Berlin-Marathon 2012 – und der nächste Angriff auf den Weltrekord für die 42,195 km

Die Weltneuheit hängt mit dem Neusponsor TCS zusammen. Ein indisches IT-Unternehmen aus dem Tata-Imperium, das daheim rund 250 000 und zusätzlich 7000 Mitarbeiter im Ausland beschäftigt. Da jeder Läufer einen Chip am Fuß über die 42,195-km-Distanz mitbewegt, kann man mittels i-Phone oder Black Berry live verfolgen, "wie schnell Bekannte, Freunde oder Angehörige unterwegs sind. Man muss halt nur den Namen oder die Startnummer des Betreffenden eingeben und bekommt dann Rückmeldung über Zwischenzeiten oder Stand der Dinge", wie Udo Glenewinkel schwärmt, TCS-Direktor Zentral-Europa.

"Eine feine Sache, sicher", bestätigt Mark Milde. Und der Renndirektor, zuständig für das Elitefeld, schiebt hinterher: "Wenn es denn auf Anhieb auch funktioniert."

Der Focus des 39-Jährigen gilt voll und ganz dem erklärten Ziel, den bislang acht Weltrekord-Zeiten (fünf der Männer, drei der Frauen) und zuletzt vier bei den Männern eine weitere Rekordzeit hinzuzufügen.

Die letzte datiert aus dem Vorjahr, als der Kenianer Patrick Macau hier in 2:03:38 Stunden triumphierte. Jener war nicht verfügbar – verletzt, außer Form oder zu teuer -, also war jemand zu finden, der das Potenzial für eine erneute Rekordjagd besitzt. Und die Strapazen im August bei den Olympischen Spielen in London nicht in den Beinen hatte…da lag es nahe, Geoffrey Mutai ein Angebot zu machen.

Der 30-Jährige war vom kenianischen Verband überraschend nicht für das olympische Rennen nominiert worden. Weil er zuvor im Frühjahr in Boston vorzeitig ausgestiegen war. Wegen der Hitze, möglicherweise aus taktischen Gründen. Um nach Kassieren des Antrittsgeldes die Kräfte für London zu schonen…egal wie. So blieb Mutai beim Gerangel um den prestigeträchtigen Olympia-Marathon auf der Strecke. Und Kenia verlor die Goldmedaille an den Ugander Kiprotich.

Obwohl Mutai fraglos ein heißer Gold-Kandidat war: Führender der Zweijahres-Wertung 2011/12  bei den World Marathon Majors (WMM). So nennt sich der Grand Slam, die höchste Kategorie der Szene, mit den Veranstaltern in Boston, Chicago, New York, London und Berlin. Die Führung verdank der Lauf-Millionär, verheiratet, zwei Töchter, zwei Auftritten im Vorjahr: Triumph in New York mit Streckenrekord von 2:05:06 und in Boston mit fantastischen 2:03:02! Letzteres wäre offizieller Weltrekord – wenn nicht die Strecke ein paar Meter zuviel Gefälle hätte und Start und Ziel nicht weiter als 21 km auseinander liegen würden.

Kein Wunder, dass der Athlet mit den idealen Ausdauermaßen 1,83 m und nur 56 kg daran glaubt, "dass ich bei perfekten Bedingungen eine Zeit unter 2:03 Stunden schaffen kann."

Perfekte Bedingungen sind optimales Wetter, ein schneller Kurs und gut funktionierende Tempomacher. All das dürfte nach Vorhersagen und Erfahrungen am Sonntag in der Hauptstadt gegeben sein. Sollte Mutai der avisierte Coup gelingen, würde sein Bankkonto um diese Beträge anwachsen: 40 000 Euro für den Sieg, 30 000 für eine Zeit unter 2:04:30 sowie 50 000 für einen eventuellen Weltrekord! Dazu kommt garantiert ein Antrittsgeld im "sechstelligen Bereich", wie der Renndirektor bestätigt. Wären taxierte 150 bis 200 000 Euro. Platz eins oder zwei würden zudem fast schon den Sieg im WMM-Ranking bedeuten. Was zusätzlich eine Bonusprämie von 500 000 Dollar erbringen würde.

Nicht schlecht für einen Mann, der als Ältester von elf Kindern in der Hochlandregion um Eldoret mit 23 arbeitslos wurde und sich dann voll auf die Läuferkarriere fokussierte. Das Geldverdienen auf der Straße, nach Bahn- und Crossrennen, begann er 2008, als er in Monaco und Eindhoven seine ersten Marathonsiege nach Hause brachte. Von seiner Villa in Eldoret zieht er zur Vorbereitung in ein nahes Trainingscamp auf 2700 m über Meereshöhe.
Aus dem früheren Ein-Tages-Marathon seit 1974 ist mittlerweile eine ganze Marathon-Woche mit hochkommerziellem Anstrich geworden. So gab es eine Woche zuvor schon den 17-km-Sauerstofferholungslauf am ursprünglichen Startplatz in Charlottenburg sowie abends Lesungen beim Literatur-Marathon. Ab Montag dann tägliche Pressekonferenzen. Dienstag die Ankunft der ersten asiatischen Teilnehmer.Mittwoch Infos über die Inline Skater und Rollis. Donnerstag Vorstellung der Top-Läuferinnen in der Botschaft Kanadas. Und Beginn der Vitalmesse am ehemaligen Flughafen Tempelhof, wo über 100 Austeller mehr als 120 000 Besucher erwarten…

Als ARD/ZDF aus der Direktübertragung ausstiegen, weil sie lieber die Gebühren bei Quassel-Talkrunden ,Quiz-Veranstaltungen oder Fußball-Dauerberieselung verpulvern, gewann der Veranstalter SCC Running GmbH NTV und Eurosport als TV-Partner und produziert durch eine Firma die Bilder selbst.

Als das kostet, inklusive der vielen Helfer und Ordnungskräfte. Sponsoren und Startgebühren ergeben ein Millionen-Budget. Wobei trotz der nicht gerade geringen Startgebühren für "normale" Teilnehmer – je nach Anmelde-Zeitpunkt 60 bis 100 Euro – das Limit von total 40 000 bereits im Dezember ausgeschöpft war. Für Spätanmelder gab es noch ein Sonderticket für 200 Euro plus RTL-Spendenbeitrag von 800 Euro. Gegenleistung: Startaufstellung direkt hinter den Eliteläufern, Pastaparty, Zertifikat und Spendenquittung fürs Finanzamt. Was die Vital-Messe für Laufinteresse betrifft, so vermeldet die Schuhindustrie die Rückkehr zum "Natural Running". Also weg von den extremgedämpften Tretern zu leichtem Schuhwerk mit dünnen Sohlen – um dafür zuständige Muskelgruppen für schnelleren Vortrieb wieder zu aktivieren…

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