Caillebotte und die Fotografie in der Frankfurter Schirn – Warum man diese Ausstellung viermal besuchen sollte

© WELTEXPRESS, Foto: Dr. Jürgen Pyschik

Obwohl Freund und Förderer aller namhaften Impressionisten, war Caillebotte in dieser Szene eine Ausnahmefigur: Als Spross einer wohlhabenden Textilfabrikantenfamilie hatte er es weder nötig, sein Jurastudium zum Beruf zu machen, noch musste er je vom Verkauf seiner Bilder leben. Daher blieben seine Gemälde auch bis zu seinem Tod und darüber hinaus auch bis heute vor allem in Privatbesitz, im Gegensatz zu seiner umfangreichen Impressionistensammlung, die er testamentarisch dem französischen Staat vermachte und die heute einen Kern des Bestandes des Musée d ´Orsay darstellt.

Caillebotte, 1848 geboren und 1894 gestorben lebte nicht nur in der Epoche Napoleon III. und der Erstarkung einer großbürgerlichen Schicht, er war selbst ein Teil von ihr. Wahrscheinlich konnte er daher das Lebensgefühl des bürgerlichen Flaneurs so unwiederholbar einfangen. Grundlage dieser Gesellschaft war die zunehmende Industrialisierung aller Lebensbereiche, äußerer Ausdruck die Umgestaltung von Paris unter Haussmann, aber auch die Verbreitung neuer Techniken, wie des Stahlskelettbaus, dem Paris nicht nur den Eiffelturm verdankt, sondern auch Brückenkonstruktionen, wie sie auch Caillebotte in seinen Bildern von der Pont de l ´Europe einfängt.

Und hier setzt das Konzept der Ausstellung an. Die Kuratoren wollen aufzeigen, wie Caillebotte vor und neben der Fotografie in seinen Gemälden einen fotografischen Blick auf die Welt vorwegnimmt, obwohl sein Medium die technischen Begrenzungen (z.B. lange Belichtungszeiten) nicht kennt, die viele der frühen Fotoaufnahmen beeinflussen. Diesen Zusammenhang will die Ausstellung mit über 50 Werken des Malers und einer Vielzahl korrespondierender zeitgenössischer Fotografien deutlich machen, Die Motivgruppen sind die Stadt Paris und die in ihr flanierenden Menschen, Männerportraits und Stillleben, die Bemühungen um die adäquate Erfassung von Bewegung im Bild und zuletzt die Annäherung an eine abstrahierende Sicht, wie sie später in Fotografien von Moholy-Nagy und anderen wieder auftauchen wird.

Man sollte die Ausstellung daher mehrfach besuchen oder zumindest mehrfach durchschreiten. Das erste Mal mit Konzentration auf die Gemälde, das Licht von Paris, mal sonnig wie auf der Pont de l ´Europe (1876) oder eben die berühmte Regenszene (hier nur als Vorstudie vertreten), den Blick auf die neuen Boulevards, mal im Detail durchs Balkongitter aber auch als Totale und die Flaneure und Bürger.

Der zweite Durchgang gehört der Fotografie. Er ist mühsamer, schon wegen der kleineren Formate, aber auch wegen der Fülle von Informationen, die in den Bildern geboten wird. Der Blick der Fotografen ist zwar gleichermaßen von Technik und Stadtentwicklung gebannt, aber es finden sich auch deutlich  mehr sozialkritische Motive. Es lohnt sich hier auch, die Hintergrundinformationen des Katalogs einzubeziehen, da dieses Medium in seinen Anfängen eben nur zeigen konnte, was technisch machbar war.

Der dritte Durchgang sollte dann der Konzeption der Ausstellung folgen: Wie sind die Wechselbeziehungen, wo malt Caillebotte fotografisch, wo nehmen die Lichtbildner seine Sichten auf?

Den vierten Durchgang sollten Sie dann ganz entspannt als Flaneur zwischen den Zeiten vollziehen. Sie sind gern und oft in Paris? Sie kennen ihren Zola? Na prima. Dann schlüpfen sie in die Haut von Herrn Hugot, der ihnen gleich zu Beginn der Ausstellung fast lebensgroß gegenübersteht und wandern durch sein Paris mit ihren und seinen Augen. Sie werden manches wiedererkennen, anderes hat sich verändert und einiges ist auch verlorengegangen, wie z.B. die von Charles Marville als „Stadtmöbilierung“ liebevoll portraitierten Pissoirs. Anschließend gehen Sie gleich ins Reisebüro und buchen eine Woche Paris.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 20. Januar 2013.

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