Berlin, Deutschland (Weltexpress). Filme mit historisch-politischen Inhalten auf der Berlinale und im Wettbewerb sind nichts Neues. Und doch kam heute im Wettbewerb mit „Viceroy’s House“ ein Beitrag daher, denn man ohne zu übertreiben als Kinoepos bezeichnen kann und der das Kunstwerk schafft Historienfilm und Liebesfilm zu vereinen.
Der Film hat die Teilung Indiens im Jahre 1947 zum Inhalt. Die Briten, langjährige, jahrhundertelange Kolonialherren, ziehen sich aus Indien zurück und übergeben denen Einheimischen ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Und natürlich brechen die religiösen Konflikte zwischen Moslems und Hindus sofort auf und drohen das riesige Land in den Abgrund und einen religiösen Bürgerkrieg zu reißen. Hier stehen nun die Briten und voran ihr Vizekönig Lord Mountbatten, als Stellvertreter seines Königs, in der Pflicht, die doch unvermeidbare Teilung des Landes in die Staaten Indien und Pakistan zu regeln.
In „Viceroy’s House“ erleben wir diesen politischen und historischen Konflikt, wie der Titel schon verrät, im Haus des Vizekönigs hautnah mit. In der Rolle von Lord Mountbatten glänzt Huge Bonneville, der aufgrund seiner Rolle als Lord in der Serie Downton Abbey schon prädestiniert ist für diese Rolle. Da Mountbatten die geregelte Teilung und Übergabe an die Inder und Pakistanis zu verantworten hat, geht dieser Ablauf denn auch als Mountbattenplan in die Geschichte ein. In seinem Haus erleben wir die Ränkespiele der Macht, die sich hinter den Türen abspielen, in all ihrer Deutlichkeit mit. Wie der Vizekönig, die englischen Diplomaten sowie die politischen Führer Indiens und Pakistans Nehru, Gandhi und Jinnah um eine Lösung für die indische Teilung diskutieren, streiten, schachern und ringen. Währenddessen versinkt das Land zunehmend im religiösen Bürgerkrieg und eine unvorstellbare Massenimigration tritt ein.
Zeitgleich erleben wir die fiktionale Liebesgeschichte zwischen den zwei Angestellten des Hauses, Jeet (Manish Dayal) und Aalia (Huma Qureshi). Beide stehen in Diensten seiner Majestät und beide verbindet eine untrennbare Vergangenheit miteinander. Jeet, in früherer Anstellung ein Gefängnisaufseher, sorgte dafür das Aalias Vater das Gefängnis überlebte. Jeet kann seine Augen natürlich nicht von Aalia lassen. Doch die ist den indischen Bräuchen entsprechend schon jemand anderem versprochen und gehört der muslimischen Religion an. Jeet ist Hindu; die klassische Romeo und Julia Romanze. Beides, Historiendrama und Liebesgeschichte, sind gut miteinander integriert. Die politischen Entscheidungen der einen wirken sich unmittelbar auf das Liebespaar und ihre Familien aus und umgekehrt.
„Viceroys House“ bewegt sich klar im Fahrtwasser und der Tradition großer Filmepen wie Richard Attenboroughs „Gandhi“ und David Leans „A Passage to India“. Alles an diesem Film ist groß und episch, von der Ausstattung, den Kostümen, den Massenszenen. Und es ist irgendwie auch ein Vergnügen und eine Erleichterung wieder so einen Film zu erleben, ohne Comic-Helden und digital überfrachtete Effekte. „Viceroy’s House“ würde schon allein als rein historisches Politdrama gut funktionieren und mitreißen. Die an die Ereignisse gekettete Liebesgeschichte zwischen Jeet und Aalia läßt uns die Teilung und Massenimigration in Indien von 1947 emotional mit durchleben. Steht das Haus des Vizeköngs doch als Mikrokosmos für die Ereignisse jener Zeit. Nichts und niemand im Haus bleibt von der entschiedenen und bevorstehenden Teilung Indiens unversehrt, was sich gegen Ende gut offenbart, als die indischen Bediensteten antreten und sich entscheiden müssen, ob sie die indische oder pakistanische Staatsangehörigkeit annehmen wollen. Auch das Haushaltsinventar des Vizekönigs muss schließlich dran glauben, wird es doch je nach politisch bestimmten Prozentsatz an Indien bzw. Pakistan aufgeteilt. Kleine, aber starke Szenen die uns die Teilung greifbar vor Augen führen.
Der Film ist großes opulentes Historienepos, dem es gelingt den politischen Entscheidungsprozess spannend nahezulegen und der den Vizekönig als hilflose Marionette in dieser von der Weltpolitik mitbestimmten Mächtespiel sieht. Mischen die USA und die Sowjetunion im geopolitschen Machtspiel im Hintergrund ja längst mit, der Kalte Krieg zeichnet sich schon ab. Er überzeugt zugleich als menschliches Drama, das mit guten und starken Figuren auffährt und eben die indische Seite nicht vernachlässigt, sondern gleichberechtigt neben den historischen Figuren stehen lässt. Besonders stark zur Geltung gebracht durch das Liebespaar Jeet und Aalia, ihrer unmöglichen Liebe zueinander und dem damit verbundenen Schicksal ihrer Familien.
Es ist dann ebenfalls bemerkenswert, dass dieser Film von der Inderin Gurinder Chadha inszeniert wurde. Ein Domizil, das bisher bei solchen Filmen immer Männer inne hatten. Und doch ist sie für dieses Thema genau die Richtige, hat sie ja indische Wurzel, ist aber in England aufgewachsen. Sie bringt daher die richtige Mischung mit. Auf der einen Seite, das Gefühl und die Kenntnis für diesen wichtigen Part der indischen Geschichte und seiner Menschen. Und dann wieder das Gespür und Wissen, dies in bester englischer Tradition spannend fürs Kino zu erzählen. Ihre Liebesgeschichte ist romantisch, aber nie überzogen oder zu kitschig inszeniert und nimmt im Gefüge dieses Epos genau den richtigen Raum ein.
Mit „Viceroy’s House“ hat die Berlinale es geschafft, großes und bestes episches Kino in sein Programm zu nehmen. Da ist es fast schade, dass der Film außer Konkurrenz läuft. Und doch vielleicht wieder gut. Wünscht man dem Film doch ein großes Publikum, er hätte es verdient.
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Originaltitel: „Viceroy’s House“
Land: Indien, Großbritannien
Jahr: 2016
Regie: Gurinder Chadha
Buch: Gurinder Chadha, Paul Mayeda Berges, Moira Buffini
Kamera: Ben Smithard
Schnitt: Victoria Boydell, Valerio Bonelli
Musik: A. R. Rahman
Darsteller: Hugh Bonneville, Gillian Anderson, Manish Dayal, Huma Qureshi, Om Puri, Michael Gambon, Simon Callow
Dauer: 106 Minuten
Produzenten: Deepak Nayar, Gurinder Chadha, Paul Mayeda Berges