Auge um Auge – Stieg Larsons “Verblendung” eröffnet die Verfilmungen der “Millennium”- Romanreihe

Noomi Rapace und Michael Nyqvist in "Verblendung"

Der engagierte Journalist und Kopf des Magazines “Millennium” Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) muss wegen Verleumdung ins Gefängnis. Vor Antritt seiner Haftstrafe engagiert ihn das älteste Mitglied des mächtigen Vanger-Klans, Henrik Vanger (Sven-Bertil Taube). Vor Jahrzehnten verschwand seine Lieblingsnichte Harriet Vanger (Ewa Fröling). Henrik ist überzeugt, der Mörder Harriets sei ein Familienmitglied. Wie sein Namensvetter aus der Kinderliteratur kommt Blomkvist verborgenen Verbrechen auf die Spur. Qualitativ hinkt “Verblendung” dem Jugendroman allerdings hinterher. Kaum ist Blomkvist als Hauptfigur etabliert, springt “Verblendung” zu der jungen Lisbeth Salander (Noomi Rapace). Die überkonstruierte Figur ist die größte “Verblendung” in Oplevs Psychokrimi. Stark geschminkt und gepierct soll sie geheimnisvoll wirken, aber bleibt nur das Klischeebild des harten Mädchens mit weichem Kern. Natürlich verbirgt Lisbeth ein Kindheitsgeheimnis, natürlich landet sie mit Blomkvist im Bett. Dass sie kurz zuvor missbraucht wird und lesbisch ist, will der Regisseur – Stichwort “Verblendung” – nicht beachten. Wer im Kino Lisbeth heißt, ist selten interessant. So entscheidet sich “Verblendung” im letzten Drittel abrupt doch für Kalles Seelenbruder als Hauptfigur. Alle und niemand sind verdächtig, betont Henrik Vanger düster, doch wer sich im Kriminalgenre auskennt, ahnt längst, dass der Böse der ist, der am nettesten tut.

Seine Informationen findet der moderne Ermittler wie Blomkvist in alten Dokumenten oder hochmodernen Computerfestplatten. Lässt er sich auf einen Mordfall ein, muss das Opfer einer mächtigen Familie entstammen oder eines von sehr vielen sein. Beides trifft auf die Mordserie zu, auf die Blomkvist stößt. Als sei Ziel des Films die “Verblendung” des Publikums, folgt die Handlung plötzlich einem Seitenpfad. Der ist  nur ein Teilchen des Puzzles und die Auflösung lange nicht das Ende. Des Rätsels Lösung ruht in alten Fotos und Dokumenten, welche die polizeilichen Ermittler einfach nicht genau genug unter die Lupe genommen haben. Regisseur Oplev zwingt den Zuschauer förmlich dazu, indem er die Kamera immer wieder bedeutungsschwer auf ein schwarz-weißes Foto Harriets richtet. Damit jeder Depp sie wiedererkennt, tragen die Fotografierten stets die gleiche Kleidung und eine zufällig gefilmte Passantin sitzt plötzlich mit Blomkvist am Kaffeetisch. Wie der Journalist die anonyme Figur am Bildrand identifizierte und aufgespürte, verrät “Verblendung” nicht.

Finstere Bildern und dräuende Musik sollen eine bedrohliche Atmosphäre erzeugen. Spannung kommt in dem gemächlichen Thriller jedoch nicht auf. Solide Darsteller können nicht über die Konventionalität der Handlung hinwegtäuschen. Lange ist es her, da waren Thriller, mit einem langschen Filmtitel ausgedrückt, ein “Heißes Eisen”. Abgebrühte Privatschnüffler mit einer Schwäche für femme fatales und Whiskey waren den Täten auf der Spur. Heute wird fünfundzwanzig Jahre alter Scotch getrunken, schlimmstenfalls mit einer Lisbeth. Thriller hießen einst “Kiss me Deadly” oder “Murder, my Sweet”. Heute haben sie gewichtig und dennoch langweilig klingende Ein-Wort-Titel: “Verblendung”, “Verdammnis”, “Vergebung”. Die letzten beiden, bereits fertig gedrehten Verfilmungen nach Sieg Larssons Romanen stehen den Zuschauern noch bevor. Bedrohliche Stimmung fühlen Journalisten nur, wenn sie im Pressematerial den Familienstammbaum und den Grundstücksplan der Vangers betrachten. Sollte man das um in den vermutlich ebenso langatmigen Fortsetzungen durchzublicken, auswendig lernen? Da ist man fast erleichtert, dass Larsson die geplante zehnteilige Romanreihe nicht vollenden konnte, sonst stünden noch mehr Verfilmungen bevor. Death comes as a friend. Könnte auch ein alter Filmtitel sein.

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Deutscher Titel: Verblendung

Originaltitel: Män Som Hatar Kvinnor

Land/Jahr: Dänemark/Deutschland/Schweden 2009

Kinostart: 1. Oktober 2009

Regie: Niels Arden Oplev

Drehbuch: Nikolaj Arcel, Rasmus Heisterberg

Darsteller: Michael Nyqkvist, Noomi Rapace, Sven-Bertil Taube, Peter Haber, Lena Endre

Laufzeit: 153 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Verleih: Warner Bros./NFP

Internet: www.verblendung-derfilm.de

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