London, UK (Weltexpress). Viel wurde gesagt und geschrieben über den neuen britischen Premierminister Boris Johnson – Hoffnungsträger für kompromisslose „Brexiteers“ und für alle anderen die Personifizierung des Brexit-Desasters mit seinen unabsehbaren Folgen. Dass dieser Politiker, der nicht nur in Haarfarbe und -stil seinem amerikanischen Amtskollegen Donald Trump fast zum Verwechseln ähnlich ist, eine schillernde, kontroverse Figur ist, darüber ist man sich dies- und jenseits des Channel einig. Weniger bekannt sind Details seiner Identität – zum Beispiel sein eigentlicher Name: Alexander Boris de Pfeffel Johnson, geboren nicht etwa an der Themse, sondern am Hudson (also in New York). Wikipedia schreibt unter der Rubrik „Children“: 5 oder 6 und bei seiner Herkunft „teilweise kenianischer Abstammung“. All das mutet schon reichlich verwirrend und vor allem exotisch an.
Noch verwirrender sind allerdings Johnsons – oder de Pfeffels – religiöse Ursprünge. „In a nutshell“ – kurz gefasst – so stellt beispielsweise der „Economist“ fest, habe dieser sowohl muslimische als auch jüdische sowie christliche Vorfahren. Von seiner Mutter wurde er katholisch getauft, galt als anglikanisch (weil sich das besser machte) während seiner Studienjahre in Eton, Englands exclusivster Schule. Dennoch stellten katholische Würdenträger fest, dass Johnson der erste Katholik sei, der in Downing Street 10 Einzug gehalten habe. Doch Johnsons Urgrossvater hiess Elias Avery Lowe, ein jüdischer (aber nicht praktizierender) Paläograph russisch-amerikanischer Herkunft, also ein Fachmann für die im Altertum und im Mittelalter gebräuchlichen Schrifttypen. Sein Interesse soll allerdings eher lateinischen als hebräischen Texten gegolten haben. Johnsons Mutter soll hingegen rabbinische Vorfahren gehabt haben.
Als Johnson wegen seiner leidenschaftlichen Attacken gegen die Verschleierung von Musliminnen von einem muslimischen Geschäftsmann namens Mohammad Amin attackiert wurde, reagierte er mit dem Verweis auf seinen (anderen) Urgrossvater, den namhaften ottomanischen – muslimischen – Politiker Ali Kemal. Dieser soll England als Land der Offenheit und Toleranz gepriesen haben.
Johnson heimste Lob von jüdischen Kommentatoren ein, als er – in seiner früheren Funktion als Aussenminister – ganz offen und sehr positiv seine jüdischen Wurzeln erwähnte, im Verlauf seiner Israel-Visite die Klagemauer besuchte, und Israel als die einzige Demokratie des Nahen Ostens pries. Haaretz qualifiziert Boris Johnson als den am meisten pro-israelischen Premier der britischen Geschichte – allerdings auch als den schwächsten britischen Premierminister, was den Einfluss Grossbritanniens auf der Weltbühne betrifft. In seiner neuen Funktion sieht sich Johnson vor der heiklen Aufgabe, einen akuten Widerspruch aufzulösen: Er unterstützt nach wie vor das von seinem Amtskollegen Trump aufgekündigte Nuklear-Abkommen mit Teheran – zugleich aber sieht er sich gezwungen, entschlossen und voraussichtlich mit neuen Sanktionen auf die „inakzeptable und hochgradig eskalatorische“ (so der britische Uno-Botschafter) Kaperung des britischen Öltankers „Stena Impero“ durch die Iraner im Golf von Oman zu reagieren.