Auf dem Gleis der Nouvelle Vague stehen geblieben – Philippe Garrels Film „Le sel des larmes“ über die Probleme der Jugend erweist sich aufgrund seiner altmodischen Herangehensweise als: Schnee von gestern auf der 70. Berlinale

Oulaya Amamra und Logann Antuofermo im Film "Le sel des larmes" ("The Salt of Tears") von Regisseur Philippe Garrel. © RECTANGLE PRODUCTIONS – CLOSE UP FILMS

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Normalerweise stellen französische Filme eine Bereicherung für jedes Filmfestival dar. Bringen sie doch meist ihren landeseigen Stil mit, beherrschen ihr Genre und der französiche Charme sowie eine gewisse Originalitat schimert dann doch bei dem einen oder anderen Film durch. Es gibt aber auch die berühmte Ausnahme von der Regel. Die war am 3. Berlinale Tag der erste französiche Wettbewerbsbeitrag Le Sel des Larmes. Der Film des französiche Altmeisters Philippe Garrelhat eines seiner Lieblingsthemen zum Inhalt: Die Liebe. In Le Sel des Larmes begleiten wir den jungen Luc (Logann Antuofermo), der sich in Paris an der renommierten Möbelbauschule École Boulle bewirbt. Ist er doch Tischler und hat diesen Beruf in der Familie eingeimpft bekommen. Sein Vater (Andrè Wilms), zu dem er ein sehr gutes, ja inniges Verhältnis hat geht dem gleichen Handwerk nach. Doch das professionelle bearbeiten von Holz ist nicht seine einzige Leidenschaft. Die andere sind die Frauen. Gleich bei seiner Ankunft in Paris bandelt er mit der schüchternen Djemila (Oulaya Amamra) an. Die für ihn dann aber nur eine kurze Großstadtromanze darstellt. Im ländlichen Heim wartet Geneviève auf ihn. Hier gespielt von Louise Chevillotte, die letztes Jahr im Berlinale Gewinner Synonyms zu sehen war. Die liebt Luc zwar innig. Doch Luc verweigert sich einer festen Bindung. Da kommt ihm die Annahme an der École Boulle und der damit verbundene Umzug nach Paris gerade recht. In Paris angelangt beginnt er schließlich eine Beziehung mit Betsy (Souheila Yacoub). Doch die bringt ihren on/off-Freund Paco (Martin Mesnier) mit und so findet sich Luc plötzlich in der heimischen Wohnung in Paris in einer Dreibeziehung wieder. Doch die Schatten der vergangenen Liebschaften verfolgen Luc bis in die französische Metropole und beim ihm wird das Schicksal am Ende auf unerwartete Weise zuschlagen.

Philippe Garles inhaltliche Auseinandersetzung mit der Jugend von heute und ihren Problemen, speziell deren Liebesbeziehungen hört sich im ersten Moment recht spannende an. Ist es doch eigentlich ein zeitloses Thema. Und der schwarz-weiß gedrehte Film ist ruhig und ungestrengt inszeniert und seine Darstellerriege tritt hier souverän auf. Aber sie spielt auch nicht herausragend, dafür sind die Charaktere nicht komplex genug gezeichnet. Kommt Garrels Darstellerriege fast ausschließlich von der CNSAD (Conservatoire national supérieur d’art dramatique), wo Garel ebenfalls als Dozent tätig ist. Fast also schon ein kleines hauseigenes Filmprojekt möchte man meinen. Doch das Problem von Garrels Film sind in erster Line nicht so sehr die Schauspieler, sondern deren Thematik und der Umgang damit. Wollte er doch einen modernen Film über die Jugend von heute machen. Doch das ist Le Sel des Larmes in keinster Weise. Kommt er in der Behandluung dieses Themas doch recht altmodisch daher. Garrel will uns etwas über das Leben der 20-25 jährigen erzählen. Wogegen nichts einzuwenden ist, ein universelles Thema. Betrifft es doch jede Generation. Und jede Generation muss sich damit auf eigene Weise auseinandersetzen. Aber Garrel schafft es nicht dieses Thema in ihrer Aktualität aufzugreifen und den modernen Zeitgeist oder zumindest eine originelle Note zu geben. Ist er in seiner Erzählweise doch sehr der Nouvelle Vague angehaftet. Schwärmte er doch während der Pressekonferenz gern von Goddard, Truffaut und sogar Faßbinder und hob dabei gern den Zeigefinger und macht hier den Eindruck eines Hochschuldozenten. Diese Geste machte dann deutlich, woran der Film kränkelt. In seine Umsetzung läßt uns der Film mit Luc und seinen Problemen mit der Liebe und den Frauen doch irgendwie kalt. Fehlt es bei der Inszenierung kläglich an Ideen oder zeitbezogenen Elementen. Bernardo Bertolucci schaffte es dagegen in Die Träumer das Thema Dreier -Beziehung als erotisch aufgeladene Beziehung unter Cineasten darzustellen und einen nicht neuen, aber eben doch stilistisch originellen Anstrich zu verleihen. Die Substanz ist also da. Garrel bleibt hier aber auf dem Gleis stehen. Dem Gleis, das vor gut 50 jähren die Nouvelle Vague mit innovativen und revolutionären Herangehensweisen bevölkerte. In dieser Tradition sieht sich Garrel; ist aber gleichzeitig in ihr gefangen. Am Ende erscheint einem Le Sel des Larmes ein wenigLehrerhaft. Er kommt steif und trocken daher. Ihn auf einem Festival zu zeigen ist damit vollkommen in Ordnung. Eine Bereicherung stellte er definitiv nicht dar.

Filmographische Angaben

  • Originaltitel: Le sel des larmes
  • Englischer Titel: The Salt of Tears
  • Originalsprache: Französisch
  • Staaten: Frankreich, Schweiz
  • Jahr: 2020
  • Regie: Philippe Garrel
  • Drehbuch: Philippe Garrel, Jean-Claude Carrière, Arlette Langmann
  • Kamera: Renato Berta, Berto
  • Schnitt: François Gedigier
  • Musik: Jean-Louis Aubert
  • Darsteller: Logann Antuofermo (Luc), Oulaya Amamra (Djemila), André Wilms (Lucs Vater), Louise Chevillotte (Geneviève), Souheila Yacoub (Betsy), Martin Mesnier (Paco), Teddy Chawa (Jean-René), Aline Belibi (Alice)
  • Produzenten: Edouard Weil, Laurine Pelassy
  • Dauer: 100 Minuten

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