Breite und Vielfalt mit Grenzen – Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin stellt seine Pläne für 2022/2023 vor

Sinfonic Mob des DSO im September 2015 in Berlin. © Foto Katharina Schulze, Aufnahme: Berlin, 21.9.2015

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Vorige Woche stellte das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) in einer Präsenz-Pressekonferenz sein Programm für die Spielzeit 2022 / 2023 vor. Chefdirigent Robin Ticciati befand sich wegen Corona in Quarantäne und erläuterte seine Highlights per Stream persönlich. Der Brite blieb sich treu und sprach nach fünf Jahren Chef in Berlin konsequent Englisch.Also die Highlights: Als erstes kommt am 25. September die konzertante Aufführung der Oper »The Wreckers» (Die Schiffbrüchigen) der britischen Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smith (1858 – 1944) zu Gehör. Die Oper wurde 1906 in Leipzig uraufgeführt. Sie handelt von Fischern in Cornwall, die aus Not Schiffe auf die Riffe locken, die Besatzungen ermorden und die Schiffe ausrauben, dies von ihrem Geistlichen gerechtfertigt als Gotteswillen, veredelt mit einer tragischen Liebe wie bei Tristan und Isolde.

Zweites Highlight wird die Aufführung des Oratoriums »Solomon» von Georg Friedrich Händel in einer szenischen Fassung am 26. Februar sein. Schließlich folgt das Festival »Music and Healing» mit vier Konzerten im März 2023, mit Werken von Hildegard von Bingen bis Richard Wagner. Man könnte auch sagen »Musik und Heilung», aber Ticciati denkt »weniger in Analogie zur Medizin, die möglichst den Status quo wiederherstellt, sondern eher an einen Prozess, an eine Transformation, aus der Neues entsteht». Sein großes Thema sei das Verhältnis von Klang und Spiritualität, die Einheit von Kunst und Glauben, auch das religiöse Erlebnis zum Beispiel bei Olivier Messiaen. Es gehe um »die Frage nach der Wirkmacht von Musik und dem, was die Menschen durch sie erfahren». Das erinnert an die Idee der Intendantin der Deutschen Oper, Kirsten Harms, die die Spielzeit 2007 / 2008 unter das Motto stellte, »Das Heilige erobert die Stadt». In Zeiten wachsender Armut und sozialer Unsicherheit recht verträumte Sichtweisen. Mystizismus hilft beim Versuch »zum Gesellschaftsbezug unseres Tuns» nicht weiter. Immerhin bietet die Festwoche auch sehr realistische Vorträge mit Themen wie »Musiktherapie» von Prof. Dr. Stefan Willich oder »Chronische Schmerzen beim Musizieren» von Prof. Dr. Andre Lee oder »Angst beim Musizieren» von Dr. Daniel S. Scholz, Themen, die jeden Musiker beschäftigen.

Vor den Highlights liegen bereits zwei Höhepunkte, wie am 26./27. August die Tour »Berlin braucht Musik» – Kammermusik auf öffentlichen Plätzen. Aus einer Notlösung während der Pandemie entstanden, findet diese Form bei den Berlinern großen Anklang. Am 17. September musiziert das Spontanorchester »Symphonic Mob» in der Mall of Berlin. Dort versammeln sich erfahrungsgemäß bis zu 1.300 Musikenthusiasten jeden Alters,. Robin Ticciati dirigiert, und es erklingen »Promenade» aus »Bilder einer Ausstellung» von Modest Mussorgski sowie das »Dies irae» aus Giuseppe Verdis Requiem. Einschließlich der Highlights erfüllt das DSO ein Programm von 67 Konzerten, darunter 33 Sinfoniekonzerte, drei Casual Concerts, drei Silvesterkonzerte mit dem Circus Roncalli, sechs Kinderkonzerte, neun Kammerkonzerte und vier Kabarettkonzerte. Das Orchester leistet eine umfassende Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Hervorzuheben ist die Arbeit mit jungen Kammermusikern. In dieser Hinsicht folgt das Orchester seinem Credo, soziale und politische Institution und Teil der gesellschaftlichen Prozesse zu sein.

Ein Kracher sollen unter dem Titel »Die Kunst der Unfuge» vier Kabarettkonzerte im Schlosspark-Theater werden. Gemeinsam mit den Kabarettisten Christian Ehring, Arnulf Rating, Mathias Richling und Torsten Sträter sollen »handverlesene Musiker und Musikerinnen» musikalischen Nonsens und politisches Kabarett mit »kulturpolitischem Tiefgang» produzieren. Sicherlich ein Gaudi für die Musiker. Doch lässt die förmliche Arbeitswut des Orchesters, das sein Tätigkeitsfeld ständig erweitert, fragen, ob die Quantität die Qualität noch gewährleisten kann, zumal von 114 Orchesterstellen nur 104 »ausfinanziert» sind.

Die Programmgestaltung ist um Breite und Vielfalt bemüht, mit Neigung zu englischer und französischer Musik. Doch noch immer empfindet das Deutsche (!) Symphonie-Orchester keine Neugier auf deutsche Komponisten aus der DDR. Über die russische Grenze blickt man noch hinaus, über die deutsch-deutsche nicht. Zu vermissen war in der Pressekonferenz der gewohnte Bericht über Besucherzahlen, Auslastung, Abonnenten und so weiter. Trotz aller Probleme ist das Orchester verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen, sagt der Marketingleiter Benjamin Dries. Aber die Scheu vor dem Aussprechen der Tatsachen hilft nicht, die Lage zu erkennen und Forderungen an die Kulturpolitik zu stellen.

Vorheriger ArtikelViertes Spiel im Drei-gewinnt-Modus – Adler besiegen Berliner Eisbären in Mannheim und erkämpfen ein fünftes und letzten Spiel dieser Halbfinal-Serie
Nächster ArtikelReisehinweise – Serie: Kunst- und Naturschätze in Ägypten (Teil 8/8)