Erstmals erlebte ich dieses Orchester im November 2010 in der Alten Oper Frankfurt. Schon der erste Ton ließ aufhorchen, solch einen runden Klang hatte man in diesem Saal schon lange nicht mehr gehört. Da war er, der warme Goldton, der früher Markenzeichen vieler deutscher Orchester war. Er scheint durch wirkliche Hingabe und absolute Konzentration zu entstehen, jedenfalls strahlte das Orchester diese Attribute von Anfang an eindrucksvoll aus. Schnell gelang es dem Klangköper eine Brücke zum Publikum aufzubauen, ein Energiekreis entstand, der bis zur letzten Note nicht abriss. Am Schluss wurden die Brasilianer mit frenetischem Applaus gefeiert.
Am Pult stand damals der Franzose Yan Pascal Tortelier, damals Chefdirigent in Sao Paulo. Davor wurde der Klangkörper von 1997 bis 2008 von John Neschling geleitet und geprägt. Neschling, in Rio de Janeiro geboren, in der Europa ausgebildet und in verantwortlichen Positionen hier lange aktiv, war es auch, der den Bau eines imposanten Konzertsaals in Sao Paulo initiiert hatte. Der alte Julio Presto Bahnhof wurde zu einem ultramodernen Musikzentrum umgebaut, dessen großer Saal über eine Holzdecke mit kleineren individuell regulierbaren Elementen verfügt, anhand derer man die Akustik schnell an das jeweiligen Konzertprogramm anpassen kann. Ein Meisterwerk der ’Klangarchitektur`.
Auch um den Nachwuchs kümmert sich das Orchester intensiv. Eine Stiftung betreut mehrere Chöre sowie ein Jugendorchester, das diesen Sommer beim MDR Musiksommer auftreten wird. Die musikalische Früherziehung wird von der brasilianischen Regierung ebenso gefördert, man folgt hier dem Vorbild Venezuela, schon über 100.000 Jugendliche wurden mit einem Instrument ausgestattet und erhalten Musikunterricht.
Das Osesp, wie die Abkürzung lautet, kommt nun erneut zu Gastspielen nach Europa. In England wurde es zu den renommierten ’Proms` eingeladen, danach, am 18. August, gastiert man in Wiesbaden beim Rheingau Musikfestival. Am nächsten Tag wird in Amsterdam, im Concertgebouw musiziert. Präsentieren wird sich der Klangkörper mit seiner neuen Chefdirigentin Marin Alsop. Hoffen wir, dass die Amerikanerin die wunderbare Musikalität des Orchesters erhalten oder gar noch steigern kann. Früher gaben die großen Dirigenten ihren Wirkungsstätten ein unverlierbares Gesicht, schufen große Klangtraditionen auch mit Sesshaftigkeit, doch lokale Verbundenheit ist heute auf lange Dauer selten. Vielleicht wäre eine Rückbesinnung hier wirklich erwägenswert, denn gute Orchesterarbeit beinhaltet nicht nur pure Notenwiedergabe, sondern ein Konzert ist auch eine Art geistige Kommunikation.