Bildungskrise folgt Finanzkrise

Das Anziehen der Inflation führt im deutschen Inland nun aber allmählich zu merklichen Sparzwängen, zumal Leistungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, dreizehntes Monatsgehalt bzw. Jahresgratifikationszahlungen bei siebzig Prozent der Beschäftigten – nur ausgerechnet bei den Bankangestellten haben sich die Sonderzahlungen erhalten –  seit mehr als zehn Jahren weggefallen sind. Bei den im Staatsdienst Beschäftigten vor allem in den SPD-regierten Ländern …!

Nun wird heute heftig darüber diskutiert, wie Deutschland im internationalen Wettbewerb auch nach der Finanzkrise, die uns allerdings sicher über längere Zeit begleiten wird, bestehen kann; Bildung heißt hier das Zauberwort, und PISA gibt die Meßlatte her. Als Konsequenz wird aber vor allem der Kindergartenmangel samt Herdprämie betalkt, bei Maischberger, Plasberg usw.

Dabei kommen die Impulse zu technischen Innovationen doch wohl eher aus dem technischen, ingenieurausbildenden Hochschulbereich, in dem die Dinge mindestens ebenso im Argen liegen wie im vorabituriellen schulischen Bereich. Schwerpunkt der Innovations-„Wiege“ ist naturgemäß die Ingenieur-Ausbildung, die zahlenmäßig vor allem im Fachhochschulbereich stattfindet. Die Einkommenssituation der Professoren hat sich in diesem Bereich in keiner Weise den gestiegenen Anforderungen angepasst, sondern setzt wegen der hohen Belastung und der vergleichsweise mageren Entlohnung der Professoren immer mehr die Attraktivität dieses Berufs aufs Spiel. Die Lehrstunden-Verpflichtung eines Professors liegt mit 19 Stunden pro Woche auf gleicher Höhe wie die Unterrichtsstunden-Verpflichtung eines Grundschullehrers. Die erforderliche Vorbereitung eines Hochschullehrers auf seinen Unterrichtsstoff hat in etwa den gleichen Umfang, was bei ständigem Zwang zur Aktualisierung der wissenschaftlichen Kenntnisse und der gewünschten Forschungstätigkeit leicht zu einer weiteren Stundenverdoppelung führen kann. Das sind Unternehmer-Belastungen! Allerdings haben Selbständige wesentlich höhere Einkommen: 90 % der deutschen Vermögen sind im Besitz von 10 % der Bevölkerung. – Der sichere, vom Forscher- und Lehrwillen beseelte Job eines Professors kann zwar für den, der sich im wahrsten Sinne des  berufen fühlt, Erfüllung sein, aber in der Breitenwirkung ist der Reiz zu dieser Berufsausübung bei gedanklicher  Kopplung mit dem Menzel-Bild vom armen Poeten eher negativ.

Hinzu kommt das Überschwappen der allgemeinen Usancen des Arbeitsmarktes auf das Lehramt: zeitliche Befristung und Leiharbeit sind an deutschen Fachhochschulen erstaunlich hoch: auf einen hauptamtlichen Professor kommen in Berlin beispielsweise zwei Lehrbeauftragte, die diesen Job im Nebenberuf ausüben oder sogar komplett von dieser Tätigkeit leben, für die individuelle Werkverträge abgeschlossen werden, durch die die Hochschule von sämtlichen steuerlichen und sozialen Abgaben freigestellt wird. Das ist eine Reduzierung der Kassenbelastung der Hochschulen bei gleichzeitiger Reduzierung der Zahl der hauptamtlichen Professoren und damit der eigentlichen Qualitäts-Ressourcen für Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen.

Eine weitere, von den Hochschulen aus Budget-Gründen begehrte Variante der Durchführung regulärer Professorentätigkeit ist die „Berufung“ von Stiftungsprofessoren. Hierbei erfolgt die Alimentierung des Professors aus einer Zuwendung des Stifters an die Hochschule, mit einer üblichen Befristung dieser Stelle auf fünf Jahre. Durch Verbeamtung werden hierbei Sozialabgaben gespart, was für die Staatsseite nur dann Folgen hat, wenn die Stelle über die Befristung hinaus verlängert wird.

Stiftungsprofessoren haben de facto starke Abhängigkeiten vom Stifter, da sich dieser damit eine fachliche Unterstützung eigener Unternehmensaufgaben durch den „von ihm“ berufenen Professor und die damit möglichen betreuten Einsätze von Studierenden – bei Praktika oder Abschlußarbeiten – in seinem Unternehmen verspricht. In vielen Fällen wird dies nicht nur latent erwartet, sondern konkret gefordert, bis hin zur Vorgabe von Aufgabenstellungen bei Forschungsvorhaben. Bei Abweichung des Stiftungsprofessors von diesen Vorgaben ist der Unwille des Stifters gewiss, was bis zur unhaltbaren Diskriminierung des de jure „akademisch freien Hochschullehrers“ führen kann.

Ein derart mißverständlich beschäftigter Stiftungsprofessor kann nur die „Flucht“ ergreifen, um nicht vollends in der Versklavung durch den Stifter zu ersticken. Eine Rettung dieser Situation durch die Hochschulleitung wäre angesagt, ist aber wegen der Mittelbegrenzung selten darstellbar. Es ist an der Zeit, die Form der Stiftungsprofessur zu reformieren: Eine anonyme Stiftung in einen bundesweiten Stiftungsfonds könnte die Einflußnahme der Stifter auf reguläre, frei abzuwickelnde Hochschulabläufe ausschalten. Über Kooperationsbeiräte der Hochschule könnte die informelle Einbindung stiftungsbereiter Unternehmen in diese Hochschulabläufe ermöglicht werden, ohne eine direkte Einflußmöglichkeit der Unternehmen auf Hochschulbelange zu suggerieren geschweige denn zu provozieren und tolerieren zu müssen.

Eine ausreichende Zahl hauptamtlicher, de facto wirklich freier (s.o.) Hochschullehrer sichert ebenso die Qualität der Ausbildung und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wie deren angemessene Alimentation durch den Staat. Brutto 3.800 bis 4.000 € pro Monat (W2-Besoldung) erscheinen für begeistert absolvierte 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche kaum ausreichend; Berlin hat seinen angestellten Lehrern im letzten Jahr eine monatliche Zulage von 1.500 € gewährt. In der Wissenschaftslandschaft ist diese Zulagenhöhe ebenfalls erforderlich, auch um den seit zwanzig Jahren praktizierten Gehaltsverfall auszugleichen, der durch Wegfall bzw. Reduzierung von Urlaubsgeld-, Weihnachtsgeld- und Sonderzahlungen krass ergänzt wurde.

„Bildung, Bildung, Bildung“ – die Bundeskanzlerin antwortete kürzlich auf die Frage nach den Prioritäten der deutschen Politik mit diesem Dreiklang. Das schließt vor allem Sofortmaßnahmen zur Auffrischung des Ansehens derjenigen ein, die als industrielle Leistungsträger die Fortführung unserer weltweiten Wettbewerbsfähigkeit sichern: In der Leistungskette stehen hierbei die Professoren der Ingenieurausbildung an vorderster Stelle.

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