Zuvor demonstrierten Frankreich und Deutschland stets Einigkeit zu den wichtigsten europäischen Fragen, darunter zur Euro-Rettung. Die UN-Resolution 1973 zum Libyen-Einsatz wurde zum Wendepunkt. Während Frankreich die Führungsrolle in der Libyen-Koalition spielt, enthielt sich Deutschland bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat. Außerdem stoppte Berlin nach dem Atomdesaster in Japan die geplante Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke. In Paris begann man zu zweifeln, ob Deutschland noch der richtige Partner bei der Energiesicherheit ist.
Besonders auffällig sind die Kontroversen um die Gestaltung des europäischen Energiemarkts. Die Bundesregierung erwägt, die bislang als zuverlässig geltenden deutschen Kernkraftwerke komplett abzuschalten. Für Frankreich, das mehr als 19 Atomkraftwerke und 58 Meiler hat, ist der Verzicht auf die Atomenergie kein Thema.
Angesichts dessen sorgte der Schlagabtausch zwischen EU-Energiekommissar Günther Oettinger und dem französischen Industrieminister Eric Besson für Aufsehen. Oettinger schloss nicht aus, dass nicht alle europäischen Kernkraftwerke den bevorstehenden Stresstest bestehen werden. Der Franzose erwiderte sofort, man sollte lieber die Testergebnisse abwarten.
Der deutsche Experte Alexander Rahr warnt allerdings davor, die Differenzen in den deutsch-französischen Beziehungen zu dramatisieren. Nach seinen Worten ist eine Spaltung Europas ausgeschlossen. Die Rettung des Euros und der sozialen Systeme in den EU-Ländern seien viel wichtiger als die Meinungsverschiedenheiten um Gaddafi, betonte Rahr.
Das Thema Atomenergie sei „nicht einmal eine Debatte, sondern eher Tradition“, stellte er fest. „Die Deutschen sind nach dem Unfall im japanischen Kernkraftwerk einfach in Panik verfallen. Dass Frankreich über eine billige Elektroenergie verfügt, die in seinen zahlreichen AKW produziert wird, ist zweifellos ein Riesenvorteil für seine Wirtschaft. Kernkraftwerke werden weltweit gebaut, doch Deutschland will auf die Atomenergie verzichten. Dann würde es aber von den französischen AKW abhängen“, warnte er.
RIA Novosti