Berlinale – Menschlichkeit in einer gewaltvollen Welt – Mit „Dayveon“ läuft der Debütfilm von Amman Abbasi im Forum der 67. Berlinale

"Dayveon" von: Amman Abbasi USA 2017, Szene mit Devin Blackmon, Kordell “KD” Johnson. 67. Berlinale, Forum, Berlin 2017. Foto: © Berlinale

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Ein Lichtblick in der südlichen Peripherie der USA, ein unschuldiger dreizehnjähriger dunkelhäutiger Junge entdeckt Wahrheit in einem Nest aus Bienen. Dayveon, der kleine Junge und Namensgeber des Filmes „Dayveon“ radelt mit seinem Fahrrad in den sonnendurchfluteten, erhitzten Straßen in einer wirtschaftlich-angeschlagenen Stadt in Arkansas und reimt eine Poesie auf die Blödheit des Leben: „Die Straßen sind blöd, die Umgebung ist blöd, die Menschen sind blöd. Alles ist blöd. Blöd. Blöd.“

Was auf den ersten Blick dem Betrachter als allzu nachvollziehbare Empfindung eines jungen Heranwachsenden in sozial-abgehängten Milieu anmutet, entpuppt sich in dieser Coming-of-Age-Geschichte im Verlauf des Films als die tiefe Trauer um seinen erschossenen älteren Bruder. Der junge Dayveon (Devin Blackmon) sucht seinen Platz in einer Welt ohne Eltern und einem von Arbeitslosigkeit, Langeweile und Gewalt geprägten Landstrich und findet, durch eine Reihe Verirrungen, Menschlichkeit und Poesie. – Und das ist das Wunderbare an diesem ungekünstelten schlichtem Avantgardefilm.
In der Sektion „Internationales Forum des Jungen Films“ der Berlinale 2017 feiert das Filmdrama seine internationale Premiere.

„Dayveon“ ist das Erstlingswerk des Regisseurs Amman Abbasi. Aus seiner Feder stammen sowohl das Drehbuch, die Musik, der Schnitt und die Produktion. Er schafft es einen Einblick in eine vergessene Welt zu bringen. Eine soziale Randgruppe von existenzgefährdeten jungen Afroamerikanern, eine Gemeinschaft, die so im Film bisher eher unsichtbar geblieben ist, wird ins Blickfeld erhoben und dem Zuschauer auf unaufdringliche Weise nahe gebracht. Wir erleben die Nöte eines jungen Teenagers, die so auf der Welt überall stattfinden und stattfinden könnten. Und gerade das schafft die Verbindung zum Zuschauer, eine Randgruppe wird gezeigt, die doch gar nicht so anders ist als überall. Auch wenn die Gepflogenheiten und der ausgeprägte regionale Akzent der Bewohner einem westlich und wirtschaftlich geprägten Blick fremdartig erscheinen mögen. Doch gerade das ist der Verdienst des Films, dieser Gemeinschaft eine Plattform zu bieten. Es kann nicht genug betont werden in einer Welt, wie der unseren, in der sich in erschreckender Weise wieder die Angst und die Ablehnung vor dem Anderen zu etablieren scheint, doch einmal einen tieferen Blick zu wagen, denn der Mensch ist nicht in seiner Rasse oder Kultur so sehr verschieden, es ist immer noch die Menschlichkeit, die ihn entweder ausmacht oder entweder nicht ausmacht. Da ist Farbe, Abstammung, Blut doch nur eine Frage der Form und nicht des Inhalts.

Der junge Dayveon vereint in sich einen Konflikt zwischen dem schmerzlichen Verlust seines ermordeten Bruders und der Suche nach Zugehörigkeit zu einer gewaltvollen Gang, neuer Brüderlichkeit oder einer Freundschaft oder seiner übriggebliebenen Familie, die aus seiner Schwester Kim (Chasity Moore)und ihrem grob auftretenden, aber sanftmütigen und um Anteilnahme an Dayveon bemühenden Freund Brian (Dontrell Bright) besteht.

