Folge hat, dass Angreifer abgeschreckt werden; im Gegenteil, sie bewirkt, dass andere Arten angelockt werden.“
17 industriegeschichtlich bedeutende Gebäude verbindet die „Chemnitzer Route der Industriekultur“, man kann aber auch die Variante der kleineren Runde mit acht Stationen nutzen. An jedem Objekt befindet sich eine Tafel mit einem Kurztext zum Gebäude sowie einem QR-Code. Über diesen kann der Besucher per Smartphone zu Informationen im Internet gelangen und wird zu einem virtuell geführten Stadtrundgang geleitet. Zu der Tour bietet die Tourist-Information zudem einen Flyer an. Auch geführte Touren sind möglich.
Den 19. bis 21. August 2016 müssen sich alle Eisenbahnfreunde merken. Unter dem Motto „25 Jahre Sächsisches Eisenbahnmuseum e.V.“ erwartet die Besucher ein umfangreiches Programm mit betriebsfähigen Dampf- und Diesellokomotiven, Fahrzeugparaden, Pendelfahrten, einer Nachtfoto-Veranstaltung, Führerstand-Mitfahrten, Feldbahn- und Modellbahnbetrieb, Technikmuseum Seilablauf-Anlage und Modellbahnbörse.
Am Freitag, 19. August verkehrt der „Heizhausexpress“. Mit zwei Dampflokomotiven der Baureihe 50.35 fährt man durch das Zwönitztal nach Aue und weiter über Schwarzenberg nach Annaberg. Dabei wird der berühmte Markersbacher Viadukt überquert.
Ab 1800 verzwanzigfacht sich binnen eines Jahrhunderts die Einwohnerzahl von Chemnitz. Dem Zeitalter der industriellen Revolution verdankt Chemnitz den Aufschwung. Beispielhaft für den Stolz der Bürger steht das monumentale Wandgemälde von Max Klinger mit dem Titel „Arbeit=Wohlstand=Schönheit“, das seit 1919 den Stadtverordneten-Saal des Neuen Rathauses schmückt. Industrie und Kultur gehören in Chemnitz zusammen. In einer der ehemals reichsten Kommunen Deutschlands laden erfolgreiche Bürger seit Mitte des 19. Jahrhunderts Künstler zu sich ein, vergeben Auftragsarbeiten an Architekten und Designer. So entstehen schöne Stadtviertel, wie der Kaßberg mit wunderschönen Gründerzeit- und Jugendstil-Villen, etwa die Majolika-Häuser in der Barbarossa-Straße 48-52. Auf dem Theaterplatz das neobarocke Opernhaus nach Plänen von Richard Möbius, ebenfalls nach seinen Plänen die „Kunstsammlungen Chemnitz“ mit über 80.000 Exponaten, darunter die deutschlandweit zweitgrößte Sammlung von Gemälden und Grafiken Karl Schmidt-Rottluffs, der sich nach seinem Geburtsort, dem Chemnitzer Stadtteil Rottluff benannte und zur Künstlergruppe „Brücke“ gehörte.
Ältestes Wahrzeichen der Stadt, Ende des 12. Jahrhunderts als Bergfried errichtet, ist der „Rote Turm“, der später als Teil der Stadtbefestigung genutzt wurde. Das Einkaufszentrum am Roten Turm verdankt seine Terrakotta-Fassade dem Architekten Hans Kollhoff. Über 100.000 Ziegel sind filigran verarbeitet, Fensterbänder mit Hunderten Einzelfenstern in die helle Fassadenfront eingebettet.
Als Besonderheit erwähnenswert finde ich das von der französischen Designerin Andrée Putman (1925-2013) für die Kunstsammlungen Chemnitz erschaffene Sitzmöbel „banc éléphant“, eine 20 Meter lange Bank auf dem Theaterplatz. Einladend, sich auch die Kunst im Museum anzusehen.