Und so schwankt der Film auch zwischen Brutalität und Zärtlichkeit, Realismus und Poesie. Banale Alltagsszenen werden in langen Einstellungen beobachtet: Der Junge bringt den Müll heraus, die Schwester kocht das Essen. Dann die ersehnte BLOOD-Gang, die mit Hilfe amateurhafter Raubüberfälle ihre Langeweile, ihren Frust und ihre Existenzbedrohungen durch Brutalität und Männlichkeitswahn überwinden sucht – und doch ist auch hier erkennbar wo die eigentliche Sinnlosigkeit ihren Ursprung hatte, denn eigentlich waren sie alle mal so jung und unschuldig wie Dayveon und auch wie er zum Teil durch einschneidende Verluste geprägt. Aus Spiel wird Ernst. Doch auch hier führt erlebter Schmerz zu Schmerz aus Rache, der wieder weitergegeben werden muss, wie es der Gangbruder dem jungen Dayveon, auf dem Weg zu einem gemeinsamen Raubüberfall, wohlmeinend ans Herz legt.

Die Kamera versinnbildlicht in Rot- und Weißtönen Raufereiszenen, während im Kontrast dazu, in detaillierten Naturaufnahmen, der Realismus greifbar ist und sich die hitzige Nachmittagssonne über der Leinwand bricht. Trostlose Landstriche voll baufälliger Häuser wechseln sich ab mit idyllischen Einblicken auf Szenen am See. In denen, zwischen Dayveon und seinem durch einen Beinschuss humpelnden Freund Mook (Lachion Buckingham), eine sensible und zärtliche Freundschaft gezeichnet wird. Das ist eine ganz wunderbare anteilnehmende Jungenfreundschaft.

Der alltägliche Tagesablauf wird beobachtet, so dass der Zuschauer dem Protagonisten nahe kommt, während im Gegensatz dazu gespenstische Nachtszenen den Betrachter in eine andere brutalere, spannungsgeladenere Welt hineinziehen.

Bemerkenswert ist die Musik, vom Regisseur selbst komponiert, die durch klangvolle Klaviertöne poetisch die innere psychische Beschaffenheit der Darsteller und der Situationen überhöht. Die Schauspieler sind durchweg glaubwürdig und realitätsnah, mehrere Laiendarsteller, die aus echten Gangs stammen, verschaffen dem Film Realismus und Authentizität. Sowie auch die Dialoge und die Sprache naturalistisch durch den starken Akzent und die schonungslose Wortwahl sind.

Der Film ist eine Mischung zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Gerade diese Nüchternheit auf der einen Seite, die Brutaliät auf der anderen und die zärtliche Poesie vermischen sich zu einer Wahrhaftigkeit, die in ihrer Beiläufigkeit berührend ist.
Der Zuschauer kommt dem jungen Dayveon nahe, auch wenn dieser nicht soviel von sich preisgibt, unterstützt wird das durch das glaubwürdige Spiel des jungen Schauspielers.

Es ist ein im positiven Sinne kleiner Film; ein wichtiger Film; visionär und fein beobachtet – auch eine typische Coming-of-Age Geschichte – in dem sich, und das ist das besondere Geschenk an den Zuschauer, suggestiv in einem Bienennest, die Wahrheit finden lässt.

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Originaltitel: Dayveon
Regie: Amman Abbasi
Land: USA
Jahr: 2017
Buch: Amman Abbasi, Steven Reneau
Kamera: Dustin Lane
Schnitt: Michael Carter, Dominic LaPerriere
Musik: Amman Abbasi
Produzenten: Amman Abbasi, Alexander Uhlmann, Lachion Buckingham
Schauspieler: Devin Blackmon (Dayveon), Kordell „KD“ Johnson (Brayden), Dontrell Bright (Bryan), Chasity Moore (Kim), Lachion Buckingham (Mook), Marquell Manning (Country)

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